Es kommt ganz oft vor, dass Menschen mit hohen Ansprüchen sich auch in ihrer Freizeit Sachen suchen, die mit einem gewissen Anspruch verbunden sind, also nicht einfach Spazierengehen oder so. Wenn man sich zum Beispiel im Chor engagiert, kann daraus auch ganz viel Druck entstehen, etwa durch die Pflicht, immer bei den Proben da zu sein, et cetera. Ich erlebe immer wieder, dass Menschen in ihrem Leben sehr viel Druck haben. Haushalt, Kindererziehung, finanzielle Sorgen und die Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger sind der Studie der Techniker Krankenkasse nach allesamt weitere Ursachen für Stress.
Was belastet gestresste Menschen am meisten?
Viele fühlen sich in ihrem Handlungsspielraum eingeschränkt. Oft fängt es mit den eigenen Gedanken an, die sich ständig im Kreis drehen. Man kann dabei auch beobachten, dass sich Gedanken und Gefühle in unterschiedlichen Stresssituationen ähneln. Ein Beispiel aus meiner Berufspraxis: Ein 40-jähriger Mann war in einem Projekt mit einer beruflichen Aufgabenstellung konfrontiert, die äußerst schwierig erreichbar war und für die der Terminplan zudem viel zu eng war. Dem stand der Wunsch seiner Frau nach mehr Unterstützung bei der Versorgung und Erziehung der beiden Kinder gegenüber. Seine Reaktion war ein Kompromiss: Zu wenig Zeit für das Projekt und zu wenig Zeit für die Familie. Projektleiter und Ehefrau waren nicht zufrieden und erhöhten den Druck. Sein Körper reagierte. Der Mann bekam Tinnitus, änderte aber nichts. Dann versagte sein Sprachzentrum. Er konnte nicht mehr sprechen und musste ins Krankenhaus. Erschwerend kam noch hinzu, dass der Mann sehr perfektionistisch war. Seine Gedanken kreisten immer nur darum, wie er es möglichst allen recht machen kann. Kritik löste bei ihm immer wieder die gleichen Gefühle und Gedanken aus: "Ich bin nicht gut genug. Ich muss funktionieren."
Welche Möglichkeiten gibt es, Stress zu reduzieren beziehungsweise besser damit umzugehen?
Es gibt leider kein Patentrezept. Was es braucht, ist ein ganzheitlicher Blick auf das Thema Stress. Wichtig sind dabei Übungen und Strategien für Körper, Geist und Seele. Eine kleine Übung, die im Alltag hilft, ist ALI. Atmen, Lächeln, Innehalten. Heutzutage gibt es eine ganze Reihe von Angeboten, bei denen sicherlich für jede und jeden etwas dabei ist. In meinen eigenen Seminaren geht es zum Beispiel darum, das Bewusstsein für die eigene Person zu entwickeln, sich seiner Stärken und seines Wertes bewusst zu werden, und darum, was dem Leben einen Sinn gibt. Wer diese Fragen für sich beantworten kann, ist messbar stressresistenter, das ist wissenschaftlich belegt. Das Thema Stress ist aber so komplex, man würde den Leuten Unrecht tun, zu sagen, es ist mit einem Seminar oder Kurs getan. Wichtig ist wie gesagt eine ganzheitliche Betrachtung aus unterschiedlichen Blickwinkeln.
Eines Ihrer Seminare hat neben dem Stressmanagement die Selbstfürsorge zum Thema. Was ist unter dem Begriff zu verstehen?
Es geht dabei darum, aufmerksam zu sein - sich selbst, seinem Körper und seinen Bedürfnissen gegenüber. Und darum, sich um sich selbst zu kümmern und ganz bewusst die Entscheidung zu treffen, "Ja" zu sich selbst zu sagen. Im Grunde ist Selbstfürsorge nichts anderes als eine wertschätzende Haltung sich selbst gegenüber. Diese kann sich im Alltag in ganz vielen kleinen Handlungen widerspiegeln. Selbstfürsorge ist aber so viel mehr, als sich abends ein Bad einzulassen oder ein gutes Buch zu lesen, wobei das natürlich auch dazu gehört. Selbstfürsorge ist, das will immer keiner hören (lacht), Arbeit. Es geht dabei zum Beispiel darum, wie man seinen Alltag mit größerer Gelassenheit gestalten kann, oder das schützen lernt, was wirklich wichtig ist.
