Die strahlende Königin und biblische Heldin Judith wird demontiert in der szenischen Lesung von Sibylle Bergs "Missionen der Schönheit - Holofernesmomente".
Am Anfang thront in blutrot strahlendem, blumenbesetztem Kleid die makellos schöne biblische Judith im Hintergrund der kleinen Bühne, die im Kaminzimmer des Schlosses Maßbach aufgebaut ist. Verführerisch, unnahbar, eindrucksvoll beleuchtet in der ganzen Schönheit, die man einer starr aus riesigen blauen Augen blickenden Schaufensterpuppe entlocken kann. Aus dem Off wird dazu die berühmte Geschichte aus dem Buch Judit im Alten Testament eingespielt, in der die überaus schöne und gottesfürchtige Judith sich mit ihren körperlichen Reizen den assyrischen Oberbefehlshaber des Heeres Holofernes gefügig und so betrunken macht, dass sie ihm mit seinem eigenen Schwert den Kopf abschlagen und so Judäa vor seinem Zugriff retten kann.
Die zugkräftige Mischung von Sex und Crime hat diese Geschichte zu einem der meistgemalten, zu Opern und Dramen verarbeiteten biblischen Sujets gemacht. Für die 1962 in Weimar geborene Autorin Sibylle Berg war die Bibelstelle nicht Vorlage für ihren Text "Missionen der Schönheit - Holofernesmomente", sondern Stein des Anstoßes, denn es geht in ihm um die Auseinandersetzung mit männlicher Gewalt, auf die Frauen eher in Ausnahmefällen mit Gegengewalt antworten. Auch in vielen Kommentaren zur Bibel findet sich immer wieder der Aspekt thematisiert, dass es doch eine ganz besondere Schmach für den mächtigen Heerführer war, dass gerade eine Frau ihn zur Strecke gebracht hat.
Am Theater Maßbach konnte sich des Textes eine absolute Quereinsteigerin annehmen, die Bundesfreiwilligendienstleistende am Theater Luisa Lenk, die sieben der acht Texte von zwei Sprecherinnen in einer szenischen Lesung vortragen bzw. vorspielen ließ. Sie schaffte es mit Anna Schindlbeck, Schauspielerin im Maßbacher Ensemble, und der in der Requisite beschäftigten Mitarbeiterin im Theater Kathrin Hartmann, aus Bergs beklemmendem und drastischem Bilderbogen über Frauen in ihrer Beziehung zu Männern und besonders zu sich selbst angesichts der Erwartungen eben der Männer, aber auch der Gesellschaft insgesamt ein packendes Dreiviertelstundenstück zu machen.
Parallelhandlung anderer Frauenschicksale
Dabei ließ sie mithilfe des knappen, aber eindrucksvollen Bühnenbildes zwei Geschichten ablaufen: Denn auch die imposante Judith im Hintergrund war nicht nur Blickfang-Staffage, sondern erfuhr ihre eigene Frauengeschichte, nachdem die beiden sie entkleidet und ihrer Perücke beraubt hatten. Denn die 12-jährige Judith will verhindern, eine Frau zu werden, und bindet sich die Brüste ab. Aus ihrer familiären Erfahrung weiß sie, dass "eine Frau etwas Hilfloses am Boden" ist, ihre Mutter vom Vater verprügelt, und sie überwältigt ihren Vater und bindet und knebelt ihn. Die 18-jährige Judith aus Berlin schneidet sich (und die Puppe), weil sie endlich wahrgenommen werden will, denn sie will nicht mehr die Unscheinbare sein, die nur durch ihre schulischen Leistungen auffällt, aber den kollektiven optischen Anforderungen nicht entspricht.
Judith aus Kinshasa (23) betrachtete früher ihre Schönheit als Garantie dafür, dass sie unter vielen reichen Männern würde wählen können. Nach Jahren der Zerstörung ihres Körper als ausgebeutete Prostituierte tröstet sie sich sarkastisch: "Es ist von Vorteil nicht mehr schön zu sein." Judith aus Kiew (30) träumte aufgrund ihres perfekten Körpers von einer Model-Karriere, zieht aber mit einer Burlesk-Show als "Miss Po" durch die Clubs und schläft im Akkord mit den Kunden.
Judith aus São Paulo (38) und Judith aus Neapel (40) kommen konkreten Frauenerfahrungen unserer Breiten schon sehr nahe: Erstere ist völlig deprimiert, weil sie den Traummann gefunden glaubt, aber nach einiger Zeit ist es so, "als hätte er sich selbst entnommen und durch Ersatzteile ausgetauscht", was sie davon halluzinieren lässt, dass sie ihm nachts die Kehle durchschneidet. Doch gibt sie dann zu, dass es wahrscheinlicher ist, dass sie sich die Augen selbst aus den Höhlen reißt. Die Neapolitanerin hat die Depressionstherapien hinter sich und sich vor fünf Jahren entschieden, bei geschlossenen Fensterläden im Bett zu bleiben, ihre "Kinder füllen den Kühlschrank mangelhaft auf".
Tage im Halbschlaf
Sie verbringt ihre Tage im Halbschlaf; die beiden Schauspielerinnen entnehmen dem Kopf der Puppe einen (Gehirn-)Schwamm und werfen ihn zu Boden. Im Heimatort der biblischen Judith, Bethulia, ist die letzte Geschichte "Julia (75) und die Ruhe". Sie hat ihren Mann und ihre Söhne, die mit ihrem Körpergeruch, ihrem Lärm ständig gestört hatten und sie als "Besen, Koch" im Haushalt ausgenutzt hatten, an einem nicht "besonders furchtbaren Tag" umgebracht und genießt nun die "absolute Ruhe" seit jenem Tag.
Trotz des teilweise drastischen Inhalts der Szenen spielten sie auch die beiden Darstellerinnen mit großer Ruhe und Präzision. Es war kein Manko, sondern ein interessanter Unterschied, dass Anna Schindlbeck mit ausgebildeter Bühnenstimme sprach und souverän agierte und Kathrin Hartmann ihre gut verständliche Sprechstimme entgegensetzte, denn die beiden teilten sich die Texte auf, agierten in den Spielansätzen zusammen, sprachen teilweise auch gleichzeitig. So schaffte es Gastregisseurin Luisa Lenk, das Geschehen über die gesamte Spieldauer spannend, interessant und vielfarbig zu gestalten ohne zu Karikatur, Schrillheit und feministischer Überzeichnung zu greifen. So geriet die Aufführung zu einem nachdenklich machenden Kommentar der alten Judithgeschichte aus heutiger Sicht und - auch mithilfe passender Musikeinspielungen - zu einer sehr runden und gelungenen Sache.