Beim Open Air im Staatsbad Brückenau bedient sich die Sängerin und Kabarettistin aus dem immerjungen Fundus der Beziehung von Mann und Frau
Als Ina Müller von ihren vier Schwestern erzählt, steht sie - lichtumflutet - mitten im Publikum. Die Menschen, mit denen sie in ihrer Kindheit gespielt, herumgelungert, hinterm Supermarkt geraucht und sich auch mal "gekloppt" hat - sie bedeuten ihr einiges. Ein bewegender Moment ihres Auftritts im Staatsbad Brückenau. Und davon hatte dieser Abend einige.
Ina Müller ist geradeaus, dabei unterhaltsam, lustig. Sie trifft den Nagel auf den Kopf. Aber vor allem ist sie - authentisch. Das zeigt sich schon in der ersten Szene. Punkt 20:02 Uhr tritt sie auf die Bühne. Und gesteht gleich: "Bad Brückenau - ich wusste gar nicht, dass es euch gibt." Dann legt sie nach: "Bad Brückenau, ich nehm' Dich, wie du bist.". Schließlich nimmt die Wahl-Hamburgerin ihr pünktliches Erscheinen aufs Korn: "Da staunen sie, die Bayern. Wenn die Preußen kommen, dann geht es um 8 Uhr los."
Konzerttour trotz "Elefantenfuß"
Das klingt frech, vielleicht etwas anmaßend. Aber es nimmt die Zuschauer umgehend mit. Zumal Ina Müller auch noch mit dem Mitleidsfaktor punkten kann. Am rechten Bein trägt sie "Elefantenfuß", am linken weißen Sportturnschuh, statt der üblichen High Heels. Irgendwann - Anfang der Konzertsaison - hat sie sich den Fuß gebrochen. Ihre Tournee wollte sie deshalb nicht absagen, auch nicht den finalen Auftritt im beschaulichen Staatsbad.
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Und so erleben etwa 2500 Besucher eine Mischung aus eingängigem Poprock und Comedy. Wobei Müllers Stärken anfangs vor allem im gesprochenen Teil liegen. Da "schnackt" die 53-Jährige über Trennung, Warsteiner-Wampen bei Männern, Frauen, die im Alter schrumpfen und kastenförmig werden wie Bernd, das Brot. Oder über den Zellabbau, der schon mit 26 beginnt und entsprechende Spuren am und im Körper hinterlässt. Die immer spannungsgeladene Beziehung zwischen den Geschlechtern - sie ist der unerschöpfliche Fundus, aus dem sich Ina Müller bedient. Das gilt auch für ihre Lieder.
Mitunter flache Reime, aber aus dem Leben gesungen
Müllers Songs erscheinen auf den ersten Lauscher nicht als die Spitze der deutschen Dichtkunst, siehe die Textzeile "Selbst meine Falten können mein Make-Up nicht mehr halten". Aber irgendwie sind sie aus dem Leben gesungen, bergen immer ein Fünkchen Wahrheit. Wie der von ihr dahingerotzte Satz: "Liebe ist das Licht des Lebens; die Ehe ist die Stromrechnung."
Ina Müller spricht - nicht ohne ironischen Blick auf sich selbst - den Sportwahn und die Hatz nach drahtigen Körpern, auch im Alter, an. Bei "Zalando" hüpft sie mit ihrem Klumpfuß umher, als hinge er gar nicht an ihr dran. Das hat Folgen. Nach dem Lied muss sie sich erschöpft von Security-Mann "Ahmed" über die Bühne tragen lassen - ein knackiger Teil des Auftritts, der viele im Publikum amüsiert. Später erhält Ahmed von Müller den Titel des "zuvorkommendsten Security, dem ich vor und auf der Bühne begegnet bin".
Taschenlampen-Apps leuchten auf
Mit der Dämmerung kommen im Staatsbad die langsameren Lieder. Und damit der emotionale Moment, wo die Frau aus dem beschaulichen niedersächsischen Köhlen bei Bremerhaven zum Lobgesang auf ihre Schwestern anhebt. Eine Ode an die Heimat und eine Zeit, in der vieles viel einfacher schien. Und es laut Müller den Begriff "elterliche Aufsichtspflicht" noch nicht gab.
Schön noch einmal das Lied "Schuhe", in dem es um eine typisch frauliche Bedürfnisbefriedigung - das Schuhekaufen - geht. Da schafft es die Künstlerin sogar, ihren Klumpfuß wie beim Cancan nach oben zu werfen.
Für die letzten Lieder bittet Ina Müller die in ihren Sitzreihen eingezwängten Zuhörer vor die Bühne. Wo vorher das Handyfilmen - und fotografieren nicht gern gesehen war, dürfen nun die Taschenlampen-Apps leuchten. Das verleiht dem Staatsbad die Feier-Atmosphäre, die der Abend verdient hat. "Meine Band, mein Bad Brückenau", schreit die 53-Jährige begeistert ins Publikum. Und spricht den Regen an, der gottlob ausblieb. Ob sie weiß, dass das beim Staatsbad-Open-Air ein sensibles Thema ist?