Vier Szenarien für den 9. Mai: Generalmobilmachung, Eskalation oder Propaganda-Sieg - was plant Putin wirklich?
Autor: Robert Wagner
Moskau, Mittwoch, 04. Mai 2022
Der Gedenktag zum Sieg über Nazideutschland sollte auch Putins großer Siegestag werden. Doch die Lage in der Ukraine lässt dies nicht zu. Was plant der Kriegsherr nun? Vier Szenarien, was am 9. Mai passieren könnte - von Generalmobilmachung über eine weitere Eskalation bis hin zum Propaganda-Sieg.
Der 9. Mai ist in Russland schon seit dem Ende des 2. Weltkriegs ein wichtiger Tag. Doch der Gedenktag zum Sieg über den deutschen Faschismus ist in Putins Folklore in den letzten Jahren immer zentraler geworden. In diesem Jahr könnte der Tag jedoch nochmals wichtiger werden. Schließlich befindet sich Russland laut Propaganda des Kreml-Chefs im "Konflikt" mit einer von Nazis regierten Ukraine und ihren ebenso faschistischen Verbündeten im Westen.
Bereits länger wird darüber spekuliert, dass Putin den 9. Mai auserkoren hatte, um den Sieg über die Ukraine zu proklamieren. Doch angesichts des schleppenden Vormarschs russischer Truppen und der militärischen Misserfolge, dürfte es selbst Putin schwerfallen, die "Spezialoperation" in der Ukraine als Erfolg zu verkaufen. Auf der anderen Seite fürchten Experten, dass Russland am 9. Mai eine Generalmobilmachung verkünden - und so den Konflikt weiter eskalieren könnte. Wie wird Russland also am 9. Mai handeln? Welche Szenarien gibt es? Und wie wahrscheinlich sind sie?
Szenario 1: Die "ungeheuerliche Eskalation" - Russland verkündet die Generalmobilmachung
Die Warnungen sind deutlich: "Man muss befürchten, dass Wladimir Putin am 9. Mai die Generalmobilmachung bekannt gibt", sagte der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter der "Augsburger Allgemeinen" (Mittwoch, 4. Mai 2022). "Wenn es dazu käme, wäre dies eine ungeheure Eskalation des Krieges", warnte Kiesewetter, der CDU-Chef Friedrich Merz am Dienstag bei dessen Reise in die Ukraine begleitete. "Bevor Putin am 9. Mai eine Generalmobilmachung ausrufen könnte, hat der Westen, hat Europa noch eine Woche Zeit, klare starke Signale zu setzen", betonte Kieswetter. "Der Westen muss Russland eindeutig klarmachen, die Ukraine ist nicht einzuverleiben, sie bleibt ein souveräner Staat", sagte der CDU-Politiker.
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Die Generalmobilmachung - oder auch nur eine Teilmobilmachung - würde die militärischen Möglichkeiten des russischen Diktators drastisch erhöhen. Reservisten könnten eingezogen werden, um die russischen Truppen in der Ukraine zu unterstützen. Außerdem werden die rechtlichen Bedingungen dafür geschaffen, Unternehmen und Industrie in der Rüstung einzubinden und die öffentliche Meinungsbildung weiter zu kontrollieren.
Russland hat den Vorwurf, es würde eine weitere Eskalation vorbereiten, jedoch zurückgewiesen: "Das ist nicht wahr. Das ist Unsinn", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Mittwoch der Agentur Interfax zufolge. Auf die Frage, ob Präsident Wladimir Putin zum "Tag des Sieges" über Hitler-Deutschland am 9. Mai der Ukraine den Krieg erklären könnte, sagte Peskow ebenfalls: "Nein. Das ist Unsinn." Seit Russlands Angriff auf die Ukraine Ende Februar bezeichnet der Kreml die Kämpfe im Nachbarland stets nur als "militärische Spezialoperation". Eine Generalmobilmachung ohne offiziellen "Krieg" scheint jedoch kaum vorstellbar - zumindest die Mär einer "Spezialoperation" müsste Putin dann wohl aufgeben.
Szenario 2: Inszenierte Angriffe und Ausweitung der Kampfhandlungen - die Bedeutung Transnistriens
Tatsächlich besteht jedoch die Sorge, dass Russland den 9. Mai dafür nutzen könnte, einen Angriff auf Russland zu inszenieren. Was wäre besser geeignet, als der Gedenktag an den Sieg über Nazi-Deutschland, um zu einem neuen "Verteidigungskrieg gegen das faschistische Ausland" aufzurufen?
Besondere Bedeutung könnte dabei der Region Transnistrien in der Republik Moldau zukommen. In dem von russischen Truppen kontrollierten Separatisten-Gebiet hatte es zuletzt immer wieder Berichte über Angriffe gegeben. Die Schuld hatten sich die Kriegsparteien gegenseitig zugeschoben. Zuletzt hatte unter anderem der Grünen-Politiker Anton Hofreiter vor einem solchen Angriff auf das Nachbarland der Ukraine gewarnt.