Die Israelkritik-Debatte der Berlinale erinnert an den Antisemitismus-Eklat der documenta. Nun beschäftigt das Thema die Biennale in Venedig. Ein Berater hat Vorschläge, wie man damit umgehen kann.
Es ist nicht das erste Mal, dass eine große deutsche Kulturinstitution wegen ihres Umgangs mit extremen politischen Meinungen in die Kritik gerät. Der Eklat um israelfeindliche Äußerungen von Filmschaffenden bei der Berlinale weckt Erinnerungen an den Umgang der documenta mit antisemitischen Kunstwerken - auch wenn die Fälle nicht direkt vergleichbar sind. Wie lassen sich solche Vorfälle vermeiden? Und: Geht das überhaupt?
Die Diskussion um den Umgang kultureller Institutionen mit israelkritischen oder -feindlichen Meinungen geht jedenfalls weiter - nicht nur in Deutschland. Am Dienstag wurde bekannt, dass Tausende Künstler den Ausschluss Israels von der Kunstbiennale Venedig fordern.
Benjamin Andrae ist Geschäftsführer der Managementberatung Metrum, die für die documenta den Eklat um die antisemitischen Kunstwerke aufgearbeitet hat. Er sagt: «Ganz vermeiden lassen sich solche Vorfälle nicht. Und ganz ehrlich, ich glaube, das will ja auch keiner. Aber was wir als Organisationsberater sagen können: Man kann eine Haltung haben, damit gut umzugehen, als Organisation, als Geldgeber.»
Kein Widerspruch bei israelfeindlichen Aussagen
Bei der Berlinale-Preisverleihung am Samstagabend hatten sich Kulturschaffende auf der Bühne einseitig gegen Israel positioniert, einzelne Filmemacher sprachen von «Apartheid» oder «Genozid». Auf der Bühne widersprach niemand, von vielen Leuten im Publikum gab es Applaus. Mit Verzögerung hagelte es Kritik - sogar Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) meldete sich am Montag kritisch zu Wort. Die Vorfälle sollen aufgearbeitet werden, hatte Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) am Montag angekündigt. Sie saß selbst, wie auch Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU), im Publikum.
Die Berlinale positionierte sich am Tag nach der Preisverleihung. Äußerungen von Preisträgerinnen und Preisträgern seien unabhängige individuelle Meinungen, hieß es. «Sie geben in keiner Form die Haltung des Festivals wieder.» Eine Sprecherin der Berlinale verwies am Dienstag auf einen allgemeinen Verhaltenskodex des Festivals zum Thema Antidiskriminierung.
Es müssten auch Meinungen und Statements ausgehalten werden, die den eigenen Meinungen widersprächen - solange sie nicht Menschen oder Menschengruppen rassistisch oder anderweitig diskriminierten oder gesetzliche Grenzen überschritten, sagte die Co-Leiterin der Berlinale, Mariette Rissenbeek, laut einer Mitteilung. «Es wäre aus unserer Sicht inhaltlich angemessen gewesen, wenn sich auch die Preisträger*innen und Gäste auf der Preisverleihung zu dieser Frage differenzierter geäußert hätten.»
Auch Künstler können zur Positionierung verpflichtet werden
Wie lassen sich solche Eklats möglichst vermeiden? Andrae hat Ideen. Wichtig sei zum einen ein, «frühzeitig eine Verpflichtung zum Dialog einzubauen, ruhig auch in Verträge». Gemeint ist, dass Geldgeber oder kaufmännische Geschäftsführung die Festivalleitungen dazu verpflichten, über ethische Fragen zu sprechen und sich dazu zu erklären. So lasse sich festhalten, was die Haltungen zum Thema Diskriminierungsbekämpfung sind und wie gewährleistet werden soll, dass gleichzeitig Kunstfreiheit und Menschenwürde gewahrt bleiben. «Dazu kann man auch Künstler verpflichten, weil das die Kunstfreiheit nicht tangiert.»