Terrier Lotta auf einem ihrer Lieblingsplätze. Sie wurde von einem Auto angefahren und starb an den Folgen. Foto: Anke Kuester (wirklicher Name der Hundebesitzer der Redaktion bekannt)
Terrier Lotta: Sie wurde von einem Auto angefahren und starb an den Folgen. Foto: Anke Kuester (wirklicher Name der Hundebesitzer der Redaktion bekannt)
Der tödliche Unfall eines Hundes zeigt auf, wie dünn die tierärztliche Versorgung im Landkreis aufgestellt ist. Die Tierärzte sind massiv überlastet. Nachts findet sich manchmal nur schwer Hilfe.
Pfingstmontag, 21.30 Uhr, 30er-Zone. Lotta, eine kleine Terrierhündin, rennt auf die Straße, direkt vor ein Auto. Das Tier ist nach dem Zusammenstoß benommen. Äußerlich ist kein Blut zu sehen. Im Körbchen bleibt sie wimmernd liegen. So schildert die Besitzerin die Situation.
Sie soll in diesem Text Anke Kuester heißen. Gemeinsam mit dem Nachbar-Ehepaar beginnt sie spätabends Tierärzte in der Region anzurufen, während sich ihr Mann um Lotta kümmert. Eine nervenaufreibende Suche beginnt.
Kein Tierarzt im Dienst
Die Tierärztin, zu der Anke Kuester sonst immer geht, ist im Urlaub. In den anderen Praxen sprechen die Stimmen der Anrufbeantworter jedes Mal einen ähnlichen Text: "Unsere Öffnungszeiten sind von Montag bis Freitag von 8 bis 17 Uhr..."
Zwischenzeitlich haben sich Kuesters Hundetrainerin Petra Will (bekannt aus der Kolumne "Lutzi lernt") und weitere Bekannte eingeschaltet. Niemanden, den die sechs Hundefreunde anrufen, geht am Feiertag spätabends ans Telefon oder kann weiterhelfen. Mit den Anrufen reift die Erkenntnis: Ein einfaches Abtasten von Lotta reicht nicht, sie muss geröntgt werden. Eine Tierklinik muss her.
Aber das nahe gelegene Kleintierzentrum von Heiko und Anna Grappendorf in Bad Kissingen hat seit über einem Jahr keinen Klinik-Status mehr. Heiko Grappendorf hatte bereits vergangenes Jahr eindringlich auf den eklatanten Personalmangel hingewiesen (wir berichteten). "Das macht es mir unmöglich, den Klinik-Status aufrechtzuerhalten, weil es einen 24-Stunden-Notdienst erfordert", sagte der Veterinär damals. Auch in Schweinfurt gibt es keine Tierklinik.
Tierärztliche Klinik Würzburg/Reichenberg
Die Tierärztliche Klinik Würzburg/Reichenberg gehört zu den wenigen verbleibenden Tierkliniken, die noch 24-Stunden-Notfalldienste anbieten. Auf ihrer Homepage steht: "Für Notfälle ist 24 Stunden am Tag - egal ob Wochenende oder Feiertag - mindestens ein Tierarzt aus unserer Klinik unter der Tel. 0931 69017 erreichbar." Nur ausgerechnet abends, an jenem Pfingstmontag, da geht keiner ans Telefon.
Geschäftsführer Dr. Wilhelm Thevis sagt, er hätte eigentlich Dienst gehabt. Weil er Corona gehabt habe, habe es an zwei Tagen an der Tierärztlichen Klinik Würzburg/Reichenberg keinen Nachtdienst gegeben. Normalerweise habe die Klinik 365 Tage im Jahr Notdienst. "Wir sind sehr zuverlässig." Dass an Pfingsten niemand da war, der half, nennt er "wirkliches Pech" und "höhere Gewalt".
Tierärzte machen ständig Überstunden
Ist die Klinik überlastet? "Sehr überlastet", sagt Thevis. "Ich habe fünf Nachtdienste die Woche, arbeite sieben Tage, schlafe fünf Stunden pro Nacht."
Auch Grappendorf aus Bad Kissingen berichtete bereits vor einem Jahr von zahlreichen Überstunden - daran hat sich nichts geändert. Er stimmt zu, dass Tierbesitzer nachts auf sich allein gestellt seien. Er sagt: "Ich arbeite zehn bis elf Stunden täglich, ich kann nicht auch noch nachts vier Stunden arbeiten. Wie soll das körperlich funktionieren?"
Die Überstunden, der Personalmangel - das war Lottas Besitzerin bekannt. Sie kannte den Bericht unserer Redaktion. Dass es so ernst wäre, hätte sie aber nicht gedacht. 80 Kilometer weiter in der Tierklinik Lauertal bei Coburg findet sie schließlich spätabends Hilfe. Für Lotta kommt diese zu spät - sie stirbt noch in der Nacht, vermutlich an den Folgen einer Hirnblutung.
Strukturelle Defizite
Nicht nur auf dem Land, sogar an der Freien Universität in Berlin fehlen Tierärzte. "Wo keine Leute sind, kann ich keine herholen", sagt Dr. Karl Eckart, Präsident der Bayerischen Landestierärztekammer. Tierärzte müssten zahlreiche Überstunden leisten. Was die Hundehalterin erlebt habe, sei "noch ein Ausnahmefall, wir steuern aber auf den Regelfall zu".
