In der Bamberger Buchhandlung Collibri diskutierte der Politikwissenschaftler Wolfgang Kraushaar über sein Buch "Aufruhr der Ausgebildeten". Es ging über Ursachen, Aufstieg und Niedergang der Occupy-Bewegung.
Wie schnell publizistische Schnellschüsse verpuffen können, zeigt Wolfgang Kraushaars
Buch "Der Aufruhr der Ausgebildeten. Vom Arabischen Frühling zur Occupy-Bewegung". Der
Politikwissenschaftler forscht an Jan Philipp Reemtsmas Hamburger Institut für Sozialforschung
vornehmlich über Protestbewegungen in der BRD und DDR, über die Geschichte der Neuen
Linken, über Totalitarismus.
Die Occupy-Bewegung passte daher genau in sein
wissenschaftliches Raster. Allein: Nach dem furiosen Auftakt in Herbst und Winter 2011 ist sie nur
noch "ein Schatten ihrer selbst", diagnostizierte der 64-jährige Wissenschaftler am
Dienstagabend in der Buchhandlung Collibri (Mitveranstalter war die Fachstelle Sozialkunde der
Bamberger Uni), wo er aus seinem Buch las und dessen Kernthesen diskutierte.
Des Defätismus wollte er sich von einigen murrenden Zuhörern jedoch nicht zeihen
lassen, analysierte stattdessen Entstehungsbedingungen und Grenzen dieses rasch aufgeflammten und
ebenso rasch wieder verschwundenen multinationalen Phänomens.
Dessen Chronologie
skizzierte Kraushaar, der den weitaus größeren Teil der Veranstaltung mit Antworten auf
Publikumsfragen bestritt und weniger vorlas, genau. Ausgehend vom Arabischen Frühling wollten
Aktivisten in Vancouver, interessanterweise ehemalige Vietnamkriegsgegner, eine "Brücke von
Kairo nach Manhattan" schlagen, weil sie diagnostiziert hatten, dass "wir in Amerika auch unter
einer Art Regime" leben - dem von Banken, Finanzkapital, Politik unter dem Primat neoliberaler
Ideologie. Die Bewegung mit Camps vor Banken und auf öffentlichen Plätzen breitete sich
von den USA aus wie ein Lauffeuer: Spanien, Portugal und auch eher bescheiden Deutschland folgten.
Direkte staatliche Repression wie in den USA und Spanien und interne Spannungen wie in Deutschland
ließen die Occupy-Bewegung rasch versanden.
Der Politikwissenschaftler analysierte
Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Protagonisten je nach Land. Es handelt(e) sich um junge
Erwachsene, gut ausgebildet, ohne berufliche Perspektive. Die mitnichten antikapitalistisch
gestimmt waren, sondern auf der Suche nach "Teilhabe an der Normalität". Ihr Scheitern
- außer im Sonderfall Ägypten - führte Kraushaar darauf zurück, dass sie
Leitfiguren verhindert und keine Forderungen formuliert hätten: "Der Ansatz war richtig, die
Umsetzung fehlerhaft", fasste der Protest-Forscher zusammen. Zwiespältig war seine
Einschätzung einer oft kolportierten "Facebook-Revolution". Soziale Medien hätten die
Mobilisierung befeuert, den weiteren Verlauf aber wenig beeinflusst.
Entstanden seien
die Krisenprozesse durch die neoliberale Politik seit den 80er Jahren in den Ländern der EU
und der USA. Das "tendenzielle Versagen der politischen Instrumente gegenüber dem
Marktgeschehen" sei in der Finanzkrise seit 2008 kulminiert. Kraushaar warnte jedoch vor einem
altlinken Mythos: "Materielle Depravierung muss nicht zu politischer Mobilisierung führen."