Sie sind jung. Unter 30. Alle drei bewerben sich als Direktkandidaten im Wahlkreis 240, Kulmbach, für den Bundestag. Es ist der erste Wahlkampf für Emmi Zeulner, Valentin Motschmann und Simon Moritz. Sie kämpfen gegeneinander. Dabei verstehen sie sich so gut. Denn sie wollen alles anders machen.
Es macht ihr nichts aus, wenn sie auf den frühen Verlust ihrer Eltern angesprochen wird. Doch jetzt im Wahlkampf spricht sie nicht gerne darüber. Weil sie schon schlechte Erfahrungen gemacht hat. Als einmal in den Medien bekannt wurde, dass ihre Eltern nicht mehr leben, hat sie Drohbriefe erhalten, weil manche das so verstehen wollten, dass sie die Tatsache zu ihrem Vorteil nutzen will. Deshalb verschweigt sie es lieber.
Sie ist vorsichtig. Redet also über Inhalte - beispielsweise, dass sie Gesundheitspolitik machen will. Sie ist keine Ideologin, sondern Praktikerin. Es gebe keine Lobby für Pflege, sagt sie. Und, dass jeder ein guter Politiker sein kann, egal, welche Bildung er hat. Dieser Satz passt zu dieser Geschichte, weil er es auf den Punkt bringt.
Der 68-Prozent-Baron
Der Satz stammt von Emmi Zeulner. Die 26-Jährige hat sich extra ein Urlaubssemester von ihrem Volkswirtschaftsstudium genommen, um sich um den Bundestagswahlkampf zu kümmern. Sie ist gelernte Krankenschwester. Und sie stellt so etwas wie ein Negativ dar. Ein Gegenentwurf zu dem, was hinter dem Wahlkreis 240, Kulmbach, liegt.
Viele haben geglaubt und glauben im Übrigen immer noch, dass der Kandidat, der hier früher angetreten ist, irgendwann wieder antreten wird. 68 Prozent Erststimmenergebnis 2009 - das ist nicht nur eine Hausnummer. Das ist unschlagbar. Ein Hammerergebnis.
Derjenige, der das Ergebnis damals eingefahren hat, war Karl-Theodor zu Guttenberg. Spross einer Adelsfamilie, elitär, hoch gebildet, Hoffnungsträger einer ganzen Region. Doch das ist vorbei. Jetzt steht die erste Wahl nach Guttenberg an. Es ist auch die erste für Emmi Zeulner als Kandidatin für den Bundestag, der Nachfolgerin von Guttenberg - wenn man so will. Die genau das Gegenteil ist.
Erst Realschule, dann die Allgemeine Hochschulreife über den zweiten Bildungsweg neben der Arbeit nachgeholt, hochgearbeitet, bodenständig. Eine, die sich für die einfachen Frauen und Männer einsetzen will. Sie ist am Stammtisch im Wirtshaus ihrer Eltern groß geworden. 2006 bis 2008 war sie Korbstadtkönigin in Lichtenfels. Emmi Zeulner ist jemand, den man einen Aufsteiger nennt.
An der Stelle würde sicher Simon Moritz reingrätschen. Er tritt im Wahlkreis 240 als Direktkandidat für die SPD an. Gegen Emmi. Er ist in einem sozialdemokratischen Haushalt groß geworden und er würde sagen: So etwas gäbe es ohne die SPD gar nicht. Sozialer Aufstieg. "Das ist die klare Vision damals in den 60ern von der SPD gewesen: sozialer Aufstieg durch Bildung." Moritz, ein studierter Politologe ist in der Kulmbacher Siedlung Herlas aufgewachsen. Hier wird noch ab und an im Jahr Holzofenbrot im historischen Steinbackofen gebacken, die Gemeinschaft ist stolz auf den Zusammenhalt. Und auf den jungen Kandidaten, der im Siedlerverein stellvertretender Vorsitzender ist.
