2020 wäre er fast an Corona gestorben - wie geht es Ihnen heute, Herr Schreiner?

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Thomas Schreiner war elf Wochen zur Reha in Bad Kissingen. Der Manager einer Champagner-Firma ist noch erschöpft und wird ärztlich betreut. Foto: Screenshot Susanne Will/ARD Mediathek/defacto/Hessischer Rundfunk
Thomas Schreiner war elf Wochen zur Reha in Bad Kissingen. Der Manager einer Champagner-Firma ist noch erschöpft und wird ärztlich betreut. Foto: Screenshot Susanne Will/ARD Mediathek/defacto/Hessischer Rundfunk
Thomas Schreiner im Frühsommer 2020 vor dem Regentenbau in Bad Kissingen. Seinen Optimismus hat er behalten, auch wenn er noch nicht ganz gesund ist. Foto: Susanne Will
Thomas Schreiner im Frühsommer 2020 vor dem Regentenbau in Bad Kissingen. Seinen Optimismus hat er behalten, auch wenn er noch nicht ganz gesund ist. Foto: Susanne Will
 

Der Champagner-Manager ist noch erschöpft, kurzatmig, wird ärztlich betreut. Er erzählt, warum er dennoch optimistisch bleibt.

Vor einem Jahr kämpfte Thomas Schreiner (64) um jeden Schritt. Buchstäblich. Nach seiner Covid-Infektion lag der Manager einer Champagnerfirma vier Wochen im künstlichen Koma, er wurde beatmet, sein Blut extern mit Sauerstoff angereichert. Es schloss sich eine Reha in Bad Kissingen an. Elf Wochen lang arbeitete Schreiner hier daran, wieder ein Leben zu führen, das sich für den agilen Mann nach Normalität anfühlte. Ein Jahr später fragten wir nach: Ist er nun ganz gesund? Nicht ganz. Der Mann hat wie viele mit Spätfolgen der schweren Erkrankung zu kämpfen. Aber: Er ist glücklich, dass er es bis hierhin geschafft hat.

"Endlich wieder die einfachsten Sachen machen können"

Dass er noch nicht ganz gesund ist, sieht man dem Mann jetzt nicht mehr an. Thomas Schreiner arbeitet wieder, er ist Manager der Champagner-Marke Laurent-Perrier, er wirkt viel jünger als 64. Seine Prioritäten haben sich seit der Corona-Erkrankung deutlich verschoben. Sein Leben vor Corona: Die Umsatzzahlen hochhalten, Events, Partys und Treffen mit den Schönen, Reichen und Berühmten. Ein tolles Leben, das bestätigt der Mann, von dem eine faszinierende Leichtigkeit ausgeht. Heute zählt zum tollen Leben aber auch dazu, vor seinem Haus im Hessischen einfach das Laub zu rechen. "Darauf habe ich mich in der Reha wahnsinnig gefreut - endlich wieder einfachste Sachen machen zu können."

Grundmüdigkeit

Die Reha war in der Bavaria-Klinik, er wird nicht müde zu betonen, welchen "tollen Job" das Pflegepersonal und die Therapeuten damals machten. Ohne dieses Bemühen - und ohne seinen eisernen Willen - sei er jetzt noch nicht da, wo er heute steht. Und das heißt: "Ich bin zufrieden. Auch wenn ich eine Grundmüdigkeit habe und noch oft zu Ärzten gehen muss."

50/50-Überlebenschance

Die Nachfolgen von Corona sind so unterschiedlich wie die Menschen, die das Virus erwischt. In Schreiners Fall sind das: Augenbeschwerden, Hautveränderungen, Venenprobleme, Stimmbandverletzungen. Und dieses Gefühl der Abgeschlagenheit. Dennoch sagt er: "Ich bin zu 85 Prozent wiederhergestellt." Und über die 85 Prozent ist er ausgesprochen froh. "Der Arzt sagte damals zu mir: Menschen mit Ihrem Krankheitsverlauf haben zu 50 Prozent nicht überlebt."

