Ein Segen war deshalb die Wertschätzung, die er auf der Bühne erleben durfte. Erfolg und die Zuneigung der Menschen hätten ihm mehr Selbstwertgefühl und Selbstsicherheit geschenkt, verrät der Entertainer mit seiner hell klingenden Stimme. 2023 war er in der Ruhrgebietsstadt Herne für sein Lebenswerk mit dem Jürgen-von-Manger-Preis ausgezeichnet worden. Reinhardt ist auch Initiator, Mitbegründer und Vorstand der «Come Out! Stiftung» (Mülheim), die seit 2021 junge Menschen in ihrem Anderssein unterstützt.
Subversiv mit Herz und Witz
Doch der Weg noch oben war lang und steinig. Ein Suizidversuch mit 18 Jahren war der Tiefpunkt seiner frühen Jahre. Später begann Reinhardt, bis heute eine Leseratte, in Hamburg ein Studium der Bibliothekswissenschaften, das er abbrach. In der Hansestadt erkundete er die Schwulenszene der 1970-er - auch in ihren politischen Kampf gegen den mehrfach modifizierten Paragrafen 175. Sang im Tunten-Chor, traf den Aktivisten Corny Littmann, spielte mit ihm in der freien Gruppe «Familie Schmidt». Was am 8.8.1988 zur Gründung der Kiez-Bühne Schmidt Theater nahe der Reeperbahn führte.
Dort erblickte auch Lilo Wanders das Licht der Welt - Reinhardt gestaltete sie zunächst als schrille Karikatur der Kriegs- und Nachkriegssängerin Künneke («Sing, Nachtigall, sing»).
Lilo Wanders ist ein Abbild seines inneren Selbst
Für die zur Nachtstunde laufenden «Wa(h)re Liebe»-Episoden entwickelte der Künstler «die Wanders» aber weiter, gestaltete sie vielschichtiger und warmherziger – letztlich als Abbild seines eigenen inneren Selbst, sagt Reinhardt. Denn in den Sendungen, in denen er einige der schlüpfrigen Beiträge durchaus als grenzwertig empfand, wollte er respektvoll auftreten.
Aufklären, Vorurteile abbauen, auch Provozieren – ja. Aber eben subversiv auf amüsante Weise. «Ich wollte das nicht mit der Keule machen», erinnert sich der Moderator, «und bin ohnehin kein Kämpfer. Obwohl mein Herz links schlägt.» Mit charmantem Wanders-Lachen sagt er: «Man braucht Empathie und Humor für so ein Unterleibs-Magazin. Ich hatte immer den gesunden Abstand eines Leichenwäschers.»
Auch Hamburgs Senator für Kultur und Medien, Carsten Brosda (SPD), würdigt den Künstler. «In Lilo Wanders hat Ernie Reinhardt eine echte Kunst- und Kultfigur geschaffen, deren Weg untrennbar mit der Reeperbahn und Schmidt's Tivoli verbunden ist. Er wirkte weit über Hamburgs Grenzen hinaus und hat für die Sichtbarkeit und Akzeptanz queerer Menschen einen bedeutenden Beitrag geleistet», erklärte Brosda auf dpa-Anfrage. «Mit viel warmherzigem Humor zeigt Lilo Wanders uns immer wieder, wie wundervoll eine bunte, vielfältige Gesellschaft ist, in der alle leben und lieben können, wie sie wollen.»
Liebe - eine Berührung der Seelen
Und was versteht Reinhardt heute unter wahrer Liebe? «Selbstaufgabe ist es nicht», antwortet er, «eher, dass sich zwei Seelen berühren - kurz- oder längerfristig.» Tiefe Verbundenheit mit einem Mann habe er im Leben dreimal erfahren – und danach jahrelanges Herzensleid.
Wie sieht er denn die Beziehung zwischen Liebe und Sex? «Sex kann sein wie ein Besuch im Imbiss – schnell den Hunger gestillt und danach vergessen. Mein Bestreben ist das nicht», sagt Reinhardt, «aber natürlich habe ich Verständnis dafür - wenn alle Beteiligten es wollen.»
Und der 70-Jährige fügt hinzu: «Aber wenn man einmal das andere erfahren hat, also das zelebrierte Dinner, dann ist einem auch klar, dass das eine Stufe darüber ist.»