Ein halbes Jahrhundert lang Arzt

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Fertigmachen zum Ultraschall: Auch nach 50 Jahren als Arzt liebt Karl-Heinz Dathe seinen Beruf. Foto: Ulrike Müller
Fertigmachen zum Ultraschall: Auch nach 50 Jahren als Arzt liebt Karl-Heinz Dathe seinen Beruf. Foto: Ulrike Müller

Als Karl-Heinz Dathe im Hörsaal sitzt, wird die Mauer gebaut. Als in der BRD die Studenten protestieren, absolviert er seine Facharztausbildung in Meiningen. Und als endlich die Wende kommt, macht Dathe rüber ... nach Bad Brückenau.

Es gibt eine Generation, für die wird es immer ein "Hüben" und "Drüben" geben. Dr. Karl-Heinz Dathe gehört zu dieser Generation. Und wenn er in seiner Praxis von seinem Leben berichtet, so zieht ein Stück Zeitgeschichte vorbei.
Als Dathe am 18. Mai 1940 in Leipzig geboren wird, herrscht Krieg in Deutschland. Es ist ein Deutschland, und seine Grenzen sind grö ßer als früher. Als der junge Mann im Hörsaal sitzt, gibt es zwei deutsche Staaten. Ihre Teilung wird 1961 mit dem Bau der Mauer besiegelt. Neben medizinischen Vorlesungen stehen Fächer wie "Marxismus und Leninismus" auf dem Lehrplan. "Das hat uns geärgert, aber das durfte man natürlich nicht laut sagen", erzählt Dathe. Auch die Studentenproteste, die 1968 durch die Bundesrepublik Deutschland fegten, gingen an ihm vorbei. "Das haben wir nur aus dem Fernsehen mitbekommen", erzählt der Internist.

Vorteile für Funktionäre

Nach seinem Studium in Leipzig (1958 bis 1964) geht Dathe nach Thüringen. Am 1. September 1964 beginnt er sein praktisches Jahr in einer Poliklinik im Raum Suhl. 1966 wechselt er auf die Innere nach Meiningen, wo er bis 1970 seine Facharztausbildung absolviert - und hängen bleibt. Dathe wird Stationsarzt, später Oberarzt. "Wir waren ein tolles Team. Wir treffen uns heute noch", erzählt er.
Doch der politische Druck ist groß. Er macht auch vor den Krankenhäusern nicht halt. "Es wurde bevorzugt, auf alle Fälle", erzählt Dathe. Ein bis zwei Zimmer musste die Station vorhalten für den Fall, dass einer der Funktionäre krank wurde. "Da gab es dann auf einmal die Medikamente, an die wir sonst nicht so einfach rangekommen sind", berichtet Dathe. Schlimmer wog die persönliche Einschränkung. "Dieses Gefühl, eingesperrt zu sein und nicht rauszukommen", nennt Karl-Heinz Dathe es.

Vermerk in der Stasi-Akte

Karl-Heinz Dathe ist Internist mit Leib und Seele. Als Hobby eignet er sich den Schwerpunkt Infektions- und Tropenmedizin an. "Ich hätte gerne einmal im Ausland gearbeitet", erzählt er. In "befreundeten Staaten" wie Mosambik oder Nicaragua wäre das auch möglich gewesen, aber Dathe bekam keine Erlaubnis. Jahre später liest er in seiner Stasi-Akte, dass auch er unter Beobachtung stand.
Als der politische Wandel sich ankündigt, will Dathe nur noch weg. Auch in Meiningen gibt es Montagsdemos. "Das war ge waltig", erinnert er sich, "man hat eine ganz große Kraft gespürt." Doch diese Kraft reicht nicht, um ihn in seiner Heimat zu halten. Mit dem Mauerfall am 9. November 1989 ist eine Übersiedlung in die BRD für Dathe beschlossene Sache. Schon im Dezember verlässt er Meiningen. Die Familie kommt im Frühjahr 1990 nach.
Er bewirbt sich und findet Ar beit in Bad Brückenau. "Die medizinischen Möglichkeiten in der BRD haben mich völlig erschlagen", erzählt er. "Ich habe eine ganze Zeit gebraucht, um diese Fülle zu verkraften." Seiner Frau Ingrid, die eine psychotherapeutische Praxis in Bad Brückenau hat, ging es ähnlich. Als sie zum ersten Mal beim "Kupsch" in der Ernst-Putz-Stra ße einkaufen wollte, verließ sie das Geschäft fluchtartig, er zählt Dathe.
Die Übersiedlung in die Rhön war ein beruflicher Neuanfang für Dathe. Im ersten Jahr arbeitet er in der Praxis von Dr. We ber und im al ten Krankenhaus. 1991 steigt er in die Ge meinschaftspraxis von Dr. Wildenauer ein. Im Jahr 2001 macht er sich im Ärztehaus in der Bahnhofstraße 2 selbstständig - als Hausarzt. "Es gab schon genug Internisten in Bad Brückenau", begründet er die Ent scheidung, die ihm nicht leichtgefallen ist. "Ich hab das sehr gerne gemacht."

Zähe Suche nach Nachfolger

Wenn er 70 Jahre alt ist, so hat Dathe sich vorgenommen, will er aufhören mit der Arbeit. Nun ist er schon 74, und noch immer ist kein Nachfolger in Sicht, der die Praxis übernehmen könnte. Unter anderem beauftragte er eine Praxisbörse mit der Suche nach einem Nachfolger. "Ab und an gibt es Interessenten", sagt er, "aber es ist sehr zäh."
Mit diesem Problem steht er nicht allein da. "Wie findet man junge Leute, die als Arzt aufs Land kommen - zum Beispiel nach Bad Brückenau?", fragt sich Prof. Emanuel Fritschka, Vorsitzender des Ärz tevereins Bad Brückenau. Das Thema ist brisant, so brisant, dass es als ein zentrales Anliegen in das integrierte ländliche Entwicklungskonzepts (Ilek der Brückenauer Rhönallianz aufgenommen wur de.
"Der Stand des Arztes hat sich im Laufe der Zeit geändert", sagt Dathe und meint diesmal nicht die Unterschiede zwischen Ost und West. Die Schreibtisch-Arbeit habe zugenommen, der Aufwand an Bürokratie - etwa die eigene Arbeit gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung zu rechtfertigen - auch. "Ich denke, dass sich viele junge Kollegen scheuen, diese Ver antwortung zu übernehmen", so Da the. Und doch ist er selbst, als gestandener Arzt, in seiner eigenen Praxis sehr glücklich. Und wenn ihm doch mal alles über den Kopf wächst, dann schwingt er sich in die Lüf te. Denn Karl-Heinz Dathe ist nicht nur Arzt, sondern auch ein be geisterter Motorseglerpilot.