Karl Müller geht wegen Bauschäden vor Gericht. Doch der gerichtliche Gutachter misst nicht, was seine Gutachter messen.
Es sind nur wenige Zentimeter, doch sie haben das Vertrauen von Karl Müller erschüttert. "Wenn Lügen vor Gericht mehr zählen als eidesstattliche Erklärungen, dann weiß ich nicht mehr, in welchem Land wir leben." Der 69-jährige Brückenauer hat eine Mauer, die sein Grundstück zum Hang hin absichert. Doch seitdem direkt darunter ein Einfamilienhaus er richtet wurde, ist die Mauer in Bewegung.
Müller führt das auf die Bodenarbeiten zurück. Doch der Gutachter des Landgerichts Schweinfurt sieht das anders.
Müller sammelt Beweise Alles begann damit, dass am Hang direkt unter Müllers An wesen ein neues Haus gebaut wurde. Die Baufirma trug den Hang bis wenige Zentimeter vor der Stützmauer ab - und zwar 5,5 Meter tief, sagen Müllers Gutachter.
Das wäre an sich kein Problem, doch Müller sieht, dass der Hang nicht gesichert wird, wie es bei Bauprojekten dieser Größenordnung üblich ist. "Es gab keine Hangsicherung wie zum Beispiel einen Berliner Verbau, der in der Erde rückverankert wird", berichtet Alfred Ditzel vom gleichnamigen Ingenieurbüro. Er hat im Auftrag von Müller von Anfang an ein Auge auf die Mau er - und die Baustelle.
Doch zwei Jahre lang tut sich nichts.
Im Sommer 2009 jedoch misst Ditzel eine Bewegung. Sofort strengt Müller ein selbstständiges Beweissicherungsverfahren an. Ein solches Verfahren ist ei gentlich dazu da, Schäden, die durch ein Bauprojekt verursacht worden sein könnten, schnell und unkompliziert zu dokumentieren. Das Ergebnis des vom Gericht bestellten Gutachters dient dann als Grundlage einer Klage auf Schadensersatz.
Doch im Fall Müller zieht sich das Ver fahren über vier Jahre hin.
Kritik an Messweise Der Grund: Der gerichtliche Gutachter misst nicht, was Müllers Gutachter messen. Drei Gutachter bescheinigen Müller, dass sich die Mauer bewegt hat: Alfred Ditzel aus Bad Brückenau, Siegmar Mahlmeister aus Bad Bocklet und Hans-Jörg Franke vom geologischen Institut Würzburg.
Mahlmeister und Ditzel erklären vor Gericht so gar an Eides statt, dass ihre Messungen von den Ergebnissen des gerichtlichen Gutachters um mehrere Zentimeter abweichen.
Der gerichtliche Gutachter sei zwar gekommen, sagt Müller, aber "er hat nicht nachgemessen und keine Schnur gespannt." Seine Gutachter dagegen dokumentieren von 2007 an mit Schnur und Zollstock eine Verschiebung um 5 Zentimeter.
Die Bewegung führen sie eindeutig auf fehlende Sicherungsmaßnahmen während der Bauphase zurück. Zudem sei später eine Holzwand als Stütze angebracht worden - aus Fichtenholz. "Wenn die durchfault, kommt doch der ganze Hang ins Rutschen", beschwert sich Müller.
Vier Mal legt der gerichtliche Gutachter seine Ein schätzung vor. Vier Mal widersprechen Müllers Gutachter.
Im Dezember 2012 erklärt der Richter das Verfahren schließlich für beendet. Von einer Klage raten Müller mehrere Anwälte ab. Zu groß sei die Gefahr, damit nicht durchzukommen. Zu teuer war das Verfahren bisher. Von einer fünfstelligen Summe spricht Müller. Doch die Geschichte wurmt ihn. "Wozu braucht man überhaupt einen Gutachter, wenn er das Gericht wiederholt falsch informieren darf und dies vom Gericht geduldet wird?", fragt er sich.
Keine Chance beim Staatsanwalt "Wir haben es hier mit einem klassischen Gutachter-Streit zu tun", sagt Ernst Wich-Knoten, Präsident des Landgerichts Schweinfurt. Jeder Beteiligte ha be das Recht, die Messungen der jeweils anderen Seite in Frage zu stellen. "Das erklärt auch die Dauer des Verfahrens", betont Wich-Knoten. Müller hat einen Wechsel des gericht lichen Gutachters beantragt. Ohne Er folg.
Wich-Knoten zufolge müsse für einen Wechsel des Gutachters dessen Gutachten ungenügend sein. "Unzufriedenheit mit dem Messergebnis an sich ist noch kein Grund."
Müller geht nicht zivilrechtlich gegen den Bauherrn vor. Stattdessen stellt sein Anwalt Strafantrag bei der Staatsanwaltschaft Schweinfurt, um das Beweissicherungsverfahren überprüfen zu lassen. Doch die stellt sich hinter die Entscheidung des Landesgerichts.
Eine Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft in Bamberg scheitert ebenfalls.
"Es ist ein Skandal", sagt Müller. Seine rechtlichen Möglichkeiten seien ausgeschöpft und den Glauben an die Justiz habe er längst verloren. Doch von Aufgeben will er nichts wis sen. "Dann gehe ich eben an die Öffentlichkeit."
Ob Herr Ditzel die nach Statik erstellte Absicherung übersehen hat?