Herbert Blomstedt: "Zuhören muss man können..."

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Ehrendirigent Hebert Blomstedt. Foto: Barbara Herbst
Ehrendirigent Hebert Blomstedt. Foto: Barbara Herbst

Die Konzerte mit dem Ehrendirigenten der Bamberger Symphoniker sind immer schnell ausverkauft. Herbert Blomstedt hat dafür ein Erfolgsrezept.

Wenn Herbert Blomstedt ans Dirigentenpult tritt, wirkt er so souverän, ruhig und konzentriert, dass selbst notorische Raschler und Huster im Publikum still werden. Das wird auch heute wieder so sein, am 26. Oktober, wenn er zum vierten Mal binnen einer Woche ein Konzert der Bamberger Symphoniker leitet und damit einstimmt auf die gemeinsame Tournee, die das Orchester von 1. bis 11. November in sieben japanische Großstädte führt. Wie temperamentvoll der Ehrendirigent auch noch mit seinen 85 Jahren sein kann, führte er schon vorab beim Interview vor.

Er ist gewissermaßen ein jung gebliebener alter Schwede. Wobei einschränkend angemerkt werden muss, dass er in Amerika geboren wurde, seit fast 30 Jahren in der Schweiz lebt und schon lange überall dort zuhause ist, wo er gerade dirigiert. Aber ein Standbein in Schweden hat er immer noch. Blomstedt ist dem Land, in das er als Zweijähriger kam, in dem er und später seine vier Töchter aufgewachsen sind, nach wie vor verbunden.
Die halbe Bibliothek ist schon mal weg.

Gerade erst hat er der Universitätsbibliothek Göteborg seine stattliche Bibliothek vermacht. die Hälfte seiner rund 30.000 Bände umfassenden Sammlung ist bereits dort, wo der Sohn eines Adventistenpastors und einer Klavierlehrerin musikalisch geprägt wurde. "Es war eine lebenswichtige Zeit für mich", sagt er. "Dort habe Abitur gemacht, viel Kammermusik mit der Geige und Orgel gespielt, dort habe ich die ersten Orchesterkonzerte gehört."

Nach dem Studium in Stockholm und Uppsala, nach weiteren Studien und Kursen mit namhaften Dirigenten und Komponisten an der New Yorker Juilliard School, in Tanglewood, Darmstadt, Basel und Salzburg debütierte er 1954 mit dem Philharmonischen Orchester Stockholm. "Das war eine gewaltige Explosion. Die Reaktion war enorm - es gab damals in Stockholm immerhin noch sieben Tageszeitungen! -, und ich bekam sofort ein Angebot vom Gävle-Orchester."


Der Samstag bleibt stets probenfrei


Warum daraus nichts wurde, hat mit seiner Religion zu tun und damit, dass er Samstage heilig und folglich keine Proben halten will. "Natürlich war ich enttäuscht, aber das hat mich auch gestärkt: Rrrrrroar! Trotz! Und das Merkwürdige geschah: Nur ein paar Wochen danach kam eine ähnliche Anfrage aus Norköpping - und das Mirakel ist passiert. Das Orchester hat beschlossen, seine Wochenplanung zu ändern und es klappte."

Mit 27 Jahren die erste Festanstellung: Heute würde man da von einem Spätzünder sprechen, damals war das schon deshalb anders, weil es in Schweden nur sieben professionelle Orchester gab. Blomstedt blieb sieben Jahre in Norköpping - und konnte endlich heiraten, denn "ich wollte das erst, wenn ich meine Frau auch versorgen konnte." Der zweite Chefposten folgte bei den Philharmonikern in Oslo, von dort aus ging es erstmals auf Auslandstourneen nach Deutschland und Griechenland. In Japan dirigierte er zum ersten Mal 1972, auf einer Tournee mit der Dresdner Staatskapelle, bei der er 1969 debütiert hatte und der er von 1975 bis 1985 als Chefdirigent vorstehen sollte.


Heimspiele im Land der aufgehenden Sonne


Das asiatische Land und seine Leute nahmen ihn auf Anhieb gefangen. "Wir waren alle sehr beeindruckt von der Kultur, den herrliche Landschaften, von der Sauberkeit und vom Vertrauen, das die Menschen dort zueinander haben." Warum Japan-Tourneen für deutsche Orchester quasi immer ein Heimspiel sind, liegt für ihn auf der Hand: "Für Japaner ist Deutschland die Heimat der klassischen Musik - und da fallen sie auch gerne in Trance, wenn es nur authentisch ist."

Seit Jahrzehnten leitet Herbert Blomstedt regelmäßig Konzerte des NHK Symphony Orchestra in Tokyo und ist dessen Ehrendirigent - eine Auszeichnung, die ihm auch andere Klangkörper verliehen haben, denen er zum Teil auch als Chefdirigent verbunden war: das San Francisco Symphony Orchestra, die Gewandhauskapelle Leipzig, das Dänische und das Schwedische Radio-Sinfonieorchester sowie die Bamberger Symphoniker.