Zu starre Vorgaben aus dem Arbeitszeitgesetz erschwerten die Personalplanung. Ist ein Arzt nachts bei einem Notfall tätig, muss er bis zum nächsten Dienstantritt eine exakt geregelte Pause einhalten. Das führt dazu, dass er für den Tagesdienst nicht eingesetzt werden kann.
Flexibilisierung der Arbeitszeit gefordert
Eckart fordert deshalb eine Flexibilisierung der Arbeitszeit. Er betont: "Wir wollen nicht, dass Angestellte oder Selbstständige 70 oder 80 Stunden die Woche arbeiten." Aber es brauche mehr Flexibilität.
Eine Folge des Personalmangels: Tierärztliche Kliniken nehmen deutlich ab, weil sie einen 24-Stunden-Notdienst erfordern.
Was ist mit dem Nachwuchs?
"Die Leute, die Tiermedizin studieren sind - vorsichtig gesagt - nicht unbedingt die Richtigen." Es gehe an den Universitäten weiterhin nach Numerus Clausus. Es gebe falsche Vorstellungen von dem, was es bedeute, Tierarzt zu sein. "Es ist nicht wie im Fernsehen, am Vormittag auf dem Küchentisch den Hund operieren und am Nachmittag sich in den Nachbarn verlieben." Tiermediziner sei kein Beruf, sondern eine Berufung.
Nur weil die Katze humpelt, ist das noch kein Notfall
Immer wieder berichten Tierärzte von Bagatellfällen, die sie während der Notdienstzeiten erreichen, dabei ist der 24-Stunden-Dienst wirklich nur für Notfälle gedacht. Als Notfall gelten Unfälle, lebensbedrohliche Erkrankungen oder wenn das Tier starke Schmerzen hat, schreibt Dr. Franz Arand, Vorsitzender des Tierärztlichen Bezirksverband Unterfranken.
Tierbesitzer sollten möglichst immer zunächst ihren Haustierarzt aufsuchen. In Unterfranken gebe es etwa 170 Tierarztpraxen, davon böten drei Praxen einen 24/7-Klinikbetrieb für Pferde an, zwei gebe es für Kleintiere.
Tierklinik für Pferde in Unterfranken
Er nennt die Tierärztliche Klinik für Pferde Großwallstadt [Anm. d. Red.: über 122 km von Bad Kissingen entfernt], die Tierärztliche Klinik für Pferde Großostheim [über 120 km entfernt] und die Tierärztliche Klinik Würzburg / Reichenberg [über 70 km].
Tierklinik für Kleintiere in Unterfranken
Wer Kleintiere hat, kann sich ebenfalls an die Tierärztliche Klinik Würzburg/Reichenberg [hier hatte es die Hundebesitzerin versucht,] oder an die Tierklinik Krafzel Höchberg bei Würzburg [etwa 70 km] wenden.
Der geschilderte Fall der Hundehalterin sei eine "absolute Ausnahme". Arand hält die tierärztliche Versorgung (mit Tierklinken) im Landkreis Bad Kissingen für gut.
Rechnung direkt bezahlen
Da die Tierhalter in der Praxis, die den Notfalldienst anbietet, meist nicht bekannt seien, müssen sie sich darauf einstellen, die Kosten der Behandlung vor Ort in bar oder mit der EC-Karte zu begleichen. Tierhalter sollten sich darüber klar sein: Mit der Haltung von einem Tier sei es nicht getan, sie habe Folgekosten. Die könne man mit einer Tierkrankenversicherung abfangen, "aber auch die kostet was", sagt Eckart.
Auch in der Tierklinik Lautertal wird sogar von bekannten Kunden verlangt, das die Notfallbehandlung sofort bezahlt wird. Die Visakarte einer Bekannten funktionierte jedoch nicht, sondern nur die Girocard. (Die "EC-Karte" gibt es seit 2007 nicht mehr). Hier sollte mal das Kartenlesegerät aktualisiert bzw. erneuert werden, denn es gibt mittlerweile Onlinebanken, die keine Girocard, sondern nur noch Visa und Mastercard anbieten. Es kann doch nicht sein, dass man im Notfall erst mal zum Geldautomaten gehen muss, wenn das Haustier kurz vor dem Sterben ist. Wir haben hier (noch) keine Verhältnisse wie in den USA.
Auch in der Tierklinik Lautertal wird sogar von bekannten Kunden verlangt, das die Notfallbehandlung sofort bezahlt wird. Die Visakarte einer Bekannten funktionierte jedoch nicht, sondern nur die Girocard. (Die "EC-Karte" gibt es seit 2007 nicht mehr). Hier sollte mal das Kartenlesegerät aktualisiert bzw. erneuert werden, denn es gibt mittlerweile Onlinebanken, die keine Girocard, sondern nur noch Visa und Mastercard anbieten.
Es kann doch nicht sein, dass man im Notfall erst mal zum Geldautomaten gehen muss, wenn das Haustier kurz vor dem Sterben ist.
Wir haben hier (noch) keine Verhältnisse wie in den USA.