Das Jahr 2016 wird als Jahr der Plebiszite in die Geschichte Europas eingehen. Ein Kommentar.
Der Drang der Bürger, die Geschicke ihres Landes und der Europäischen Union auch jenseits von Parlamentswahlen mitzubestimmen, steigt mit wachsender Politikverdrossenheit. Volksabstimmungen werden folglich auch genutzt, um Regierenden einen Denkzettel zu verpassen. David Cameron musste dies bei der Abstimmung über den Brexit im Juni leidvoll erfahren. Matteo Renzi ist das nächste Opfer. Sowohl der britische als auch der italienische Regierungschef wollten die Menschen mit Referenden instrumentalisieren. Zumindest Renzi hätte aus dem Fehler Camerons lernen müssen, sich nicht aus der Not heraus in einen Volksentscheid zu flüchten. Am Ende wurden beide eingeholt von den Geistern, die sie gerufen hatten.
Daraus nun den Schluss zu ziehen, das Volk besser nicht abstimmen zu lassen, wäre falsch. Die Bürger müssen von Betroffenen zu Beteiligten gemacht werden. Ein Urnengang alle vier bis sechs Jahre, bei dem über seitenlange Wahlprogramme abgestimmt wird, reicht den Menschen dafür nicht mehr aus. Im Gegenteil: Die sinkende Wahlbeteiligung bestätigt die Erkenntnis der Wahlforscher, dass nicht einmal mehr zehn Prozent der Menschen in Deutschland glauben, mit ihrer Wahl etwas bewegen zu können.
Wer dies ändern will, muss die Bürger in Grundsatzentscheidungen einbinden. Repräsentative Demokratien brauchen eine Frischzellenkur - etwa durch Elemente einer direkten Demokratie. Die Volksabstimmungen in Großbritannien und Italien haben allerdings gezeigt, dass die Bürger neue Verantwortung erst lernen müssen. Frankreich geht hier behutsamer vor. Sozialisten und Konservative lassen die Bürger zunächst über ihre Kandidaten für die Präsidentschaftswahl abstimmen. Sie stellen damit sicher, dass die besten Bewerber mit dem größten Rückhalt in der Bevölkerung gegen Marine Le Pen vom Front National antreten werden. Angenehmer Nebeneffekt: Die Menschen in Frankreich belohnen die großen Parteien mit einem Mitgliederzuwachs für die Einbindung in diese wichtige Personalentscheidung.
Diesen Mut wünscht man auch den Parteien in Deutschland. Die Urwahl eines Kanzlerkandidaten, wie sie die SPD plant, ist ein erster Schritt. Zu zaghaft, weil die Entscheidung auf die Parteimitglieder beschränkt bleibt. Vertrauen schenken könnten die Parteien den Bürgern auch bei einer Direktwahl des Bundespräsidenten. Sie würden dafür Vertrauen - in die Politik - ernten.
Behutsam installierte Elemente direkter Demokratie können unsere repräsentative Demokratie ergänzen. Ihr sind allerdings auch Grenzen zu setzen. Direkte Demokratie darf nicht zu einer Diktatur der Minderheit führen.