Wer so viele Erfahrungen weltweit gemacht hat, weiß gut zu unterscheiden. "Alle Generalisierungen sind zwar etwas schief. Aber man kann sagen, die japanischen Musiker sind oft mehr diszipliniert als die Europäer, sind immer korrekt, ein bisschen formell, haben viel Teamgeist - und sie sind enorm fleißig." Die vielen Verbeugungen, denen ein Dirigent von Weltruf natürlich nicht entkommt, sind laut Herbert Blomstedt symptomatisch für die japanische Kultur: "Es gibt einen eingefleischten Sinn für Hierarchien und eine große Ehrfurcht vor älteren Menschen. Das fehlt in unserer Gesellschaft fast völlig."


Freiheit statt Autokratie


Gleichwohl scheint es gerade sein Erfolgsgeheimnis zu sein, dass sein Verhältnis zu den Musikern eben weit entfernt ist vom Klischee des alles beherrschenden Pultmagiers und den ihm bedingungslos folgenden Orchestersklaven. "Ich gebe viel Freiheit, denn schöne, ja beseelte Musik kann nur herauskommen, wenn sie auf den Gefühlen der Musiker basiert und nicht auf Instruktionen. Sie müssen einverstanden sein, sie müssen das selbst wollen."

Warum die Blomstedt-Konzerte in Bamberg praktisch immer ausverkauft sind, hat natürlich auch mit seinem bevorzugten Repertoire zu tun - Mozart, Beethoven und Bruckner stehen auch in Japan auf dem Programm. Aber genauso damit, dass viele Musiker diesen Dirigenten einfach lieben. Und das hört man. "Ich bin natürlich sehr dankbar, denn ich spüre das. Es kommt vielleicht auch daher, weil ich viel Erfahrung habe", sagt er. "Man geht vielleicht die wesentlichen Dinge sofort an - und nicht die unwesentlichen Kleinigkeiten."

Noch wichtiger ist ihm das Zuhören. "Immer wieder, in vielen Situationen und auch als Lehrer, habe ich gemerkt: Je mehr ein Dirigent den Eindruck vermittelt, dass er zuhört, desto aktiver sind die Musiker. Wenn man nur herrscht und Anweisungen gibt, achten die Musiker nur mehr auf die Order und nicht auf die Musik." Die Bamberger Symphoniker und die weltweit renommierten Orchester, mit denen er regelmäßig auftritt, folgen ihm seiner Ansicht nach auch deshalb so gerne, weil er nicht oder nicht mehr ihr Chef ist. "Sie wissen alle, dass sie bei mir nichts zu fürchten haben - und können sich ganz der Musik widmen."


Energie, die von innen kommt


Was die eigenen dirigentischen Bewegungen betrifft, ist er schon lange und nicht nur aus Altersgründen ein Asket. "Ich reagiere fast allergisch, wenn ich Kollegen sehe, die ständig herumfuchteln. Es geht doch beim Dirigieren um eine Erregung, die von innen kommt. Die seelische Energie kann dadurch noch größer werden, wenn der äußere Apparat nicht so viel Aufmerksamkeit schluckt."

Warum es in Konzerten immer wieder zu den wunderbaren Momenten kommen kann, wo man glaubt, dass die Zeit stehen bleibt? "Musik", sagt Herbert Blomstedt, "ist die einzige Kunst, bei der man die Vergangenheit ins Heute holen kann. Ein Bauwerk, ein Gemälde bleiben immer hängen in der Zeit, wo sie entstanden sind. Wenn wir diese Kunstwerke heute sehen, gibt es andere Eindrücke. In der Musik ist das anders: Wir holen sie wieder hervor, machen sie wieder lebendig, schaffen sie jedes Mal zwar ähnlich, aber neu, anders, einmalig. Das ist die einzige Art, die Vergangenheit wieder zu erleben - natürlich mit neuen Vorzeichen."
Ein Deutscher durch und durch

Dass seine eigene Vergangenheit von deutscher Kultur geprägt ist, hört man schon seinem exzellent fließenden Deutsch an. "Ich bin sehr deutsch", bekennt er. Was er zum einen darauf zurückführt, dass die deutsche Kultur in Schweden sehr lange und bis zum Zweiten Weltkrieg sehr präsent war. Zum anderen ist Deutschland seine geistige und musikalische Heimat. "Heinrich Schütz ist deutsch, Bach natürlich, Beethoven ist für mich besonders deutsch - auch wenn er in Wien tätig war und aus Belgien stammt, verkörpert er wie kaum ein anderer den deutschen Drang nach Ethik."

Von deutschen Schriftstellern schwärmt er auch, bewundert an Goethe dessen Sprachkunst und Genieblitz und an Schiller dessen Pathos und Idealismus. Auch wenn er seine halbe Bibliothek schon weggegeben hat, ist Herbert Blomstedt, was die eigene Zukunft betrifft, optimistisch. Der 85-Jährige hat noch viel vor. Allein in diesem Jahr spielt er 77 Konzerte, die Planungen mit jenem Dutzend an Orchestern, wo alle Musiker quasi seine Freunde sind, laufen bis 2016. Worauf man sich auch in Bamberg freuen darf.