Viele Arzttermine

Zu seinem neuen Alltag gehören Arztbesuche. "Ein- bis zweimal im Monat bin ich bei Medizinern", sagt er. Erst vor wenigen Tagen sind seine Antikörper wieder gemessen worden, "ich habe viele, die auch in den Zellen funktionieren", dennoch hält er sich strikt an die Abstandsregeln und trägt Maske. "Ich zucke zurück, wenn mir jemand die Hand geben will." An seiner Linken fehlt ein großes Stück des Zeigefingers. Sein Körper war so mit der Bekämpfung des Virus beschäftigt, dass die Kraft des Herzens nicht ausreichte, den Finger ausreichend zu durchbluten. Er musste noch im Krankenhaus amputiert werden. Thomas Schreiner nimmt es mit Humor: "Blöd für einen Linkshänder. Aber meine Schrift konnte vorher schon niemand lesen."

Hessischer Rundfunk porträtierte ihn

Der Journalist Franco Foraci hat für den Hessischen Rundfunk eine beeindruckende Dokumentation gedreht. Foraci suchte drei Menschen auf, die Corona nach schwerem Verlauf überlebt hatten, und ließ sie auf das Jahr zurückblicken. Einer der drei Protagonisten ist Thomas Schreiner. Die Doku "Nie wieder gesund? Die Spätfolgen von Corona" unter der Reihe "defacto" ist noch in der ARD-Mediathek abrufbar.

Abgemagert auf der Intensivstation

Thomas Schreiner ist in dem Film zu sehen und zu hören: Wie er völlig abgemagert und mit Schläuchen bedeckt auf der Intensivstation dennoch in die Kamera blickt; wie er mit Hilfe eines Gehroboters Schritte lernt; wie er sich von 70 auf 82 Kilogramm hocharbeitet und Kraft in seine völlig erschlafften Muskeln pumpt. "Es kam mir zugute, dass ich früher sehr sportlich war", sagt der Mann - und eingeblendet werden Sequenzen von ihm beim Skifahren, sie zeigen einen strahlenden Kerl, dem scheinbar nichts etwas anhaben kann.

Hörbar kurzatmig

Jetzt macht er jeden Morgen Atemübungen, dennoch ist er hörbar kurzatmig, doch Jammern gilt für ihn nicht. "Ich bin super zufrieden." Denn sein größter Traum ist in Erfüllung gegangen: Er kann wieder Golf spielen, hat sogar schon ein Turnier gewonnen. "Und auch da fehlt der Zeigefinger nicht", sagt der Optimist.

OP an den Stimmlippen

Eine Operation an den Stimmlippen war eine Folge der Beatmung. Als Schreiner im Frühsommer 2021 mit dieser Zeitung sprach, war er hörbar heiser. Eine Entzündung hatte wildes Fleisch an den Stimmlippen gebildet, die den Kehlkopf einengten. Per Laser wurden die Wucherungen entfernt, jetzt klingt seine Stimme wieder glasklar.

Dass viele sich darüber ärgern oder mokieren, dass ihnen die Freiheit von früher fehlt, kann er nicht verstehen. "Was haben unsere Eltern denn im Krieg gesagt? Denen wurden wirklich sechs Jahre ihres Lebens geklaut. Wer jetzt Freiheit schreit, ist egoistisch."

"Probleme verlieren an Dramatik"

Auch wenn das Champagner-Geschäft derzeit zusammengebrochen ist, da derzeit nichts gefeiert, nichts eröffnet, auf nichts angestoßen wird, ist Schreiner nicht verzweifelt, wie im Film zu sehen ist. "Es ist ein anderer Blickwinkel, den man jetzt hat. Probleme verlieren an Dramatik." Und die kleinen Dinge im Leben gewinnen an Bedeutung. "In der Reha in Bad Kissingen habe ich mir nichts mehr gewünscht, als dass ich wieder ein ganz normales Leben führen kann, mit allen Normalitäten. Die Vergangenheit lass ich jetzt weg, an der Zukunft erfreue ich mich. Die Normalität ist etwas Schönes - und wenn es nur darum geht, die Mülltonne an die Straße zu stellen oder ins Büro zu gehen. Das genieße ich jetzt."

Sehnsucht nach den Alpen

Mit langen Wanderungen hält er sich fit. Doch er will noch fitter werden. "Mein nächstes Ziel sind die Alpen, ist Skifahren. Danach sehne ich mich." Dass das noch dauert, weiß er. Aber: "Ich bin und bleibe Optimist. Und so funktioniere ich auch: Wenn ich Champagner verkaufe, genügt es nicht, Prosecco im Kopf zu haben."