Was belastet pflegende Angehörige am meisten und wie macht sich das bemerkbar?
Hier gibt es eine Vielzahl von Aspekten. So kämpfen die pflegenden Angehörigen zum Beispiel an mehreren Fronten. Da ist die Pflege an sich, gleichzeitig gibt es aber auch sehr viel zu organisieren. Man muss sich mit den Kostenträgern auseinandersetzen und sich mit den Ärzten austauschen und auch den eigenen, "anderen" Alltag meistern. Die Fülle dieser Aufgaben ist eine massive Belastung. Viele spüren zudem, wie eben beschrieben, den Zwang, sich selbst vollkommen aufzugeben. Das ist meiner Erfahrung nach das, was pflegende Angehörige am meisten belastet.
Insgesamt macht sich diese äußerst belastende Situation dann nicht nur psychisch, sondern oft auch körperlich bemerkbar. Wer zum Beispiel - vereinfacht gesagt - vorher schon Rückenschmerzen oder Magen-Darm-Probleme hatte, wird wahrscheinlich auch hier zuerst die Reaktion des Körpers bemerken. Die Symptompalette ist sehr breit.
Welche Wege gibt es für pflegende Angehörige, mit ihrer Situation besser umzugehen?
Das entscheidende Kriterium ist, wie man innerlich mit der Situation umgeht. Die pflegenden Angehörigen müssen einen Weg finden, innerlich gesund mit der emotionalen Situation und der Balancestörung, die sich aus der Pflegesituation ergibt, umzugehen. Das beginnt mit der Art, wie Menschen innerlich mit sich umgehen. Man muss lernen, selbstzerstörerische und perfektionistische Gedanken und Ansprüche über Bord zu werfen und zu sich selbst eine liebevolle und unterstützende Haltung einzunehmen. Das ist ein kleiner, aber wirklich wichtiger Schritt.
Achten Sie einmal auf Ihren inneren Dialog mit sich. Bei vielen hat dieser einen wirklich destruktiven Charakter: Menschen beschimpfen sich regelrecht, wenn sie kleine Fehler machen. Wenn jemand anderes so mit uns sprechen würde, würden wir ihn vermutlich irgendwann aus unserem Leben rausschmeißen. Es gilt also unsere Innenwelt zu verändern.
Im Rettungsdienst beispielsweise heißt es auch: Eigensicherung vor Fremdsicherung. Denn wenn man sich selbst verletzt, kann man den anderen nicht mehr helfen. Auf die Pflege übertragen könnte man sagen: Ich kann nur das geben, was ich habe. Auf der anderen Seite sehen wir viele Menschen, die Pflege als einen sinngebenden, positiven Teil ihres Lebens begreifen können, obwohl sie zugleich so gefordert werden: Eine solche Haltung ist enorm förderlich.
Wie lässt sich Resilienz fördern?
Handlung ist entscheidend: Man muss die gerade beschriebene positive Haltung sich selbst gegenüber immer wieder einüben und kultivieren. Wer dabei mehrfach am Tag nur kurz einen liebevollen Blick auf seine eigenen Bedürfnisse wirft, ändert die Art mit sich selbst umzugehen. Gleichzeitig ist dabei wichtig, dass die innere Einstellung kein reiner Positivismus ist, sondern immer auch eine realitätsangemessene Bewertung der eigenen Situation erfolgt.
Übrigens sollte man auch Raum schaffen, um seine negativen Emotionen ausdrücken zu können. Es muss erlaubt sein, Gedanken auszusprechen, etwa dass man froh ist, die Angehörige oder den Angehörigen auch mal für ein paar Stunden oder Tage los zu sein. Das ist etwas, was man sich oft verbietet, weil es so negativ klingt, aber es ändert nichts daran, dass dieses Gefühl da ist. Wir wissen, dass die Unterdrückung negativ empfundener Gefühle Menschen emotional und psychisch beschädigt. Nicht zuletzt ist auch der Austausch mit anderen Menschen, die in der gleichen Situation stecken, für pflegende Angehörige sehr hilfreich. Wir wissen aus der psychologischen Forschung, wie sehr gegenseitige Unterstützung hilft.
Resilienz ist in Summe das Ergebnis eines lebendigen Anpassungsprozesses, der nicht mit dem Leben hadert oder aufhört mit dem Leben zu hadern. Dafür braucht es auch den Raum, sich selbst wahrzunehmen und eigene Bedürfnisse zu spüren. Diesen Raum können Angehörige schaffen, wenn sie sich selbst emotional erlauben, Angebote wie Kurzzeitpflege zu nutzen.
Zur Person: Lorenz Wohanka hat an der Uni Würzburg studiert und ist Diplom-Psychologe. Zusammen mit seiner Frau gründete er im Jahr 2006 eine eigene Beratungsfirma, heute mit Standorten in Würzburg und Berlin. 2018 entwickelte Wohanka mit den Caritas-Einrichtungen Würzburg ein Seminar für Pflegekräfte zum Thema "Resilienz". Dieses bieten er und seine Frau nun auch in angepasster Form für pflegende Angehörige im Rahmen des Caritas-Programms Plento an. Im Landkreis steht das Seminar Anfang Juli und noch einmal Anfang November im Kurhaus Hotel Bad Bocklet auf dem Programm.