Vielleicht kommt seine körperliche und geistige Fitness unter anderem daher, dass er Humor hat. Herbert Blomstedt ist nicht nur am Pult ein großer Geschichtenerzähler. Er lacht herzlich, als er von einem verspäteten Geburtstagsgruß berichtet, den ihm Peter Pastreich, früher sein Intendant beim San Francisco Orchestra, schickte: "Lieber Herbert, es tut mir leid, dass ich deinen Geburtstag vergessen habe. Aber ich verspreche dir, dass ich deinen 90., 95. und 100. nicht vergessen werde - vorausgesetzt, ich bin dann noch am Leben." Wetten, dass sich viele seiner Fans in Bamberg dem gerne anschließen?


Das Interview mit Herbert Blomstedt im Wortlaut


Die Japan-Tournee steht vor der Tür, Reisen gehören zu Ihrem Leben. Wie kommen Sie damit zurecht? Was sind die Vor- und Nachteile?
Herbert Blomstedt: Eigentlich bin ich überall zuhause und nur noch selten in Luzern, wo ich fast schon dreißig Jahre dieselbe Wohnung habe! Denn seit meine Frau gestorben ist - das ist jetzt neun Jahre her -, ist für mich noch weniger Anreiz gegeben, zuhause zu sein. Ich habe gerade erst schon mal die Hälfte meiner Bibliothek weggegeben, die beachtliche 30.000 Bände umfasste. Es gibt jetzt viele leere Regale bei mir. Die Bücher befinden sich in der Göteborger Universitätsbibliothek. Für meine vier Töchter, die nur wenig Interesse an meinen Büchern hatten, wäre das doch nur eine Belastung geworden. Das Problem für mich war, die komplette Bibliothek, also die Partituren und musikalischen Fachbücher, die schöngeistige Literatur, die unterschiedlichen Kunstbücher, die Bände zu Theologie und Philosophie, alle unter einem Dach zu halten. In Stockholm schien es nicht zu gehen, in Göteborg haben die sofort ja gesagt. Inzwischen ist die halbe Bibliothek dort. Die Musikbücher und Noten habe ich natürlich noch alle bei mir, so lange ich sie brauche. Und diese Abteilung wächst ständig noch weiter. Heute, ausgerechnet heute, kommt ein Lastwagen aus Göteborg und holt aus dem Verlag Laaber von Dr. Henning Müller-Buscher eine alte Musikbibliothek ab, die ich gekauft habe, eine Sammlung von 160, teilweise sehr seltenen musiktheoretischen Büchern, die zwischen 1500 und 1850 erschienen sind.

Was verbindet Sie denn noch mit Göteborg?
Ich bin dort aufgewachsen, habe dort meine ersten musikalischen Eindrücke bekommen. Insofern war das eine lebenswichtige Zeit für mich. Dort hab ich Abitur gemacht, dort hab ich meine ersten Orchesterkonzerte gehört: zwei Konzerte, zwei verschiedene Programme pro Woche, fünf Jahre lang. Wir waren besessen von Musik! Schon in der Schule - das war eine sehr feine alte Lehranstalt mit stolzer Tradition - habe ich als Geiger viel Kammermusik gespielt. Dort habe ich auch angefangen, Orgel zu spielen, zum Morgengebet, zu dem sich für eine Viertelstunde alle 900 Schüler versammelten. Als ein Lehrer mich fragte, ob ich an der alten Orgel von den 1850er Jahren spielen wollte, hab ich begeistert angenommen, und er hat mir den großen, eisernen Schlüssel zu seiner Kirche geliehen, wo ich üben durfte, soviel ich wollte - nur nicht sonntags zur Gottesdienstzeit. Ich ging sehr oft hin und habe auf der Orgel losgedonnert bis spät in die Nacht. Ich konnte nie genug bekommen. Schon durch die Geige war ich besessen von Johann Sebastian Bach. Als ich entdeckte, dass er auch Orgelmusik geschrieben hatte, war alles zu spät. Ich habe alles von ihm gespielt, alles, grenzenlos.

Erinnern sie sich noch an Ihre erste größere Reise?
Nein, denn ich war erst zwei Jahre alt, als ich mit meinen Eltern von Amerika nach Schweden kam. Bald darauf fuhr meine Familie nach Wien, später folgten kleinere Reisen in Skandinavien. Die erste große Reise, die ich allein machte, ging 1947 von Stockholm nach London. Ich fuhr als Delegierter zu einem Jugendkongress der Adventisten, an dem fast 2000 Jugendliche aus ganz Europa teilnahmen - durchgehend mit dem Zug, durch Deutschland, Belgien, Ostende, dann die Fähre und schließlich London. Was mir am meisten in Erinnerung geblieben ist, war die Fahrtstrecke durch das zerstörte Deutschland. Es war erschütternd, als wir bei Flensburg nach Deutschland kamen, auf dieser noch intakten Brücke über den Kieler Kanal. Der Zug fuhr sehr langsam, die ganze Strecke entlang standen dort Kinder und bettelten um Zigaretten, denn das war damals das Zahlungsmittel überhaupt. Und die vielen Ruinen! Es war für mich erschütternd, zum Weinen - durch Hamburg, vorbei am Hauptbahnhof, der in Trümmern, Schutt und Asche lag. In England war es dann sehr schön, ich hörte die ersten Konzerte bei den Londoner Proms.

