Luise Kinseher im Kurtheater: Mensch hängt an Uhrzeit

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Der Spott von Luise Kinseher trifft auch das Publikum, etwa als sie nach dem Vorhandensein "lebendiger Materie" im Kurtheater fragt. Foto: Benedikt Borst
Der Spott von Luise Kinseher trifft auch das Publikum, etwa als sie nach dem Vorhandensein "lebendiger Materie" im Kurtheater fragt.  Foto: Benedikt Borst
Luise Kinseher im Kurtheater Foto: Benedikt Borst
Luise Kinseher im Kurtheater Foto: Benedikt Borst
 
Luise Kinseher im Kurtheater Foto: Benedikt Borst
Luise Kinseher im Kurtheater Foto: Benedikt Borst
 
Luise Kinseher im Kurtheater Foto: Benedikt Borst
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Luise Kinseher im Kurtheater Foto: Benedikt Borst
Luise Kinseher im Kurtheater Foto: Benedikt Borst
 

Luise Kinseher widmet sich in ihrem Programm "Ruhe bewahren" der Frage, wie mit Lebenszeit umgegangen wird. Auch das Publikum kriegt einiges ab.

Wer bei Luise Kinseher im Publikum sitzt, muss damit rechnen, dass er verbal einiges abbekommt. Das gilt für bayerische Spitzenpolitiker, die von ihr als Mama Bavaria auf dem Nockherberg derbleckt werden und danach oft lange Gesichter ziehen. Das galt aber auch für die Lehrer und Bürokauffrauen, für die Landmaschinenverkäufer und Industriearbeiter, die in den vorderen Reihen des Bad Kissinger Kurtheaters saßen.


Kinseher fragt zu Beginn ihres Auftritts mehrere Personen aus, auf die sie im Lauf des Abends immer wieder ihre Spitzen abschießt. Gerade ein Rentner, der an einer Ortschronik mitarbeitet, hat es ihr angetan. "Sie haben mir wirklich den Abend gerettet", lacht sie. Wo bei anderen Künstlern die Interaktion mit dem Publikum holprig und gezwungen wirkt, punktet die Niederbayerin mit Schlagfertigkeit und Tempo.


Ziegenblick mit Barbara Stamm

In ihrem Programm "Ruhe bewahren" präsentiert Kinseher sich zwar weitestgehend unpolitisch, ganz ohne Querschüsse in Richtung CSU und bayerisches Kabinett kommt sie dann aber doch nicht aus. Söder, Aigner, Spaenle und Co. müssten Emphatiekiller nehmen, anders könne sie sich deren Politik nicht erklären. An Barbara Stamm demonstriert sie dem Publikum, was sie mit Goaßblick meint, nämlich den entgeisterten, stieren Gesichtsausdruck der Landtagspräsidentin nach Kinsehers diesjähriger Nockherberg-Predigt. Stamm kündigte ja hinterher an, die Veranstaltung im nächsten Jahr zu boykottieren. Insgesamt kratzt die Politikerschelte aber nur an der Oberfläche. Kinseher keilt zwar gegen die obere CSU-Riege aus, arbeitet sich aber wenig an konkreten politischen Vorgängen ab. Das ist allerdings der Ausrichtung des Programms geschuldet. Wer sehen will, wie gut die 47-Jährige das politische Kabarett beherrscht, dem sei der angesprochene Auftritt als Mama Bavaria ans Herz gelegt.


Wie mit Lebenszeit umgehen?

Sie setzt sich dafür umfassend und mit viel Tiefgang mit dem Thema Zeit auseinander. Gut in Szene gesetzt, leitet sie den Abend ein. "Alles, was jetzt ist, ist bereits Vergangenheit." Dazu passend betritt sie in einem schlichten, schwarzen Kleid die Bühne. Einziges Accessoire: die wuchtige Uhr mit dem schwarzen Armband am Handgelenk. Wie geht der Mensch mit der ihm zur Verfügung stehenden Zeit um? Diese Frage beschäftigt Kinseher. Ruhe bewahren, rät sie. Auch wenn das in der schnelllebigen Welt inmitten von Krisen, Krieg und Terror schwierig ist.

Die Kabarettistin ist eine genaue Beobachterin der Gesellschaft. Aus dem, was sie sieht, leitet sie immer wieder unangenehme Fragen ab. "Die Menschen hängen an der Uhrzeit", findet sie. In der Gegenwart sind sie damit beschäftigt, für das Alter vorzusorgen und die Zukunft zu finanzieren. Was aber, wenn der Mensch später zwar Zeit hat, aber keine Zukunft, etwa weil er krankheitsbedingt mit einer schweren Demenzerkrankung in einem Pflegeheim vor sich hin vegetiert?


Mensch hinkt Technik hinterher

An der Zukunft und dem rasanten technischen Fortschritt arbeitet sie sich ab. "Der Mensch hinkt der Technik einen Evolutionssprung hinterher", lautet ihre Feststellung. Wenn Kinseher darüber spottet, klingt das so: Der Thermomix als Krone der technischen Schöpfung macht vollautomatisches Kochen möglich, und was macht der Deutsche am liebsten? Grillt wie ein Steinzeitmensch am Lagerfeuer. Den fehlenden Evolutionssprung bemängelt sie am deutlichsten am Umgang mit der allgegenwärtigen Kommunikationstechnologie. Über das Internet und mobile Geräte wie Smartphones und die Google-Brille sind Informationen immer verfügbar. Wird der Mensch zu technikhörig und verlernt das kritische Denken, fragt sie? Das lässt dem Publikum Raum für Assoziationen: Wie wirkt es sich eigentlich auf jemanden aus, der häufiger mit technischen Geräten als mit lebenden Wesen kommuniziert? Verliert er die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen und mit ihnen mitzufühlen?

Kinseher spielt ihre jahrzehntelange Bühnenerfahrung gekonnt aus und bietet ein sehr gutes Programm mit treffsicheren Pointen. Auch schauspielerisch gibt es nichts auszusetzen. Sie wechselt in Sekundenschnelle ihre Rollen, streut mehrmals sauber gesungene Einlagen ein und zeigt sich enorm textsicher. Verhaspler und Versprecher gibt es bei der bereits mehrfach ausgezeichneten Künstlerin offenbar nicht.

Und wie soll der Mensch jetzt mit seiner Zeit umgehen? Die Antwort darauf gibt sie erst zum Ende des Auftritts: Es gilt, auf das Wesentliche zu achten, damit man nicht im Alter auf die Uhr sieht und sich fragt, "wo eigentlich die Zeit geblieben ist".