Die Kritik an Israel bei der Abschlussgala der Berlinale sorgt weiter für Debatten. Angesichts politischer Reaktionen warnen Experten vor falschen Erwartungen.
Politik und Kulturbetrieb diskutieren nach israelfeindlichen Äußerungen während der Abschlussgala der Berlinale weiter über den richtigen Umgang mit dem Thema. Aus Sicht von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat das Filmfestival «schweren Schaden genommen, weil dort Antisemitismus viel zu unwidersprochen geblieben ist», wie er den Zeitungen der Funke Mediengruppe sagte. Bayerns Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) forderte Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) zum Rücktritt auf, weil sie zu spät reagiert habe.
Der Präsident des Zentralrates der Juden, Josef Schuster, stellte in der «Jüdischen Allgemeinen» am Dienstag bei den Rücktrittsforderungen vonseiten der Union einen «faden Beigeschmack» fest, fragte aber zugleich, ob Roth «überhaupt einen Einfluss auf die Kulturpolitik in diesem Land» habe. Er forderte eine antisemitismuskritische Kulturförderung. «Wir Juden sind es leid, uns immer wieder mit Worten und Versprechungen zufriedengeben zu müssen.»
Einige Antisemitismus-Experten warnten auch vor falschen Erwartungen in der Debatte. «Es gibt überhaupt keine konstruktiven Ideen, wie man mit der Situation umgeht, sondern es geht nur darum, eine Art Symbolpolitik zu betreiben», sagte der Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel, am Dienstag dem Sender Bayern 2. «Ob es uns gefällt oder nicht, wir müssen lernen, solche Debatten auszuhalten», hatte Mendel bereits der dpa gesagt.
Während der Gala am Samstagabend war der Nahostkonflikt mehrfach thematisiert worden. Zahlreiche Mitglieder aus Jurys sowie Preisträgerinnen und Preisträger forderten verbal oder mit Ansteckern einen Waffenstillstand im Gaza-Krieg. Der US-amerikanische Regisseur Ben Russell sprach am Ende seiner Dankesrede für eine Auszeichnung von einem Genozid, einem Völkermord.
Mendel sieht keinen Fall von Antisemitismus. «Ich würde von antiisraelischen und einseitigen Äußerungen sprechen, aber nicht von antisemitischer Rhetorik», bekräftigte der israelisch-deutsche Publizist im Bayerischen Rundfunk. Zur Kritik aus der Politik sagte er, es gehe nur darum, aus dem Thema «einen politischen Gewinn zu machen und eine Art von Symbolpolitik zu machen». Solche Reden würden im Kampf gegen den Antisemitismus nicht helfen.
Mirjam Wenzel, Direktorin des Jüdischen Museums Frankfurt, plädierte in der Zeitschrift «Politik & Kultur» dafür, die Frage von geeigneten Maßnahmen zur Prävention und Eindämmung von Antisemitismus im Kulturbereich «in einem gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang zu betrachten». Sie riet der Kulturpolitik unter anderem, Mittel und Zuständigkeiten für antisemitismuskritische Bildungsarbeit stärker zu koordinieren.
Zudem plädierte Wenzel dafür, «den gestiegenen Antisemitismus im Kulturbereich nicht mit zusätzlichen administrativen Maßnahmen einzudämmen, sondern mit dem Bereitstellen zusätzlicher Mittel für die Fortbildung des leitenden Personals von Kultureinrichtungen zur Stärkung ihres antisemitismuskritischen Urteilsvermögens».