Und die nächste Reise?
Ging 1949 nach Deutschland zu den Kranichsteiner Musiktagen in Darmstadt, wo ich auch später nochmals war. Darmstadt war damals ein wichtiges Musikzentrum. Man hatte viel nachzuholen nach der Nazi- und Kriegszeit. Paul Hindemith war ein Schwerpunkt, auch wenn er nicht selber zugegen war. Aber ich hatte Kammermusikstunden mit Maurits Frank, damals Cellist beim Amar-Quartett, wo auch Hindemith mitspielte. Frank war ein jovialer, beleibter Herr, mit ihm spielte ich Hindemith-Quartette und das Hindemith-Streichtrio. Und ich hörte viele Vorlesungen, hauptsächlich bei Heinrich Strobel, Chefredakteur der Musikzeitschrift Melos und Intendant beim Südwestfunk Baden-Baden. Weil das Kranichsteiner Schloss zerstört war, wurden wir in Marienhöhe einquartiert, einer Schule, die den Adventisten gehörte.

Die Komponisten Wolfgang Fortner und Ernst Krenek waren da, auch ein Freund von mir aus Schweden, Ingvar Lidholm, der dort sein Werk Toccata e Canto von 1944 dirigiert hat. Die Konzerte fanden alle in Frankfurt statt. Ich erinnere mich noch an viele dieser Museumskonzerte. Wenn zum Beispiel unter Hans Rosbaud die Schönberg-Variationen op. 31 gespielt wurden, war das ganz neu für die Leute damals. Rosbaud war ja sehr asketisch in seiner Erscheinung, äußerlich sehr ruhig, aber es war Feuerglut, eine Feuerseele in diesem Mann! Später, nachdem meine Frau und ich 1955 geheiratet hatten, haben wir nochmals Marienhöhe besucht. Sie war Französischlehrerin, und ich habe ein paar Wochen studiert bei Nadja Boulanger in Paris - eine begnadete Pädagogin. Das letzte, was sie uns sagte, als wir wieder abfuhren, vergesse ich nie: "The most important for you - (Herbert Blomstedt spricht dabei ein perfekt abgehacktes Französisch-Englisch) - is to have children!

Und das mit den Kindern haben Sie gleich umgesetzt?
So nach und nach, in zwei Serien: Zwei Mädchen mit zwei Jahren Abstand, zehn Jahre Pause und dann noch mal zwei.

Was war Ihre erste Konzertreise?
So schnell ging das nicht! Also ich habe 1950 in Stockholm die Dirigentenklasse absolviert. Es gab damals nur eine Musikhochschule in Schweden, in jeder Klasse nur drei Schüler, ein strenger Numerus clausus. Jetzt gibt es in Schweden an die zehn Musikhochschulen, mit fünfzig dirigentischen Studenten und fast fünfzig Kompositionsschülern. Wo sollen die alle beschäftigt werden? Wer soll all die Musik spielen? Einerseits ist das natürlich sehr positiv, andererseits fragt man sich, ob das wirklich zusammengeht in der Praxis.
Sie fragten nach Konzertreisen. Es gab damals in Schweden sieben Profi-Orchester, davon zwei voll ausgebaute - in Stockholm und in Göteborg. Die anderen waren sehr klein, aber da reinzukommen war auch nicht leicht. Ich hatte zwar einen Abschluss, aber keine Aufträge. Mein Lehrer hieß Tor Mann, was einem im Internet natürlich Tausende Einträge beschert, nur kaum zu ihm. Er war ein bedeutender Mann für das nordische Musikleben und Chefdirigent in Göteborg, das in den 1920er und 30er Jahren das beste Symphonieorchester in Schweden hatte und seit 1936 auch ein wunderbares Konzerthaus, akustisch eine der besten Konzerthallen der Welt. Mann hat wohl gesehen, dass bei mir Talent da war, hat versucht, mich zu platzieren, aber Erfolg hatte er dabei nicht. Ich habe in meinen ersten zwei Jahren nur ein paar Rundfunkaufnahmen dirigiert, und ein erstes selbstständiges Konzert in Gävle, das aber zu nichts führte. Auch ein Probedirigat beim Stockholmer Rundfunksymphonieorchester, das mein Lehrer als Chef dieses Orchesters ein bisschen selbstherrlich angeordnet hatte, schlug fehl. Ich saß im Künstlerzimmer und wartete und wartete, aber niemand kam, mich abzuholen. Erst nach einer Viertelstunde kam einer vom Orchester und sagte: "Es tut uns sehr leid, aber wir können nicht für Sie spielen. Wir sind nicht verpflichtet, unter Studenten zu spielen."
Was für eine herbe Enttäuschung! Ich saß in der Warteschleife fest, studierte Musikwissenschaften in Uppsala, um etwas Vernünftiges zu tun, schlug mich durch mit verschiedenen Stipendien, konnte so nach Basel und Salzburg, ein halbes Jahr in Boston ans Konservatorium, ein halbes Jahr an die Juilliard School in New York und schließlich auch nach Tanglewood. Und dort erst kam die entscheidende Wende - ein Telegramm von der Stockholmer Philharmonie. Der Intendant bot mir ein Symphoniekonzert für den 3. Februar 1954 an und bat um Programmvorschläge. Das habe ich dann gut ausnützen können und es wurde eine gewaltige Explosion. Damals gab es in Stockholm sieben Tageszeitungen - heute sind es nur noch zwei. Die Reaktion war enorm und ich bekam sofort ein Angebot vom Gävle-Orchester. Sie fragten: "Wir haben gehört, dass Sie samstags nicht proben, stimmt das?" "Ja, das stimmt", hab ich geantwortet. Und dann haben sie gesagt. "Vielen Dank, das ist leider bei uns nicht möglich, denn wir haben unsere Konzerte immer am Sonntag und die Generalprobe am Samstag."
Natürlich war ich wieder enttäuscht, aber das hat mich auch gestärkt: Rrrroar! Trotz! Und das Merkwürdige geschah: Nur ein paar Wochen danach kam eine ähnliche Anfrage von Norköpping - und das Mirakel ist passiert. Das Orchester hat nach zwei Probedirigaten beschlossen, seine Wochenplanung für mich zu ändern. Der Samstag wurde immer freigehalten, die Generalproben wurden auf Sonntags um elf Uhr verschoben, was aber auch nur deshalb ging, weil im Orchester keine Musiker saßen, die unbedingt in die Sonntagsmesse wollten. Der Fußball um 13 Uhr war viel wichtiger, denn Nordköpping hat eines der besten Teams in Schweden. Schließlich muss man noch bedenken, dass die Sonntage damals der einzige Familientag in der Woche waren, denn die Kinder gingen auch noch am Samstag zur Schule. Jetzt opfern die diesen Tag meinetwegen! Das hat mich sehr berührt. Ich war gerade 27. Heute machen junge Dirigenten Karriere, wenn sie mit 21 die Wiener Philharmoniker dirigieren! Ich war in diesem Sinne ein Spätzünder. Nein, es war damals eben noch anders. Die Orchestermusiker haben mir quasi aus der Hand gegessen, waren überhaupt nicht hochnäsig, auch wenn ich der Jüngste von allen war. Eine herrliche Zeit! Endlich konnte ich heiraten - denn ich wollte das erst, wenn ich meine Frau auch versorgen konnte - und wir sind sieben Jahre geblieben.

