Ganz so einfach ist es nicht. Weiter geht es zu Privatdetektiv Norbert Idel nach Solingen. Bei einer Spritztour in seinem Auto erzählt er Sirin, wie sich die Anfragen von Arbeitgebern häufen, Mitarbeitenden nachzuspionieren, wo ein Verdacht besteht, dass diese blau machen. "In 80 Prozent der Fälle bewahrheitet sich das auch", sagt Idel: "Da folgt dann oft mal die fristlose Kündigung." Doch nicht immer lümmeln die Blaumacher zu Hause auf der Couch herum - viele arbeiten Schwarz, zum Beispiel auf dem Bau oder in der Gastro, um sich etwas Geld dazuzuverdienen. "Das hat deutlich zugenommen", sagt Idel.
Chronischer Blaumacher: "Dann sage ich halt, ich habe ein schwaches Immunsystem"
Offen übers Blaumachen reden? Ein Tabu. Sirin und sein Team haben es trotzdem geschafft und einen Mann gefunden, der über seine Erfahrungen spricht. In einem etwas abgedunkeltem Raum sitzt er an einem großen Tisch, trägt einen schwarzen Hoodie, die Kapuze ins Gesicht gezogen. Erst vergangenen Monat hat er das letzte Mal blau gemacht, erzählt er. Seit zehn Jahren meldet er sich pro Jahr 28 Tage krank. Im öffentlichen Dienst falle das nicht so sehr auf - die Akten blieben dann halt länger liegen. "Haben Sie keine Angst, dass der Arbeitgeber Statistik führt?", fragt Sirin. Der Mann schüttelt den Kopf. "Dann sage ich halt, ich habe ein schwaches Immunsystem."
Während die einen Faulenzen, strampeln die anderen sich ab. So zum Beispiel ein Lieferfahrer in Potsdam. Sein Gesicht ist von einer Maske und einer Brille bedeckt, er möchte anonym bleiben. Zu groß die Sorge, dass er seinen Job verliert. Täglich legt er bis zu 45 Kilometer zurück. Der Fahrer spricht in gebrochenem Englisch: "Die Bedingungen sind nicht gut in meinem Job, ich hatte schon einige Unfälle". Die Stunden könne er aber nicht reduzieren, krankmelden- das käme nicht infrage.
Laut Statistik haben 79 Prozent der Deutschen kein Verständnis fürs Blaumachen. In Spanien scheint die Ablehnung noch viel größer zu sein. In Madrid wohnt Expat Robert Brückler, er arbeitet hier seit zehn Jahren als IT-Spezialist. Auf der Rooftop-Terrasse erzählt er Sirin: "Die Leute hier sind angewiesen auf ihren Job, die Sozialgelder sind niedriger, wer blau macht, riskiert seinen Job und landet schneller auf der Straße als in Deutschland." Die Deutschen wüssten gar nicht, wie gut es ihnen gehe.
Sind ein Sorgentelefon und Beach Club die Lösung?
Wie geht es also anders? Daran arbeitet ein Bauunternehmen in Hamburg. Bagger, Container und Stahlgerüste werden eingeblendet, Bauarbeiter mit Helm hetzen von einem Ort zum anderen. Für die rund 800 Mitarbeitenden ist Markus Buchhorn verantwortlich. Er weiß, die Belastung im Job ist hoch. "Corona, Krieg, Inflation - die Menschen kommen nicht zur Ruhe. Wir haben deshalb psychologische Hilfsangebote wie ein Sorgentelefon eingeführt und einen Beach Club angelegt, wo die Mitarbeitenden entspannen können", so Buchhorn. Das sei zwar teuer - und etwas untypisch für eine Baufirma, wo der Ton sonst eher vulgär und rau sei - aber die Mitarbeitenden würden sich seitdem seltener krankmelden. Buchhorn: "Jeden Cent wert!"
Zurück in Spanien. Sirin sitzt mit Brückler und seiner Frau Paloma Hernandez zuhause im Garten. Sie trinken Weißwein, die beiden Töchter stehlen im Vorbeirennen Käsewürfel von den Tellern. "In Deutschland sieht man die Dinge eher pessimistisch, alles ist immer kurz vor der Katastrophe", sagt Brückler. "In Spanien jammert kaum jemand, das ist schlecht angesehen", fügt Hernandez hinzu. Eine Bezeichnung fürs Blaumachen? Das würde es im Spanischen gar nicht geben. "Haben Sie denn schon mal blau gemacht?", fragt Sirin das Paar abschließend. Schweigen, nervöses Schulterzucken, betretene Blicke. "Vielleicht mal in der Schule", sagt Hernandez - alle drei lachen.
Es wird wohl immer Leute geben, die das System ausnutzen. Aber man darf nicht vergessen: Auch der Druck ist höher geworden, die Arbeitsbedingungen oftmals schlechter, fasst Sirin zusammen. Wie wir da rauskommen? Mit Wertschätzung und gegenseitigem Respekt in einer Welt, die sich immer rasanter wandelt.
"Am Puls mit Mitri Sirin - Blaumacher-Republik Deutschland?" läuft am Donnerstag, 29. Mai, 22.15 Uhr, im ZDF und vorab in der ZDF-Mediathek.