Was müsste sich in der Gesellschaft ändern, um Stress für jede Einzelne und jeden Einzelnen zu reduzieren?
Ich würde sagen: Jede und jeder Einzelne kann etwas ändern, dann ändert sich gesamtgesellschaftlich etwas. Nachhaltige Veränderung fußt dabei auf drei Ebenen: dem Denken, dem Fühlen und dem Handeln. In allen drei Bereichen muss das Thema Anklang finden, damit sich etwas zum Positiven verändert. Wir Deutschen sind sehr kognitiv gesteuert, also auf das Denken fokussiert. Stressmanagement funktioniert aber nur bedingt, wenn man sich nur auf diese Ebene konzentriert.
Ist Stress ein deutsches Problem? Auch wenn man zum Beispiel berücksichtigt, dass Arbeit in der von Ihnen angesprochenen Studie der Techniker Krankenkasse als erste Ursache für Stress genannt wird.
Man kann schon sagen, dass Stress in Deutschland oder den westlichen Industrienationen in dieser Form eher ein Thema ist. Das hat auch damit zu tun, dass wir sehr hohe Ansprüche an uns selbst haben. Betrachtet man es so, dann ist Stress durchaus ein deutsches Phänomen. Interessant oder gar verwunderlich ist beispielsweise die Reihenfolge bei den Ursachen für Stress, die die Studie aufgezeigt hat. Man sollte doch meinen, dass die Sorge um eine erkrankte nahestehende Person mehr Stress auslöst als zum Beispiel die Arbeit. Meine Eltern stammen aus Süditalien. Würde man sich dort nach den Ursachen für Stress umhören, würde sich, da bin ich mir sicher, nie diese Reihenfolge ergeben. An erster Stelle steht dort die Familie. Man ist zwar froh, eine Arbeit zu haben, aber sie hat nicht den gleichen Stellenwert wie in Deutschland und sorgt damit auch für weniger Stress.
Ein Patentrezept für den Umgang mit Stress gibt es nicht, wie Sie vorhin erklärt haben. Haben Sie dennoch zum Abschluss ein paar Tipps für unsere Leserinnen und Leser?
Erstens: Es sind viele kleine Dinge, die Veränderung bewirken. Dazu gehört zum Beispiel das Neinsagen zu lernen und gleichzeitig auch ein "Nein" vom Gegenüber zu akzeptieren. Zweitens: Den eigenen Wert kennen. Jede und jeder von uns ist zu 100 Prozent wertvoll, unabhängig von dem, was andere sagen oder denken. Drittens: Vermeintlich kleine Dinge nicht vor sich herschieben. Viertens: Die eigenen Ansprüche überdenken. Fünftens: Eine gesunde Fehlerkultur leben. In vielen Unternehmen zum Beispiel sind Fehler nicht gewünscht, sodass sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht mehr trauen, Fehler zuzugeben. Dabei passieren Fehler tagtäglich. Und sechstens: Dankbarkeit im Alltag kultivieren. Man kann hier zum Beispiel ein Tagebuch führen, in dem man jeden Tag ein bis drei Sachen notiert, für die man dankbar ist. Oder ein Glas mit Glücksmomenten füllen. Eine bekannte Variante ist auch, morgens fünf Steine oder Perlen in die linke Hosentasche zu stecken und jedes Mal, wenn etwas Gutes passiert, einen Stein oder eine Perle in die rechte Hosentasche wandern zu lassen. Damit macht man sich bewusst, über welche Dinge man sich gefreut hat. Stresserkrankungen oder auch Depressionen heilen erwiesenermaßen viel schneller, wenn man Dankbarkeit praktiziert.
Zur Person: Schon als Kind habe sie die Frage beschäftigt, wie Leben gelingen kann, berichtet Stefania Zastrow. Sie studierte Sozialpädagogik in Braunschweig und fing während ihres Studiums mit einer Zusatzausbildung als Lebensberaterin und Seelsorgerin an, wie auch auf ihrem Internetauftritt zu lesen ist. Seit Ende 2006 betreibt Zastrow eine eigene Praxis. Zudem arbeitet sie seit einigen Jahren als Beraterin für das Weiße Kreuz. Die 47-Jährige ist unter anderem auch als Referentin unterwegs. Am 25. März steht sie beispielsweise mit einem Seminar zum Thema "Körper, Geist und Seele in Balance bringen" auf dem Spirituellen Programm des Kurhaus Hotels Bad Bocklet.