Sind Sie mit diesem Orchester schon auf Reisen gegangen?
Nur wenig, meistens nur in der Umgebung. Nur einmal sind wir nach Gotland geflogen.

Wann kam Ihre erste richtig große Tournee?
Mit dem nächsten Orchester, den Philharmonikern in Oslo. Wir haben ziemlich sofort zwei große Reisen gemacht, eines der ersten Konzerte war in Berlin, wo uns der damalige Bürgermeister Willy Brandt mit seinem guten Norwegisch beeindruckt hat. Und dann Griechenland, Konzerte in Athen und Saloniki. Unvergesslich ist mir auch eine inländische Reise in Norwegen: Das Orchester hatte sich eingeschifft, das wurde unser Hotel für zwei Wochen, nur für uns. Jeden Abend spielten wir in einem anderen Fjord, in einer anderen Kirche, Halle, Schulaula - und vor vielen Leuten, die zum ersten Mal ein richtiges Orchester gehört haben. Es war Sommer. Wenn die Konzerte um 11 Uhr abends zu Ende waren, schien noch die Sonne. Da geht man nicht zu Bett. Wir haben in diesen zwei Wochen praktisch nicht geschlafen. Es war unwahrscheinlich schön.

Wann waren Sie zum ersten Mal in Japan?
Das war mit der Dresdner Staatskapelle. Ich habe sie 1969 das erste Mal dirigiert und wurde sofort gebeten, ihr Chef zu werden. Es dauerte ziemlich lange, bevor ich mich 1975 dazu entschließen konnte. Das Land war mir unheimlich - aber das Orchester war wunderbar und das Publikum dort! Der Kontrast war riesig zwischen dem sehr grauen Kontrollstaat und dieser warmen Menschlichkeit, die ich dort empfunden habe. Die erste Japan-Tournee war bereits 1972 und seitdem bin ich praktisch jedes Jahr dort.

Wie war Ihr erster Eindruck von dem Land und von den Menschen dort?
Wir waren alle sehr beeindruckt. Von der Kultur, von der Sauberkeit, vom Vertrauen, das die Menschen dort zueinander haben.

Wir zeigt sich dieses Vertrauen?
Es existiert da kein Diebstahl. Man fühlt sich überall sicher. Eine Frau kann auch mitten in der Nacht allein gehen und wird nie angetastet. Meine Frau fühlte sich in Japan immer sehr wohl und hatte mit der Zeit auch sehr viele Freunde dort. Ich erinnere mich noch an die erste Nacht in Japan, in einem typisch japanischen Hotel in einem Badeort am Fuße des Fuji. In jedem Zimmer lag ein einfacher Kimono aus Baumwolle bereit, den man schnell überwerfen konnte. Ich war noch keine fünf Minuten in meinem Zimmer, da kam ein Trompeter zu mir und schrie laut herum "Es ist kein Kimono in meinem Zimmer, kein Kimono in meinem Zimmer!" Er war der schlechteste Musiker des Orchesters, aber Parteimitglied und machte sich natürlich immer breit. Ein hoffnungsloser Fall. Aber es war dann noch sehr schön. Die Leute waren begeistert. Die Staatskappelle ist Gott selbst in Japan - und nicht nur sie! Jedes deutsche Orchester wird dort angebetet.

