• Wahlrechtsreform: Bundestag soll deutlich schrumpfen
  • Für die CSU könnte es knapp werden: Markus Söder droht bereits mit Klage
  • Fünf-Prozent-Hürde: Warum die Regel jetzt so wichtig wird
  • So rechtfertigen die Ampel-Parteien die geplante Reform

Die Ampel-Koalition wird die von Union und Linkspartei strikt abgelehnte Wahlrechtsreform voraussichtlich mit ihrer eigenen Mehrheit am Freitag (17. März 2023) im Bundestag beschließen. Bei Abstimmungen in den Fraktionen stimmten am Dienstagnachmittag die Abgeordneten von Grünen und FDP jeweils einstimmig und die der SPD mit überwältigender Mehrheit zu. Union und Linke kündigten Verfassungsklagen gegen die Reform an. Denn die CSU könnte im Ernstfall aus dem Bundestag verschwinden.

Update vom 15.03.2023: Wahlrechtsreform stürzt Söders CSU in Existenzängste

Durch die Reform wird der auf 736 Abgeordnete angewachsene Bundestag bei der nächsten Wahl wieder auf 630 Mandate verkleinert. Zentral ist, dass es künftig keine Überhang- und Ausgleichsmandate mehr geben wird. Gestrichen wird auch die sogenannte Grundmandatsklausel. Sie bewirkt, dass eine Partei auch dann nach ihrem Zweitstimmenergebnis in den Bundestag einzieht, wenn sie zwar die Fünf-Prozent-Hürde verfehlt, aber mindestens drei Direktmandate gewonnen hat.

Bayerns Ministerpräsident und CSU-Parteichef Markus Söder sieht mit dem Entwurf sogar die Existenz seiner Partei infrage gestellt. Der Entwurf sei "ein dicker Hund", sagte Söder am Dienstag in München. Er kündigte an, im Zweifel dagegen klagen zu wollen. Hintergrund ist die Sonderstellung der CSU im Parteiensystem. Als Regionalpartei, die nur in Bayern antritt, bildet sie im Bundestag eine gemeinsame Fraktion mit ihrer Schwesterpartei CDU. Im Wahlgesetz wird die CSU aber als eigenständige Partei behandelt.

Würde sie etwa nicht über die Fünf-Prozent-Hürde kommen, könnten künftig auch die von ihren Bewerbern errungenen Siege in den einzelnen Wahlkreisen hinfällig werden, weil künftig der Gewinn eines Wahlkreises nicht mehr automatisch zum Einzug ins Parlament berechtigt. Die CSU hatte bei der Bundestagswahl 2021 alle 46 bayerischen Wahlkreise gewonnen, bis auf einen. 2017 konnte die CSU sogar alle Wahlkreise für sich entscheiden.

Warum die Fünf-Prozent-Hürde zum Problem werden könnte

Damit könnte bei einer Wahlrechtsreform eine Situation entstehen, in der die CSU zwar in 40 oder mehr Wahlkreisen in Bayern das stärkste Erststimmen-Ergebnis erzielt, aber dennoch keinen einzigen Bundestagsabgeordneten mehr stellt. Dann nämlich, wenn sie im bundesweiten Maßstab unter die Fünf-Prozent-Hürde rutschen würde. Bei der Bundestagswahl 2021 lag die Partei mit 5,2 Prozent nur noch knapp über dieser Hürde.

Der Entwurf zum neuen Wahlgesetz sieht vor, dass die sogenannte Grundmandatsklausel wegfallen soll. Diese hat bisher Parteien erlaubt, in Fraktionsstärke in den Bundestag zu ziehen, wenn sie mindestens drei Direktmandate erzielt hat. Künftig sollen die Mandate jedoch nur noch gemäß dem Zweitstimmenergebnis verteilt werden - wer hier keine fünf Prozent erreicht, könnte komplett durchfallen.

Originalmeldung vom 14.03.2023: Fliegt die CSU aus dem Bundestag? Söder droht wegen neuer Reform

Der jahrelange Streit über eine Wahlrechtsänderung zur Verkleinerung des Bundestags wird auch nach der Verabschiedung der nun von der Ampel-Koalition vorgelegten Reform anhalten. CSU-Parteichef Markus Söder hat bereits erbitterten Widerstand gegen die Vorschläge angekündigt. "Bis zur letzten Sekunde" werde die CSU dagegen vorgehen, sagte Söder nach einer Sitzung des Parteivorstands am Montag (13. März 2023). Notfalls werde es eine Verfassungsbeschwerde geben. Auch der Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag betonte nach Angaben von Teilnehmern der Sitzung: "Der Vorschlag ist so nicht zustimmungsfähig."

Wahlrechtsreform: Darum soll der Bundestag schrumpfen

Doch worum geht es bei der Wahlrechtsreform genau? Bei der Wahl 2021 wuchs der Bundestag auf 736 Abgeordnete an. Damit ist er so groß wie nie zuvor und eines der größten Parlamente weltweit. Der Grund ist das Wahlsystem mit seinen zwei Stimmen. Mit der ersten wird in jedem der 299 Wahlkreise eine Abgeordnete oder ein Abgeordneter direkt gewählt. Die Zweitstimme aber ist ausschlaggebend dafür, wie viele Sitze eine Partei im Bundestag bekommt. Gewinnt sie mehr Direktmandate als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen, darf sie diese behalten. Für diese sogenannten Überhangmandate bekommen die anderen Parteien wiederum Ausgleichsmandate.

