Die Reihe am Dechsendorfer Weiher fand am Sonntagabend ihren vorläufigen Höhepunkt.
"Drive" ist im Jazz schwer zu fassen, mehr ein Empfinden als auf dem Notenblatt transkribierbar. "Intensität" umschreibt den Terminus ganz gut. Die Konzertreihe "Jazz am See", am Sonntag zum vierten Mal vom Verein Klassikkultur veranstaltet - recte zum dritten Mal, denn die Premiere war einem Unwetter zum Opfer gefallen -, scheint analog zur Musik dieser Intensitätssteigerung folgen zu wollen: Denn einerseits war noch nie Jazz von solchem Format auf der Bühne am Dechsendorfer Weiher zu hören, andererseits steigerte sich die Qualität des Programms von "Gut" zu "Weltklasse".
Denn zur perfekten Organisation und Technik hatte sich eine Neuerung gesellt. Bisher hatte der künstlerische Leiter Torsten Goods Musiker ausgesucht, die er persönlich kannte. Diesmal war mit dem Branford Marsalis Quartet featuring Kurt Elling eine weltweit renommierte Combo gefunden worden, die seit Wochen durch Europa tourt. Kurt Elling gilt als einer der besten Jazzsänger gegenwärtig, wenn nicht der beste. Punkt.
Zuvor jedoch war im ersten Konzertteil Curtis Stigers solistischer Gaststar. Sehr vokalorientiert war dieser Abend also. Kein Zufall, denn eigentlich war der Jazz- und Pop-Sänger Al Jarreau für die vierte Jazz-am-See-Runde engagiert worden; allein, der 77-Jährige war im Februar dieses Jahres überraschend gestorben. Schnell künstlerisch gleichwertigen Ersatz zu finden galt es also für die Veranstalter, und das ist ihnen gelungen.
Stigers, ungemein vielseitiger Sänger und Saxophonist, dessen Schnulze "I Wonder Why" jeden gestandenen Jazzhörer zusammenzucken lässt, kann jedoch viel mehr. Sein raues Organ, sein graues Haar und scharf geschnittenes Gesicht verleihen ihm etwas Wölfisches. So singt er bluesgetränkte Songs für die Rocker-Serie "Sons of Anarchy". Auf der Seebühne gab er jedoch eher den Sinatra-Revenant, kongenial begleitet von Torsten Goods an der Gitarre, dem famosen Julian Wasserfuhr an Trompete und (meist) Flügelhorn, dessen Bruder Roman an den Keyboards, dazu der Rhythmusgruppe Christian von Kapphengst (Bass) und Felix Lehrmann (Schlagzeug).
Nach der Pause: "richtiger" Jazz
Vom ersten Takt an war klar, dass hier Profis auf der Bühne standen: Das sanft swingende "You Make Me Feel So Young" eröffnete ein Dialog zwischen Trompete und Saxophon, schön überlagert von der rauchigen Stimme Stigers'. Die erfreute die erste Hälfte des Konzerts durchwegs, einer ersten Hälfte, die von meist erträglichem Pop-Jazz geprägt war, ob in John Lennons "Jealous Guy" oder Van Morrisons "No Religion". Hervorragende Instrumentalisten, die in ihren Soli am doch recht einfachen harmonischen und rhythmischen Gerüst solcher Kompositionen rüttelten. Richtig warm lief die Band erstmals beim rockjazzigen "Tutto" der Brüder Wasserfuhr. Roman mit langen Tiraden am E-Piano, Julian presste viele Flügelhorn-Töne in die Takte - chapeau! Einer wie Stigers kann auch Scat, klar, das war zu hören, so wie Goods die Finger über die Saiten tanzen ließ im Duett mit Stigers' Saxophon. Eine sophisticated Version von "Everyday I Have The Blues", und ab ging's in die Pause.
Das war alles gut, aber (nicht nur) für den Puristen ein bisschen unbefriedigend. Das änderte sich, als der Saxophonist Branford Marsalis mit seinem Quartett aufspielte. Endlich "richtiger" Jazz. Unglaublich, welches Feuer der Bandleader, meist am Sopransaxophon, mit dem Pianisten Joey Calderazzo, dem Bassisten Eric Reves und dem fulminanten Schlagzeuger Justin Faulkner, auf der großen Bühne eng zusammengerückt, entfachen können, durch langjähriges Zusammenspiel sich blind vertrauend, einander umspielend, mal begleitend, mal rivalisierend, immer perfekt. Im Hard Bop verankert, lappten die Improvisationen zuweilen eine Spur ins Freie, verwundeten die Hörgewohnheiten eines sehr großen Publikums jedoch kaum. Marsalis hielt sich oft im Hintergrund, ließ seinen Pianisten im Trio eine musikalische Matrix knüpfen. Besonders Schlagzeuger Faulkner bezauberte, wie er mal die Felle zärtlich streichelte, mal eine Snare Drum demolierte. Ein wunderbarer Musiker!
Und da war ja noch Kurt Elling. Der 50-Jährige ist als Crooner so gut wie als Bossa-Nova-Sänger oder als Interpret anspruchsvoller Kompositionen von George Gershwin. Vokal- und Instrumentalbrillanz alternierten in "There's A Boat Dat's Leavin' Soon For New York", aber auch Mouth-Box-Spielereien in der Zugabe kann Elling. Al Jarreau ruhe in Frieden, aber das war vollwertiger Ersatz. - Karten für Jazz am See 2018 gibt es bereits.