Warum ist das so?
Die klassische Musik, das Hauptrepertoire für Orchester ist deutsch - Beethoven, Haydn, Mozart, Mahler, Bruckner. Für die Japaner ist Deutschland die Heimat der klassischen Musik. Viele haben inzwischen ein sehr feines, sensibles Urteilsvermögen und viel Erfahrung damit, die meisten fallen aber einfach nur in Trance, wenn etwas aus Deutschland kommt. Ein typisches Beispiel: Zum Mozartjahr 1991 war für die Japaner das Mozarteum-Orchester aus Salzburg das Highlight, auch wenn es damals noch kein besonders gutes Orchester war. Aber es war eben authentisch, aus derselben Stadt wie Mozart! Sie sind da rührend, im positiven Sinne naiv.
Ich vergesse nie eine Rückreise von Dresden nach Stockholm, zu der Zeit, als man gerade angefangen hatte, die Semperoper wiederaufzubauen. In der Lounge des Flughafens Schönefeld erkannten mich plötzlich Jugendliche aus Japan und umschwärmten mich nach Autogrammen. Einer der Jungen holte stolz einen Stein aus seiner Hosentasche, fuchtelte damit herum und rief "Semperoper! Semperoper!" Das war sein frisch erbeuteter Talisman.
Wir sind mit der Kapelle auch in der NHK-Halle aufgetreten. Der Intendant des NHK-Symphony Orchestra hat mich begrüßt und sofort für weitere Konzerte engagiert. Als ich dann ein oder zwei Jahre später wieder kam, sagte er mir: "Sie dürfen nicht nach Hause reisen! Wir behalten Ihren Pass hier!" Er meinte das natürlich im Scherz und im Guten. Seither bin ich dem NHK-Orchester verbunden. Das sind jetzt fast schon vierzig Jahre.

Worin unterscheiden sich die japanischen Musiker von den deutschen?
Schwer zu sagen. Allein in Tokyo gibt es neun große Symphonieorchester. Das Interesse ist enorm. Ich kenne ja nur das NHK-Orchester - und die sind inzwischen enorm gut. Alle Generalisierungen sind ein bisschen schief. Aber man kann sagen, die japanischen Musiker sind mehr diszipliniert als die Europäer, sind immer korrekt, ein bisschen formell, haben viel Teamgeist - und sie sind enorm fleißig. Was die besten europäischen Orchester allerdings auch sind - die Bamberger Symphoniker, die Dresdner Kapelle, das Gewandhaus, das sind auch Orchester mit einer enormen Disziplin. Das Gewandhaus vielleicht am meisten. Das ist so exakt. Und ohne Zwang. Die sitzen zehn Minuten vorher schon alle auf ihren Stühlen, drei Minuten vorher wird eingestimmt und dann ist Totenstille. Alle warten, was wird heute passieren? Wird es eine gute Probe, werden wir was Neues entdecken und lernen oder wird es nur Routine sein? Alle sind gespannt. Und dann sind sie bereit, wie zum Sprung. So sind die Japaner auch. Mit einem sehr guten Teamspirit. Und sie haben, was vielleicht an ihrem religiösen Hintergrund liegt, einen eingefleischten Sinn für Hierarchien und eine große Ehrfurcht vor älteren Menschen. Das fehlt in unserer Gesellschaft fast völlig. Jeder Person in führender Stellung - und zwar nicht nur der oberste Chef - wird mit einer Verbeugung begegnet. Wenn ich zu einer Probe komme, stehen da immer drei Leute an der Tür und verbeugen sich tief. Und wenn die Probe fertig ist, sagt einer Bescheid, damit noch schnell aus dem Büro drei Leute rauskommen, auf der Treppe stehen und sich verbeugen. Das ist symbolisch für die ganze Kultur dort. Die Japaner bleiben ja auch meistens ihr ganzes Leben in einem Betrieb, in einem Geschäft, bei einem Arbeitgeber. Sie streiken nie, arbeiten ungeheuer fleißig. Es gibt da viel Bewundernswertes, es hat bekanntlich auch große Nachteile. Die Selbstmordrate in Japan ist sehr hoch.

Wann waren Sie zum ersten Mal mit den Bamberger Symphonikern unterwegs?
Zuerst in der Umgebung und in Deutschland, dann waren wir unter anderem in Metz, Luxembourg, in der Schweiz und in Prag.

Und oft war Bruckner im Gepäck. Haben Sie sich das so gewünscht?
Das ist schon eine Tradition. Als Eugen Jochum starb, war da wohl ein Vakuum, das man auf diese Art gefüllt hat. Bruckner passt sehr gut zu dem Orchester.

