Wo ist das Ventil für den Frust? Das war die zentrale Frage vor dem Parteitag einer angeschlagenen SPD. Nach drei Tagen lautet die Antwort: Es gab kein Ventil. Die Partei hat sich hinter ihrem Kanzler versammelt.
Viel besser hätte der SPD-Parteitag für Bundeskanzler Olaf Scholz und die Parteispitze nicht laufen können. Trotz desaströser Umfragewerte haben die 600 Delegierten ihr Führungstrio aus den Vorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil sowie Generalsekretär Kevin Kühnert mit satten Wahlergebnissen gestärkt. Der Kanzler wurde für eine kämpferische Rede gefeiert, die ihm kaum noch jemand zugetraut hatte. Und die Rebellen der Jusos blieben zahm und legten eine Bauchlandung mit Anträgen gegen die EU-Asylpolitik hin.
Die größte Regierungspartei SPD, die in den Umfragen inzwischen mit 14 bis 17 Prozent als drittstärkste Kraft weit hinter Union und AfD rangiert, hat die Reihen geschlossen und sich hinter ihrem Kanzler versammelt. Der hat nun aber eine noch schwierigere Mission zum Erfolg zu bringen: Die Schließung des 17-Milliarden-Lochs im Haushalt für 2024 und die Finanzierung großer Vorhaben zur Modernisierung der Wirtschaft. Am Ausgang seiner Verhandlungen mit Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) hängt das Schicksal der Ampel-Regierung.
Zwei Lehren: Kanzler kann reden - SPD kann sich zusammenreißen
Es gibt zwei Dinge, die viele überrascht haben bei diesem Parteitag: Der kämpferische Auftritt des Kanzlers und die Disziplin der Delegierten. «Er ist eben kein guter Redner.» Das ist einer der häufigsten Sätze über Olaf Scholz. Oft klammert er sich an seinen Text, rattert schon häufig Gesagtes herunter, ohne Emotionen. Seine Regierungserklärung zur Haushaltskrise im Bundestag wird zu den schlechtesten Reden seiner Amtszeit gezählt.
Auf dem Parteitag zeigt Scholz, dass es auch anders geht. 51 Minuten ohne Manuskript. Er streichelt die Parteiseele, indem er einen Abbau des Sozialstaats ausschließt und ruft zur Geschlossenheit auf: «Wir müssen zusammenhalten und einen klaren Kurs haben.»
Fast fünf Minuten stehender Applaus sind der Dank der Delegierten. «Die hat uns im Herzen angefasst, ganz ehrlich im Herzen angefasst», schwärmt Parteichefin Esken anschließend von der Rede. Die SPD hatte vorher schon bei der Wiederwahl der Parteiführung gezeigt, dass sie auf verlorene Landtagswahlen, schlechte Umfragewerte und die Haushaltskrise nicht mit Krawall reagieren, sondern sich zusammenreißen will. Esken und Kühnert konnten ihre Ergebnisse sogar deutlich verbessern.
Der neue Juso-Chef Philipp Türmer ist einer der wenigen, der Scholz angeht - aber moderat. «Lieber Olaf, wer aus der Defensive will, muss Angriff spielen», fordert er. «Du bist der Chef der Regierung, nicht der Paartherapeut von Robert und Christian», sagt er mit Blick auf Habeck und Lindner. Beim Streitthema Migration scheitern die Jusos aber mit Anträgen gegen die EU-Asylreform, für eine Abschaffung der europäischen Grenzschutzagentur Frontex und für einen Abschiebestopp in den Irak.
Hinter den Kulissen ist die FDP mit dabei
Es gibt aber auch noch eine dritte Dimension des Parteitags, die sich hinter der Kulisse abspielt, in den zahlreichen Gesprächen am Rande. Ein Hauptthema dabei: Was macht die FDP? Besteht die Gefahr, dass deren Parteichef die Nerven verliert und hinschmeißt?