Islam: Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar

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Eine junge Frau trauert in Nizza um die von einem islamistischen Terroristen Ermordeten Foto: dpa
Eine junge Frau trauert in Nizza um die von einem islamistischen Terroristen Ermordeten Foto: dpa

Nach den islamistischen Terrorakten heißt es, endlich Illusionen abzulegen. Gerade um den Rechten Wind aus den Segeln zu nehmen.

Der moderne, individuelle Terrorismus beginnt mit den Sozialrevolutionären im Zarenreich des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Hans Magnus Enzensberger hat in "Politik und Verbrechen" die Psychologie der jungen bürgerlichen Intellektuellen gut analysiert, die mit der "Propaganda der Tat" ein indolentes Volk aufrütteln und die Autokratie zerstören wollten. Auffällig sind die Kategorien von Schuld und Sühne, in denen viele Attentäter dachten: Nach dem Bombenwurf wollten viele Terroristen, dass sie gefasst wurden. Den eigenen Tod nahmen sie um des höheren Ziels willen in Kauf. Im Westen wurden ihre Anschläge übrigens durchaus sympathisierend als Notwehr gegen den russischen Despotismus wahrgenommen.

Die Strategie dieser Nihilisten lehnte der Marxismus-Leninismus ab: Der setzte auf den Staatsterror. Über diverse Befreiungsbewegungen zieht sich die Spur des individuellen Terrors bis hin zum deutschen "roten Jahrzehnt" mit RAF, Bewegung 2. Juni usw. Sie alle zeichnet aus, dass die Gewalt genau kalkuliert und ideologisch gerechtfertigt werden sollte. Sie richtete sich also gegen Repräsentanten des Systems, wie sie von den Terroristen identifiziert wurden. Morde an Unbeteiligten wurden allenfalls als Kollateralschäden in Kauf genommen.


Es ist an der Zeit, sich von Illusionen zu lösen

Eine ganz andere Tradition zeichnet den rechtsextremen Terror aus. Der Anschlag im Bahnhof von Bologna 1980, das Oktoberfest-Attentat im gleichen Jahr zeigen exemplarisch die Intention dieser Attentäter. Durch das wahllose Töten sollte die Bevölkerung verunsichert, der Staat erschüttert, vielleicht ein Putsch von rechts vorbereitet werden. Das erinnert an den blindwütigen islamistischen Terror, der mit den Anschlägen in Paris, Brüssel, Nizza, bei Würzburg, in Ansbach und zuletzt in Saint-Etienne-du-Rouvray endgültig Westeuropa erreicht hat. Auch das friedliche Deutschland, das lange nicht wahrhaben wollte, im Fokus von Terroristen zu stehen.
Deshalb ist es an der Zeit, sich von Illusionen zu lösen.

Wahr ist, dass die allermeisten Muslime mit terroristischer Gewalt nichts am Hut haben. Wahr ist aber genauso, dass es einen radikalen Rand des Islams gibt, den man aus guten Gründen islamofaschistisch nennen könnte. Die Indizien springen regelrecht hervor: die Todesverachtung, ja -sehnsucht, der wüste Antisemitismus mit Vernichtungsfantasien dem Staat Israel gegenüber, der Hass auf "westlichen" Lebensstil, auf Frauen, auf frei ausgelebte Sexualität. Dass der demokratische Rechtsstaat im Denken von Leuten, die in Kategorien einer geoffenbarten Religion und Scharia denken, keine Rolle spielt, versteht sich von selbst.


Linke in Europa: Mitschuld am Aufstieg des Rechtspopulismus

Nur hat ein gewisses liberales Juste Milieu in einem Gemisch aus Sentimentalität und Naivität diese simplen Zusammenhänge nicht sehen wollen. Jede Islamkritik wurde in einen an Perfidie nicht zu überbietenden Konnex mit Rassismus gestellt. Dass Leute, die etwa für den Katholizismus nur ein müdes Lächeln übrig haben und jeden noch so matten Scherz über den Papst bejubeln, dadurch das Projekt Aufklärung verraten, kommt ihnen nicht in den Sinn. Ebenso wie eine kulturrelativistische Linke mit ihrer Fokussierung auf Minderheitenpolitik am Aufstieg des Rechtspopulismus in Europa und den USA keine geringe Rolle spielte. Beide Augen drückte dieses Milieu zu angesichts islamischer Parallelgesellschaften in großen westeuropäischen Städten.