Doch es wird noch komplizierter: Der Gesetzentwurf der Ampel sieht vor, die Sollgröße des Bundestags von derzeit 598 Abgeordneten leicht auf 630 zu erhöhen. Erreicht werden soll dies, indem auf Überhang- und Ausgleichsmandate ganz verzichtet wird. Es bleibt bei den bestehenden 299 Wahlkreisen. Ausschlaggebend für die Sitzverteilung sollen allein die Zweitstimmen sein. Künftig kann es nach diesem Modell passieren, dass Kandidaten, die ihren Wahlkreis direkt gewonnen haben, das Mandat nicht bekommen werden - und zwar dann, wenn nach dem Zweitstimmenergebnis ihrer Partei weniger Sitze zustehen als sie Direktmandate geholt hat.

Leer ausgehen soll künftig auch jede Partei, die nicht über die Fünf-Prozent-Hürde kommt. Denn die sogenannte Grundmandatsklausel soll gestrichen werden. Nach ihr zieht eine Partei auch dann in den Bundestag ein, wenn sie weniger als fünf Prozent der Zweitstimmen, aber mindestens drei Direktmandate geholt hat. Davon hat mehrfach die Linke profitiert - zuletzt 2021, als sie bei der Bundestagswahl nur 4,9 Prozent der Zweitstimmen bekam. Bisher lag die CSU zwar immer über der Hürde, das Ergebnis fiel aber 2021 mit 5,2 Prozent knapp aus. Sollte das Ergebnis bei der nächsten Wahl noch schlechter sein, könnte die CSU theoretisch aus dem Bundestag verschwinden.

Weniger Sitze für die CSU: Söder droht mit Beschwerde

Wem würde diese Änderung also schaden? Am schärfsten fällt die Kritik bei der Partei aus, die vom bisherigen Wahlrecht am meisten profitiert hat: die CSU in Bayern. Notfalls werde es eine Verfassungsbeschwerde geben, drohte Markus Söder bereits. "Die Abgeordneten werden nicht mehr gewählt, sie werden zugeteilt." Es müsse aber das Motto gelten: "Demokraten vor Bürokraten!" Auf seinen Social-Media-Seiten schrieb er zudem: "Es kann nicht sein, dass gewählte Direktkandidaten nicht mehr ins Parlament einziehen. Eine solche Entmündigung der Bürger ist nicht akzeptabel."

Auch CDU-Generalsekretär Mario Czaja kritisierte, durch die Reformpläne werde die Union überproportional Mandate verlieren, da sie in der Vergangenheit die meisten Wahlkreise gewonnen habe. Er sprach von einem "Wahlrecht deutlich zulasten der Wahlkreisgewinner". Nach dem Bundestagsbeschluss werde man sich die genauen Änderungen am Wahlgesetz anschauen. Danach werde die Unionsfraktion über ein Normenkontrollverfahren in Karlsruhe entscheiden.

Mit einer Verfassungsklage rechnet auch die Linken-Vorsitzende Janine Wissler. Die geplante Streichung der sogenannten Grundmandatsklausel werde mit Sicherheit zu einem Gang nach Karlsruhe führen, sagte sie in Berlin. Ihre Fraktion habe die Pläne allerdings noch nicht beraten und folglich auch noch nicht über eine eigene Klage entschieden. Auch der Ansatz, dass nicht in allen Wahlkreisen eine Mehrheit zum Gewinn eines Direktmandats führen soll, sei hochproblematisch.

SPD, Grüne und FDP betonen hingegen, dass nicht eine Partei besonders bevorzugt und eine andere besonders benachteiligt werde. "Es sind alle Parteien gleichermaßen betroffen, wie das eben bei einer gut funktionierenden und auch demokratisch legitimierten Verkleinerung des Parlaments der Fall sein sollte", sagte der FDP-Obmann in der Wahlrechtskommission des Bundestags, Konstantin Kuhle.

Sein SPD-Kollege Sebastian Hartmann betonte, es handle sich um "ein einfaches, ein faires und ein transparentes Wahlrecht", das verfassungskonform sei. Katja Mast, die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, erklärte: "Ich lade alle reformbereiten Abgeordneten in der CDU ein, sich unserem Vorschlag in dieser Woche anzuschließen." Hinter vorgehaltener Hand hätten ihr auch CDU-Kollegen Sympathien für das Modell der Ampel signalisiert.

Demonstrativ gelassen reagierten die Ampel-Vertreter auf eine mögliche Klage in Karlsruhe. "Wer das Gericht anrufen mag, wie das manche schon ankündigen, kann das gerne tun, hat auch ausreichend Zeit dafür vor der nächsten Bundestagswahl", sagte Till Steffen, der Obmann der Grünen in der Wahlrechtskommission.

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dpa/red