Sein Vater konnte aufsteigen und kam 1972 für die SPD in den Kulmbacher Stadtrat mit nur 21 - er, Simon, 2008 mit 23 Jahren. Jetzt ist er 29 Jahre alt und will in den Bundestag. Er sagt: Bei Guttenberg war es kein richtiger Wahlkampf - "es gab einfach keinen". Sein Parteifreund und Vorgänger Claus Stenglein hatte keine Chance gegen den Überflieger Guttenberg und kam 2009 auf gerade mal 14,7 Prozent. Jetzt sei es wesentlich aussichtsreicher, findet Simon Moritz. Guttenberg ist weg. Alle starten mit den selben Voraussetzungen. Wirklich?
Aufmerksamkeit für Emmi
"Mit einem Vergleich kommt man nicht weit", sagt Emmi Zeulner über das Verhältnis zu ihrem Vorgänger. Auf die Frage, ob sie darauf angesprochen wird, lacht sie und sagt: "Ja, immer." Aber das sei nicht schlimm. Schließlich bringe ihr das ja momentan auch Aufmerksamkeit im Einheitsbrei der Bundestagskandidaten - nun bekommt man selbst in Berlin mit, dass sie die designierte Nachfolgerin von Guttenberg ist.
Doch es sei bei ihr nicht so wie bei Guttenberg, "der einfach aufgestellt wird, und dann sind gleich so viele auf seiner Seite". Vor allem im Bereich Bamberg, wo der Wahlkreis hinreicht, dort hat sie sich bei den Ortsvorsitzenden und Bürgermeistern noch einmal extra vorgestellt. Nachdem sie innerhalb des Kreisverbands Lichtenfels nominiert wurde. Sie hat sich gegen die CSU-Männer durchgesetzt. "Ich habe das Votum meiner eigenen Leute im Rücken gebraucht."
Mit dem Votum ist sie zu den anderen gegangen. Und hat gesagt: Ich bin Kandidatin in Lichtenfels. "Ich habe immer dran geglaubt, dass es klappt. Ich bin weder 50 noch Jurist noch ein Mann." Aber sie war immer überzeugt. Auch von ihren CSUlern. Ihr war wichtig, dass sie nicht vom Landrat auf ein Podest gehoben wurde, dass die anderen sich fragen, sie ist nur von ihm gewollt, aber auch von uns? Es wurde geheim gewählt und die Leute wollten sie.
Der menschliche Wahlkampf
Die junge Kandidatin - die gerne die Hände von Landwirten oder Korbmachern anschaut, weil sie ausdrückten, was sie alles leisten - sie kümmert sich auch noch um ihre politischen Gegner. Als sie erfährt, dass junge Kandidaten im Wahlkreis Kulmbach vorgestellt werden sollen, sagt sie gleich: Der Valentin gehört da auch dazu. Der kann das auch gut gebrauchen, meint sie - Aufmerksamkeit.
Aber: Was ist das für ein Wahlkampf?
Ein menschlicher, findet eben Valentin. Und menschlich, das passt. "Wir wollen keine Schlammschlacht. Wir verstehen uns alle, weil es unser erster Wahlkampf ist." Valentin Motschmann ist der Direktkandidat für die Grünen. Und gibt gerne etwas zurück: "Emmi sieht im Gegensatz zu Guttenberg wirklich gut aus", sagt der 26-Jährige und grinst. "Im Ernst, wir reden auf einer Ebene." Aalglatte Politiker wie zu Guttenberg will doch keiner mehr, sagt er. Und nach kurzer Überlegung: "Wobei es sicher noch genug gibt, die sich anlügen lassen wollen." Der hat seine Doktorarbeit abgeschrieben? Ist doch nicht schlimm, sagen die. Das versteht Valentin nicht.
"Ich steh' zu meinen Fehlern, biete dem Wähler eine ernsthafte Alternative an." Und doch: Der Politikstudent wird wohl wieder kaum eine Chance haben. Die Grünen lagen bei der vergangenen Wahl mit dem Wahlkampf, den es damals nicht gab, unter fünf Prozent. Doch Motschmann setzt auf Ehrlichkeit. Und auf Menschlichkeit. Inhaltlich streiten könnten sie deshalb trotzdem leidenschaftlich, die drei Kandidaten Zeulner, Moritz und Motschmann.