Was radikale Imame predigen, wollte man lieber nicht so genau wissen. Der Gang über den bunten Wochenmarkt war schöner. Was muslimische Jugendliche über den Holocaust dachten oder über ihre Lehrerinnen: lieber ignorieren. Es ist menschlich, Fakten zu verdrängen oder zu relativieren, die nicht ins eigene Weltbild passen. Nur hilft das nichts. Etwa 500 Jihadisten im Land, 10.000 Salafisten, 90 vom Verfassungsschutz überwachte Moscheen: Kein Problem, lieber suhlte man sich im angenehmen Gefühl, es den Nazis mal wieder ordentlich gegeben zu haben, wenn ein versprengtes Häuflein Rechtsextremer einer breiten Front von Antifaschisten (die es auffallenderweise erst sind, seit der Nazi-Opa unter der Erde liegt) gegenüberstand. Manchmal hatte man den Eindruck, "Pegida" sei zur Erbauung der Guten erfunden worden, so lustvoll stürzten sich Kabarettisten und Kommentatoren auf ein paar aufgeregte Spießer im Osten, als ob der 30. Januar 1933 bevorstünde.


Medien: diffuse Emotionen

Das Versagen der Medien kommt hinzu: Wie im kollektiven Drogenrausch wurden im vergangenen Refugees-Welcome-Herbst Recherche und Analyse zugunsten diffuser Emotionen aufgegeben. Wer kam da eigentlich? Woher? Eine Differenzierung zwischen Bürgerkriegsflüchtlingen, Asylbewerbern und anderen Migranten? Erst nach den Silvesterereignissen schwante manchen, dass unter den Einwanderern - auch denen, die bereits länger hier waren - nicht nur vor Dankbarkeit sprudelnde Edelmenschen zu finden sind. Das ist keine Diffamierung, auch wenn Naive - der Kampfbegriff "Gutmenschen" sei ausdrücklich vermieden - zusammenzucken. Das ist Realismus. Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar (Ingeborg Bachmann).


Was wäre also zu tun?

Das Übel an der Wurzel packen, Zivilisation in einer failed region von Libyen bis nach Afghanisten wiederherzustellen, scheint weiter entfernt denn je. Viele aus einer hoffnungslosen, radikalisierten Masse dort haben sich der dümmsten, fatalsten Alternative verschrieben: der einer politisierten Religion als Opium des Volks. Geostrategische Interessen kommen hinzu. Auf den nächsten islamistischen Anschlag kann man also warten. Rein aus Gründen der Selbsterhaltung sind die üblichen polizeilichen Maßnahmen zu ergreifen, ordentliche Registrierung von Migranten etwa. Das ist Thema der Fachleute.

Und, ja, es ist doch ein Schluss simpelster Logik, dass nicht alle Geknechteten und Beladenen dieser Welt in einem einzigen Land aufgenommen werden können. War etwa der Vorschlag eines Seehofer (Krypto-Nazi im linksliberalen Mediendiskurs), jedes Jahr etwa 200.000 Flüchtlinge sich selber auszusuchen ohne Schleusermafia, so viel schlechter als Merkels Plan, sich mit einer Figur wie Erdogan einzulassen? Nebenbei: Durch die Schließung der Grenzen ist die Wirtschaft nicht zusammengebrochen, wie vielfach aufgeregt vorhergesagt. Die Kanzlerin kann sich bei den Österreichern bedanken. Wenn die und die Mazedonier ihre Grenzen nicht dichtgemacht hätten, wäre sie nicht mehr im Amt.

Eine zurechnungsfähige Öffentlichkeit sollte die Paradigmen wechseln, zum Beispiel den Glauben ablegen, alle Attentäter seien psychisch krank und zur Prävention brauche es nur mehr Betreuung. Für weit über 40.000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge? Auch eine Illusion, von der es sich zu verabschieden gilt. Wenn jedoch die banale Äußerung einer Sahra Wagenknecht, dass die Aufnahme einer großen Zahl von Flüchtlingen mit erheblichen Problemen verbunden sei, sogleich skandalisiert wird, lässt das auf wenig Gutes hoffen. Vielleicht gehen wir dem von Enzensberger so genannten molekularen Bürgerkrieg entgegen.