Doch die Amerikaner reagierten. Sie setzten auf eine nicht nur im Zweiten Weltkrieg bewährte Taktik: mit überlegener Beschusskraft die Stellungen des Feindes ausräuchern, um die Verluste an eigenen Soldaten klein zu halten.
So musste das kleine Römershag samt "Heilanstalt" dran glauben. Buri, nach einer ersten Begegnung mit den Amerikanern im Dorf zurückgekehrt, berichtet von massiven Schäden, vor allem im Dachstuhl und den Brückenau zugewandten Wänden des historischen Komplexes. Im Innenhof stand Schwester M. Philiberta, Konventsoberin und Heimleiterin - fassungslos, wütend. Sie habe nicht begreifen können, dass die Amerikaner ein Haus, in dem Hilfsbedürftige betreut wurden, angegriffen hatten.
Und so kam es zu einem weiteren kritischen Moment, als die ersten Soldaten des Kriegsgegners an die verriegelte Hauptpforte des Schlosses klopften. Buri beschreibt ihn 2019 in einem Beitrag der Heimzeitung "Schlosstrommel".
"Jetzt die Schläge! Gewehrkolben gegen massives Holz. Philiberta gibt (Sr.) Verena stumm ein Zeichen: Sie soll nun das kleine Fußgängertürchen entriegeln."
Es war ein kleiner Mann, der sich durchs Tor schob, weiß der Würzburger noch. "Zugehängt mit gegurteten Patronentaschen und Eierhandgranaten, das Gewehr auf uns gerichtet. Hunderte Male auf seinem Feldzug wird er verschüchterte Anwohner mit angstvoll pochenden Herzen und hochgestreckten Händen angetroffen haben."
Doch beinahe eskalierte die Situation. Denn Oberin Philiberta stürzte - noch aufgebracht wegen der Beschießung - auf den verdutzten jungen Soldaten zu. Der schoss nicht, sank auf die Knie, machte hastig das Kreuzzeichen der Katholiken. Die Schwester, sichtlich ruhiger, hielt ihre Hände verzeihend über seine Schultern. Nach und nach schoben sich seine Kameraden durch die Pforte.
Noch einmal wurde es brenzlig, als eine Nonne ein metallisches Ding anschleppte, offenkundig ein Blindgänger, der im Obergeschoss eingeschlagen war. Keiner der Amerikaner, die gerade von den Schwestern Eier empfangen hatten, war mehr zu sehen, so Buri. Später rückten Spezialisten der Army an und nahmen die Munition mit.
Für Walter Buri war der Krieg damit zu Ende. Er und seine Mutter zogen wieder in ihre noch stehende Unterkunft; der Vater ging in zweijährige Gefangenschaft. Der Zwölfjährige verdingte sich bei einem Bauern, wechselte im Januar 1946 aufs humanistische Gymnasium Münnerstadt. 1948 kehrte die Familie, zu der noch ein Bruder und eine Schwester gehörten, nach Würzburg heim.
In den Folgejahren sah Buri das Pflegeheim Römershag nur auf der Durchreise. Zu den Schwestern pflegte er keinen Kontakt. Aber 2018 stand er plötzlich im Hof der Einrichtung - und traf Heimleiter Roberto Ranelli. Der ihn bat, seine Erinnerungen festzuhalten. Übrigens: Die werden auch immer wieder lebendig, wenn er vom Ukraine-Krieg hört, liest oder Bilder davon sieht.