Ganz schlimm diskutieren
Emmi sagt, sie mag "den Valentin" auch gerade so sehr, weil er sagt, was er denkt. "Wir sind gelassener, was die Parteien angeht." Wobei sie auch merkt, dass Valentin ein paar Vorbehalte gegen die CSU hat. Seine Klischees. Aber sie diskutiert gerne "ganz schlimm" mit ihm manchmal. Was die richtige Haltung von Milchkühen betrifft, zum Beispiel. Da gehen die Meinungen auseinander. Deutlich. Doch sie respektiert ihn. Da er alles aus Überzeugung macht. Die Sache aber ist todernst!
Dann erzählt die CSU-Kandidatin, die 2008 mit Valentin Motschmann in den Lichtenfelser Kreistag einzog - im selben Jahr, in dem Simon Moritz in den Kulmbacher Stadtrat kam - die Geschichte der Vereidigung. "Er ist mit Schlappen angekommen." Sie lacht. Ein nettes Kichern. Er sagt, ein Fettnäpfchen, in das er damals getreten sei. Es war im Mai und warm und er wollte einfach Politik machen. Aber das Äußere spielt eine Rolle - gerade auch in der Politik. Erinnerungen an den galanten Guttenberg.
Das Erste, das alle drei jungen Kandidaten im Wahlkampf lernen mussten: Bei einem Politiker kommt es auch auf das Aussehen an. Bei Emmi Zeulner waren es die Haare, die jemandem nicht gefallen haben, als ein Bild der CSU-Kandidatin im Spiegel abgedruckt war. Der Grüne Valentin Motschmann zog sich den Groll der Lichtenfelser Öffentlichkeit zu, weil er eben 2008 in Birkenstock-Schuhen und kurzer Hose zu seiner Vereidigung als Kreisrat kam. Und bei Simon Moritz ist es das rote Hemd, das den Leuten sagt: wieder so eine Parteihuberei eines Roten. Dabei hat er nur ein Hemd in der Farbe und keine obligatorische rote SPD-Krawatte in Besitz.
Hat Simon eine Chance?
Glaubt der junge SPD-Mann daran, die noch jüngere CSU-Frau überhaupt schlagen zu können? Also, direkt in den Bundestag einzuziehen? Im traditionellen CSU-Wahlkreis Kulmbach, in Lichtenfels, in Bamberg? "Ich habe gute Chancen, das zu gewinnen", sagt er. Davon sei er überzeugt. Ist das tatsächlich so? Simon Moritz schaut etwas ungeduldig. "Wenn jetzt jemand sagt, die SPD hat da noch nie gewonnen, deshalb kann ich doch nicht sagen: Emmi wird gewinnen."
Und dann kommt doch noch die kühle Analyse des Politologen hinterher: "Sagen wir so: Wenn die Emmi es schafft, nur halbwegs ihr CSU-Potenzial auszuloten, dann wird es schwer für mich zu gewinnen." CSU-Potenzial? Wo liegt das? Bei 40 Prozent? Oder holt Emmi etwa über 50? Guttenberg hatte 68. Ein Wort.
Und Valentin Motschmann? Der Sohn eines bekannten Lichtenfelser Mundartdichters, der feststellen muss, dass er dennoch nicht erkannt wird, wenn er durch die Korbstadt, seine Heimatstadt, läuft - was glaubt er, wie er abschneiden wird? "Besser als beim letzten Mal", sagt er. Fünf Prozent. Vielleicht. Gut, das letzte Mal musste der Kandidat der Grünen gegen den übergroßen Guttenberg antreten, das ist ja diesmal nicht mehr so.
Da ist ja jetzt Emmi. Und die versteht sich gut mit ihm. Und mit Simon auch.
Unter Guttenberg gab es keinen Wahlkampf.
Simon Moritz
SPD-Direktkandidat
Mit einem Vergleich kommt man nicht weit.
Emmi Zeulner
CSU-Direktkandidatin
Emmi sieht im Gegensatz zu Guttenberg wirklich gut aus.