Das Energiekonzept der Naturschützer

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Hubert Weiger Foto: Matthias Hiekel, dpa
Hubert Weiger Foto: Matthias Hiekel, dpa

Energie-Konzepte gibt's viele. Auch der BUND hat einen Plan. Er soll fast nur Vorteile haben: für Bürger, Kommunen und die Natur. Aber nicht für die großen Konzerne.

Hubert Weiger sitzt im ersten Stock eines Berliner Bürogebäudes, als das Telefon klingelt. Er ist gerade erst gekommen, ist spät dran, weil die Bahn auf seiner Stammstrecke zwischen dem Büro des Bund Naturschutz Bayern (BN) in Nürnberg und der Berliner Geschäftsstelle des Bundes für Umwelt und Natuschutz (BUND) mal wieder Probleme hatte. Der Vormittag war für ein Gespräch mit dem Vorstand der Firma Bosch blockiert, Thema: Effizienz von Heizungspumpen. Die Termine managen andere für den BN- und BUND-Vorsitzenden, und gleich muss er weiter. Jetzt, zwischendrin, soll er schnell das Energiekonzept des BUND vorstellen. Nur geht das nicht schnell. Die Energiewende ist kompliziert. Aber dem Mann, der sich seit vier Jahrzehnten für den Naturschutz einsetzt, ist sie wichtig.

Es klingelt nur drei Mal, bevor Weiger abhebt und die "flächendeckende Information der Bevölkerung" zum wichtigsten Baustein der Energiewende erklärt. "Das müsste im Kindergarten und in der Schule beginnen, sich durch die Bildungseinrichtungen bis zum Management öffentlicher Gebäude ziehen." Die größte Ressource sieht Weiger im Energiesparen. Aber das klingt nach Verzicht. Und Weiger weiß, dass die Menschen nicht gern verzichten. "Darum geht es gar nicht", betont er. "Energiesparen heißt, Energie besser zu nutzen. Geräte im Standby-Betrieb verbrauchen in Deutschland soviel Strom, wie in zwei Atomkraftwerken erzeugt wird."

Das Atomkraftwerk Grafenrheinfeld kann Weiger zufolge in drei Jahren "weggespart" werden. "Nur durch den bewussten Einsatz von Energie und Energieeffizienz in Wirtschaft und Haushalten." Alte Geräte sollten ausgetauscht werden. Zum Beispiel die Heizungspumpen, über die er heute früh diskutiert hat. Die Hälfte des Stroms in der Wirtschaft verbrauchten Pumpen. Kaum einer wisse, dass im Privathaushalt zehn bis 15 Prozent des Stroms von Heizungspumpen verbraucht werden. "Wieviel Treibstoff ihr Auto braucht, wissen die meisten Menschen. Aber fragen Sie mal jemanden, was sein Energieverbrauch auf einem Quadratmeter Wohnfläche ist!"

Die Argumente der Lobbyisten

Mit einem Drittel des heutigen Energieverbrauchs würde unsere Industriegesellschaft laut Weiger genauso funktionieren. Bis 2020 sei ein Minus von zehn bis 20 Prozent nötig. Bis 2050 müsse sich der Stromverbrauch in Bayern halbieren und der Wärmebedarf um 90 Prozent reduzieren. Weiger kritisiert, dass Energiesparen in Bayerns Energiekonzept gar nicht vorkommt. Japan nennt er beim Strom als Vorbild, denn unter dem "Druck der Ereignisse um Fukushima" hätte das Land seinen Stromverbrauch um 18 bis 20 Prozent reduziert. "Dort ist ein neues Bewusstsein entstanden." Dass Japan wieder Akw ans Netz nimmt, ärgert Weiger, seine Stimme schallt lauter durch den Hörer, als er von der Atom-Abhängigkeit des Landes spricht. "Vor 15 Jahren waren die Japaner weltweit führend bei Photovoltaik, Windenergie und Geothermie. Jetzt sind sie Schlusslicht." Schuld sei die "unsägliche Lobby der Atomkonzerne".

Dass es in Japan nicht ohne Verzicht geht, dass die abgeschalteten Leuchtreklamen japanische Metropolen in nächtliche Geisterstädte verwandeln, sagt er nicht. Auch Weiger macht Lobbyarbeit, auch er versucht, Politik und Gesellschaft zu beeinflussen. Allerdings stehen bei ihm keine wirtschaftlichen Interessen im Vordergrund: Der 65-Jährige tut es aus Überzeugung. Er war 1975 eines der Gründungsmitglieder des BUND. "Wir fordern den Atomausstieg seit Jahrzehnten", sagt er. "Jedes Konzept, das den Namen Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit verdient, muss den Ausstieg als ein zentrales Element haben. Das andere ist, endlich ernst zu machen mit den drei ,E': Energiesparen, Energieeffizienz und erneuerbare Energien ausbauen."

