Jubiläum ist zugleich ein Abschied

3 Min
Fahnenweihe im Jahr 1910 Archiv Edelweiss
Fahnenweihe im Jahr 1910 Archiv Edelweiss
Der Männergesangverein bei einem Gastauftritt in Vernon. Archiv
Der Männergesangverein bei einem Gastauftritt in Vernon. Archiv
 

Der Männergesangverein "Edelweiß" Winkels feiert am Sonntag, 22. April, seinen 120. Geburtstag. Doch die Sänger treten an diesem Abend zum letzten Mal auf.

Zuerst die gute Nachricht: Der Männergesangverein "Edelweiß" Winkels feiert am Sonntagabend seinen 120. Geburtstag - standesgemäß mit Gesang. Das Konzert, bei dem auch Mitglieder geehrt werden, beginnt um 19.30 Uhr in der Wandelhalle. Die schlechte Nachricht: Es ist das letzte Mal, dass der Verein Geburtstag feiert, und auch das letzte Mal, dass er singt. Denn "Edelweiß" Winkels zieht sich aus dem Konzertbetrieb zurück.
Das ist ein Phänomen, das in den letzten Jahren verstärkt um sich greift, und das auch im Landkreis Bad Kissingen zu beobachten ist: Den Chören fehlt der Nachwuchs. Das Durchschnittsalter der Mitglieder ist in den letzten Jahren immer weiter nach oben geklettert, weil von unten niemand mehr nachkam - auch in Winkels. 30 Sänger waren es in Spitzenzeiten; jetzt sind es noch 14. "Das Durchschnittsalter liegt grob geschätzt bei 75 Jahren. Der Jüngste ist 49, der Älteste wird 85", sagt Mathias Krebs, seit 2016 in der Nachfolge seines Vaters Ewald Vorsitzender des Vereins. Der Erfolg von mehreren Werbeaktionen ist schnell beziffert: null. Frauen in den Chor aufzunehmen wurde zwar mehrfach diskutiert, aber abgelehnt. "Wenn die Frauen kommen, hören wir auf", sagten zu viele.

Das war alles noch nicht abzusehen, als sich am 4. Dezember 1898 im Gasthaus "Zollergarten" auf Einladung von Fritz Reußenzehn 14 "sangesfreudige Männer" (so hieß das damals) trafen, um einen Verein zu gründen, der das Kulturleben des damals selbstständigen Dorfes Winkels nachhaltig bereichern sollte. Es war die Geburtsstunde des Männergesangvereins "Edelweiß" Winkels. Wie es zu dem Beinamen "Edelweiß" kam, weiß heute niemand mehr. Vermutlich war es der Zeitgeist der Alpenschwärmerei. "Aus grauer Städte Mauern..." zog man damals, um in den Bergen die große Freiheit zu suchen. Und wenn man das erste Edelweiß sah, war man angekommen. Natürlich ging es laut erstem Protokollbuch nicht nur um "die Förderung und Pflege des deutschen Liedgutes", sondern auch darum, "die sittliche Bildung mit Zucht und Ordnung der Vereinsmitglieder" voranzubringen. Damals war das wohl noch nötig. Die Statuten waren streng: Wer unentschuldigt fehlte, musste ein Bußgeld berappen.
Aber es kann nicht nur ernst zugegangen sein. Denn in der Satzung stand auch die Pflege der Geselligkeit. Und auf ihre Vereinsfahne, die sie sich 1910 anschafften, ließen die Winkelser den Leitspruch sticken: "Im Liede erhöht sich die Freude". Es gab öfter "öffentliche Gesellschaftstage" für die Ortsbevölkerung und "Gesangsproduktionen" sowie, zur Aufbesserung der Vereinskasse, jedes Jahr eine Christbaumversteigerung.
Es muss ein ziemlich turbulentes Vereinsleben gewesen sein. Denn wer in die Chronik schaut, kann feststellen, dass bei den Winkelser Sängern die Vorsitzenden, vor allem aber die Dirigenten schneller wechselten als in Italien die Regierungen. Vorsitzende waren ja unter den Ortsansässigen noch leichter zu finden, zu überreden oder auch zu reaktivieren. Nach dem Gründungsvorsitzenden Fritz Reußenzehn, der bis 1905 den Verein leitete, kamen bis 1914 noch Adam Schuler (bis 1911), Johann Fuchsstadt (bis 1913) und Karl Greubel (bis 1914). Dirigenten nennt die Chronik in diesem Zeitraum acht (!): Herr Wolf (die alten Sitzungsprotokolle kannten nur den Vornamen "Herr"), Herr Liebhardt, Berthold, Dick, Schimpf, Seufert, Grell und Baum. Während der beiden Weltkriege (nach dem Zweiten Weltkrieg ging es erst 1950 wieder weiter) ruhte das Vereinsleben. Dafür war es dazwischen umso unruhiger: Zwischen 1918 und 1939 gaben sich sieben Vorsitzende und zehn Dirigenten in Winkels die Klinke in die Hand. Manche hielten nur ein Jahr durch, Herr Schmidt sogar nur ein Vierteljahr (1932). Dass das Auswirkungen auf die Qualität des Chores und den Mitgliederstand hatte, musste man sich damals sogar im Vereinsvorstand eingestehen.
Nach der Wiedergründung 1950 verlängerten sich die Verweildauern der Vorsitzenden Herbert und Willi Fuchsstadt, Leo Bimmel, Ewald und Matthias Krebs (seit 2016). Bei den Dirigenten ging"s gleich in den rekordverdächtigen Bereich: Alfred Wirsing leitete den Chor geradezu legendäre 38 Jahre. 1988 verpflichtete der Verein Ernst Hartl als Nachfolger - und das ist er heute noch. Die Kontinuität zahlte sich aus: "Edelweiß" Winkels wurde nicht nur in Bad Kissingen, sondern in der Region zu eine gesetzten Größe, wurde zu Gemeinschafts- und Gruppenchorkonzerten eingeladen, trat in den Partnerstädten Massa und Vernon auf. Besondere Ereignisse waren das 50-jährige Gründungsfest mit 42 Gastchören im Juni 1952 und eine Einladung zum 17. Chorfest des Deutschen Sängerbundes in Berlin 1976. Einen großen qualitativen Schritt nach vorne machte der Chor 1992, als er an der Prüfung des Fränkischen Sängerbundes teilnahm und sich anschließend "Leistungschor Stufe 1" nennen durfte. Mathias Krebs: "Da war der Ernst Hartl mächtig stolz, dass wir noch besser waren als ein doppelt so großer Polizeichor."
Jetzt also am Sonntagabend der Schwanengesang. Leicht gefallen ist die Entscheidung den Sängern nicht. "Als im Dezember 2016 mein Vater gestorben ist, haben wir uns gefragt, ob wir aufhören sollen. Aber dann hat der Ernst Hartl gesagt, dass er die 30 Jahre gerne noch voll machen und dann ein Abschiedskonzert organisieren würde", sagt Mathias Krebs. Das haben sie gemacht. Und weil die Stimmkraft vor allem im Tenor nachgelassen hat, haben sie sich Verstärkung von der Kantorei Bad Kissingen geholt.
Von der Bildfläche verschwinden wird der Verein aber nicht. Die Mitglieder haben beschlossen, noch zwölf Jahre zu warten, ob nicht jemand kommt, der den Verein wieder aufleben lassen will. Dem würden sie gerne helfen. Mathias Krebs sieht eine kleine Chance: "Es gibt in Winkels ein paar musikinteressierte Leute mit Kindern. Die müssten da etwas lostreten." Dann könnte es weitergehen mit "Edelweiß".