Sie sind in Amerika geboren, in Schweden aufgewachsen. Wie deutsch sind Sie denn?
Ich bin sehr deutsch - und das hat zwei Gründe. Erstens waren Schweden und Deutschland, wenn man in der Geschichte zurückschaut, immer sehr verbunden. Die erste Fremdsprache in der Schule war für mich Deutsch, das war ab der 4. Klasse obligatorisch. Englisch kam erst später. Schweden war auch politisch sehr deutschfreundlich - so sehr, dass es uns fast zum Verhängnis wurde. Ich habe diese Transitzüge während des Kriegs von und nach Notwegen selbst in Erinnerung, das waren geschlossene Züge, markiert mit einem Roten Kreuz und voller Soldaten. Was wäre passiert, wenn wir das nicht zugelassen hätten? Hätte Hitler dann nicht auch Schweden besetzt? Auf diese Weise sind wir verschont worden - und viele Menschen konnten sich zu uns retten. Wie auch immer: Ich bin sehr deutsch deswegen, weil unsere Kultur deutsch ist. Und noch viel wichtiger ist, dass die Musik, die ich liebe, deutsch ist. Das Kernrepertoire ist das deutsche Repertoire. Musikalisch ist Deutschland meine Heimat.

Was davon ist für sie spezifisch deutsch?
Heinrich Schütz ist besonders deutsch, Bach natürlich, das ganze romantische Orchesterrepertoire und Beethoven. Beethoven ist besonders deutsch. Auch wenn er aus Belgien stammt und in Wien tätig war, verkörpert er wie kaum ein anderer die deutsche Kultur, den deutschen Drang nach Ethik.

Welche deutschen Schriftsteller lesen Sie besonders gerne?
Schiller noch lieber als Goethe, denn sein Idealismus sagt mir besonders zu, das Pathos. Goethe bewundere ich sehr für seine Sprachkunst, seinen Genieblitz. Ich habe, was die deutsche Kultur betrifft - Musik, Architektur, Literatur und bildende Künste - eigentlich immer Nachholbedarf.

Auch in Bamberg?
Bamberg ist sehr speziell mit all den Kirchen hier. Das ist schon ein erzkatholisches Gebiet, aber ich hab keine Angst davor. Ich schätze das, die enorme kulturelle Tiefe, diese Wurzeln. Einige der größten Schätze Bambergs liegen in der Staatsbibliothek. Ich habe unter anderem eine sehr schöne Faksimileausgabe der Bamberger Apokalypse, die der Luzerner Faksimile-Verlag herausgebracht hat. Vor ein paar Tagen erst habe ich wieder beim Antiquariat Lorang reingeschaut und fand zwei gut erhaltene Bildbände über Helmut Kohl, den ich als Vater der deutschen Einheit sehr bewundere, jeweils von Kohl signiert und Paul Röhner gewidmet. Ich wusste zuerst nicht, wer das ist, habe zurück im Hotelzimmer ein bisschen recherchiert und schnell erfahren, dass wir ihm die Konzerthalle und auch dieses schöne Hotel zu verdanken haben.

Wenn Sie jetzt zum ersten Mal mit den Symphonikern nach Japan fliegen, was haben Sie da für Erwartungen?
Die allergrößten! Ich finde, das Orchester ist in Hochform, sie haben schon das Programm mit Mozart und Bruckner außergewöhnlich schön gespielt, mit großer Konzentration und gegenseitiger Aufmerksamkeit. Die Bamberger Symphoniker finde ich viel besser als die Münchner Philharmoniker: Das sind zwar geschickte und nette Musiker, die auch einen neuen Spielwillen, aber noch kein Ensemblegefühl haben. Das müssen sie schon selbst wollen - und nicht nur sich anhängen an einen Star.

Sie haben viel von Teamgeist in den wirklich guten Orchestern gesprochen. Aber ich habe zusätzlich das Gefühl, dass die meisten Bamberger Symphoniker sie ganz einfach lieben.
Ich weiß nicht, woran das liegt. Aber es ist tatsächlich so mit den Orchestern, mit denen ich regelmäßig musiziere. Ich bin natürlich sehr dankbar, denn ich spüre das. Ich kann das sicher nicht alles analysieren. Es kommt vielleicht auch daher, weil ich viel Erfahrung habe. Man geht vielleicht die wesentlichen Dinge auch sofort an - und nicht die unwesentlichen Kleinigkeiten. Ich gebe viel Freiheit, denn schöne, ja beseelte Musik kann nur herauskommen, wenn sie auf den Gefühlen der Musiker basiert und nicht auf Instruktionen. Sie müssen einverstanden sein, sie müssen das selbst wollen. Das versuche ich zu stimulieren. Natürlich setze ich den Rahmen, aber die Musik machen doch sie!
In vielen Situationen und auch als Lehrer habe ich gemerkt: Je mehr ein Dirigent den Eindruck vermittelt, dass er zuhört, desto aktiver sind die Musiker. Wenn man nur herrscht und Anweisungen gibt, achten die Musiker nur mehr auf die Order und nicht auf die Musik. Ich brauche eigentlich nur meinen Kopf schief und die Hand ans Ohr zu legen, dann verstehen sie schon: Mehr zuhören! Denn das Ohr von jedem einzelnen ist viel sensibler als die Augen und die Finger. Das Ohr reagiert sofort, blitzschnell. Wenn es höchst einsatzbereit ist, dann kommt auch das Schönste dabei heraus.

Sie haben aber auch das Publikum im Griff. Liegt das vielleicht an Ihrer Haltung?
Man merkt, man braucht nicht so viel Bewegung zu machen.