Keine Energie in Wald und Wasser

Aber wenn neue Anlagen gebaut werden, gibt es oft Ärger mit Naturschützern. "In Bayern sind 90 Prozent der Fließgewässer für Wasserkraft ausgebaut, der Rest muss frei fließen können", sagt auch Weiger. Bei Windparks ist er ebenfalls skeptisch, an landschaftlichen Höhepunkten seien sie aber auch gar nicht nötig: "Wir haben genug Potenzial. Auch im Wald muss Windenergie die Ausnahme bleiben. Auf ein bis zwei Prozent der Fläche Bayerns können wir 100 Prozent des benötigten Stroms erzeugen."

Weiger ist ohnehin eher ein Freund der kleinen Erzeuger. Er attackiert gern mal die großen Energiekonzerne und möchte stattdessen die Stadtwerke unterstützen. "Die Energiewende kann nur dezentral funktionieren", sagt er. "Und das wird zu einer völlig neuen Situation führen." Im Kleinen sieht er gute Entwicklungen: Immer mehr Landkreise achteten bei der Energieplanung darauf, Ökologie und Landschaftsbild zu verbinden. "Für Windkraft nach Plan müssen zum Beispiel Vorrangstandorte festgelegt werden. Das minimiert die Konflikte."

Fränkische Pioniere

Oberfranken ist für ihn dabei ein "Pionier": "Die kommunale Initiative der Energieagentur Kulmbach, die inzwischen zur Energieagentur Nordbayern ausgeweitet wurde, ist ein Leuchtturmprojekt. Und in Oberfranken wurde bereits vor 15 Jahren begonnen, über die Ausweisung von Windkraftstandorten im Rahmen der Regionalplanung durch Festlegung von Vorranggebieten und Ausschlussgebieten zu diskutieren." Unterfranken und Mittelfranken hätten jetzt nachgezogen.

Weiger weiß, wo Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen. Das Büro, in dem er in Berlin sitzt, passt nicht zur Vision von energiesparenden Gebäuden. "Es ist nur teilweise saniert. Der BUND ist eben nur ein Mieter von vielen. Aber kommen Sie mal nach Nürnberg!" Dort sitzt der BN in einem Denkmal, Baujahr 1910, mit energetischen Sprossenfenstern, neu isoliertem Dach und einer Kraftwärmekopplungsanlage auf Gasbasis, die Wärme und Strom liefert. "Das geht heute alles." Es müsse nur gewollt werden. "Eine Alternative zur Energiewende gibt es nicht."

Die Naturschützer wollen die Energiewende mit einem Fünf-Punkte-Plan umsetzen:

Informieren
Dass überhaupt noch darüber diskutiert wird, ob die Energiewende kommen muss, sieht der BUND als Ergebnis der Angriffe von Lobbyisten "der (ehemaligen) Atomkonzerne, die um ihre Gewinne fürchten". Die Frage sei nicht "ob", sondern "wie". Der BUND fordert auch, den nötigen Netzausbau transparent zu machen, nachvollziehbar zu begründen und Alternativen zu prüfen.

Sparen
Einer Studie des BN zufolge wäre bereits heute "eine Reduktion des Strombedarfs in Bayern um 40 Prozent wirtschaftlich möglich".

Austauschen
Alte Geräte sollen erneuert werden. Die energetische Sanierung bayerischer Altbauten soll z.B. den Wärmeenergiebedarf um 90 Prozent senken. Nur der Rest der Heizwärme soll mit naturnah erzeugtem Holz aus bayerischen Wäldern gedeckt werden. Statt einer Milliarde Euro sollen demnach im Bundeshaushalt drei bis vier dafür zur Verfügung gestellt werden.

Ausbauen
Den Ausbau der erneuerbaren Energien sehen die Naturschützer nicht nur ökologisch als notwendig an, sondern auch, damit Deutschland international wettbewerbsfähig bleibt, mehr exportiert und weniger Geld für Rohstoffimporte ins Ausland fließt: "Ökologie ist nichts anderes als Langzeitökonomie."

Regionalisieren
Die Energiewende soll nach dem Willen der Naturschützer zu einer Dezentralisierung der Energieproduktion, -verteilung und -vermarktung führen. Der BN fordert, dass in Zukunft ein Hauptteil der Versorgung in den Händen von Kommunen und Bürger-Energiegesellschaften liegt: "Das bedeutet ein Aufbrechen des gefährlichen Energie-Oligopol-Marktes, hin zu einer demokratischen Marktwirtschaft." Nebenbei schaffe es lokale Wertschöpfung und Arbeitsplätze.