Tod, Hass und Verzweiflung: Schlagzeilen zu den Kriegen in der Ukraine und in Gaza machen wenig Hoffnung. Doch einige Menschen wollen Mauern einreißen, anstatt sie zu bauen. Eine "37°"-Reportage zeigt, wie aus Feindschaft Freundschaft werden kann.
Ein Schlag mit der linken Hand, ein Sprung zur Seite, wegducken: Im Box-Club in Pirmasens in Rheinland-Pfalz stehen sich Ivan (21) und Nikita (18) beim Training gegenüber - der eine Ukrainer, der andere Russe. Hier, in der Boxhalle, stehen sie sich nicht als Feinde gegenüber - auch nicht als Freunde, aber als Menschen. Die "37°"-Reportage "Mein Freund, der Feind" zeigt, wie den Boxern in Pirmasens und zwei Restaurantbetreibern in Berlin trotz scheinbar unüberwindbarer Konflikte ein Miteinander gelingt.
In der Bundeshauptstadt betreiben Oz Ben David und Jalil Dabit seit zehn Jahren das "Kanaan". David ist jüdischer Israeli und Sohn radikaler Siedler. Dabit ist Palästinenser. Seine Familie lebt in der israelischen Stadt Ramla - schon länger als es das Land selbst gibt. Die Idee zur Zusammenarbeit entstand ursprünglich, weil beiden der Hummus des anderen nicht geschmeckt habe, erinnert sich David schmunzelnd.
"Manchmal, denke ich, kann Frieden auch einfach aus einem nüchternen Geschäft entstehen - nur weil es sich rechnet. Es muss nicht gleich um Gerechtigkeit gehen, diese Dinge kommen später", erklärt er.
Der 7. Oktober stellte die Freundschaft auf eine harte Probe
Doch der 7. Oktober 2023 stellt alles auf den Kopf. Plötzlich sieht David, der damit aufgewachsen ist, "dass die Palästinenser unsere Feinde sind", alle seine Vorurteile und Ängste bestätigt. Einer seiner Cousins sei an diesem verhängnisvollen Tag entführt und später ermordet worden, erzählt er. Das Restaurant steht vor dem Aus - und trotzdem reden die beiden Männer weiter miteinander. "Jedes Mal als er anrief, sagte ich ihm: 'Wir werden nicht mehr öffnen. Wir müssen Gaza abfackeln. Wir müssen alle verbrennen, es gibt keine Hoffnung'", erzählt David. "Und ich habe einfach zugehört", erinnert sich Dabit mit ruhiger Stimme.
Bei einem dieser Telefonate kommt der gerade einmal dreijährige Sohn des Palästinensers hinzu. Dabit forderte seinen Geschäftspartner auf: "Sag ihm genau das, was du mir gerade gesagt hast." Das habe etwas in ihm verändert, erklärt der Israeli: "Die Wut wurde förmlich aus mir herausgesogen. Ich erschrak über die Art, wie ich gesprochen habe. Es war, als wäre ich aus einem Bann aus Hass und Angst erwacht."
Das "Kanaan" öffnete wieder: Trotz des anhaltenden Konflikts arbeiten David und Dabit weiter zusammen. Sie wollen ein Zeichen für Verständigung sein. "Es ist sehr schwer, Menschen dorthin zu bringen, wo es kompliziert wird. Es ist für sie viel einfacher, pro-israelisch oder pro-palästinensisch zu sein", überlegt David bei einem Treffen mit der muslimischen Aktivistin Seyran Ates. Auch sie setzt sich für Frieden ein - und erhält dafür sogar Morddrohungen.
"Ich kann ihn nicht hassen. Für was?"
In Pirmasens ist die Verständigung stiller: Ivan und Nikita reden nicht über den Krieg in der Ukraine, der Sport steht im Mittelpunkt. "Wir unterstützen uns gegenseitig, wir helfen uns gegenseitig, wir trainieren einander. Das ist das Tolle: Wir sind eine Gemeinschaft", erklärt der junge Russe.