Hat das auch mit dem Alter zu tun?
Natürlich. Man wird mit den Jahren ruhiger in den Armen. Es wird ja auch von Mahler gesagt, dass er als junger Dirigent wie ein Wahnsinniger rumgetanzt und gehüpft ist. Als älterer Herr war er ganz ruhig, hat aber eiserne Aufmerksamkeit gefordert. Ich reagiere fast allergisch, wenn ich Kollegen sehe, die ständig herumfuchteln. Aber das ist vielleicht bei jedem so: Wenn man jünger ist, glaubt man, dass man alles selbst machen muss. Als ob der Dirigent ein Energiespender wäre, der Aufregung, Erregung, Excitement schafft. Das muss er auch, aber es geht beim Dirigieren um eine Erregung, die von innen kommt und nicht von außen. Die seelische Energie kann dadurch noch größer werden, wenn der äußere Apparat nicht so viel Aufmerksamkeit schluckt.

Dann fällt es den Musikern vielleicht leichter?
Sie wissen natürlich alle, dass sie bei mir nichts zu fürchten haben. Ich bin nicht der Chef, ich kann niemandem sagen, du bist nicht gut genug. Ich war, glaube ich, nie eine furchterregende Person. Aber mit einer Chefposition hat man auch eine gewisse Macht - und das schafft Abstand, Respekt. Wenn diese Macht nicht gegeben ist, spielt das keine Rolle und man kann sich ganz der Musik widmen. Aber das ist nicht nur so zwischen Orchestern und Dirigenten, das ist überall so.

Inwiefern ist Musik eine Reise?
Jedes Musikstück hat einen Anfang und ein Ende, fängt mit Null an und hört mit Null auf. Das Dazwischen ist reich an Geschehnissen, Erlebnissen und Gefühlen, Entdeckungen und Hoffnungen. Es ist etwas, das in der Zeit passiert. Und deshalb ist es auch symbolisch für das ganze Leben. In der Musik ist etwas, das geschieht, das sich entwickelt, das anfängt, zu einem Höhepunkt kommt und dann aufhört.

Und gleichzeitig kann dabei die Zeit stehen bleiben.
Ja, es kann ein Gefühl geben, dass die Zeit ewig ist. Musik ist die einzige Kunst, bei der man die Vergangenheit ins Heute holen kann. Ein Bauwerk oder ein Gemälde bleiben immer hängen in der Zeit, wo sie entstanden sind. Wenn wir diese Kunstwerke heute sehen, gibt es andere Eindrücke. In der Musik ist das anders: Wir holen sie wieder hervor, machen sie wieder lebendig, schaffen sie jedes Mal zwar ähnlich, aber neu, anders, einmalig. Das ist die einzige Art, die Vergangenheit wieder zu erleben - natürlich mit neuen Vorzeichen.

Wie packen Sie Ihre Koffer?
Sehr schnell, in zehn Minuten, auch wenn ich dann einen Monat weg bin. Das ist alles Routine. Ich weiß genau, was wo in meiner Jacke steckt, hier ist die Kreditkarte, da mein Pass. Man muss sich das so einfach wie möglich machen. Und wie gesagt: Ich bin überall zuhause, habe überall Freunde, ich bin ein glücklicher Mensch. Schade ist nur, dass ich das jetzt nicht mehr mit meiner Frau teilen kann.

Was haben Sie noch vor, mit Ihren 85 Jahren?
Ich habe noch viel vor. Allein in diesem Jahr spiele ich 77 Konzerte, das ist nur etwas weniger, als ich noch Chefpositionen hatte. Mit den Orchestern, die gewissermaßen meine Freunde sind, spiele ich jedes Jahr - Berliner Philharmoniker, Wiener Philharmoniker, Amsterdam Concertgebouw, Bayerischer Rundfunk, Bamberg, Gewandhaus, Staatskapelle Dresden, meine drei skandinavischen Orchester in Stockholm, Oslo und Kopenhagen, San Francisco und Tokyo. Wir haben Termine bis 2016. Das ist sehr optimistisch - auch wenn ich schon mal meine halbe Bibliothek abgegeben habe.
Apropos: Ich bekam eine herrliche E-Mail von Peter Pastreich, der mein Intendant in San Francisco war, ein sehr tüchtiger, geschickter, idealer Manager für meine Begriffe - und ich kenne viele. Jetzt ist er 74, längst pensioniert, lebt in Frankreich, ist eine Autorität im Musikbusiness und gibt gefragte Seminare. Vor ungefähr einem Monat schrieb er mir: "Lieber Herbert, es tut mir leid, dass ich deinen Geburtstag vergessen habe. Aber ich verspreche dir, dass ich deinen 90., 95. und 100. nicht vergessen werde - vorausgesetzt, ich bin dann noch am Leben."


Konzert und Tournee


Das letzte aktuelle, bereits ausverkaufte Konzert der Bamberger Symphoniker unter Herbert Blomstedt findet heute um 20 Uhr in der Konzerthalle statt. Auf dem Programm stehen die Symphonien Nr. 3 und Nr. 7 von Ludwig van Beethoven. Anschließend folgt, gemeinsam mit dem Pianisten Piotr Anderszewski, die Tournee in Japan, mit acht Konzerten in sieben Großstädten. Die nächsten Bamberg-Auftritte von Herbert Blomstedt stehen am 4. und 5. Mai auf dem Konzertkalender.