"Amis" lieben Demokratie, sind aber unregierbar

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Die innere Zerrissenheit der amerikanischen Nation wird selten so deutlich wie bei der Wahl des Präsidenten: Journalist und Buchautor Eric T. Hansen, in Berlin lebender Hawaiianer, erklärt, warum der "Ami" die Demokratie liebt - und eigentlich unregierbar ist.

Obama ist Hawaiianer, Sie sind Hawaiianer: Wie haben Sie es geschafft, so
anders auszusehen?

Eric Hansen (lacht): Ich sage immer: Der einzige Unterschied zwischen uns beiden ist: Er hat es zu was gebracht. Er ist auf eine bessere Schule gegangen und hatte offenbar mehr Ehrgeiz.

class="artKursiv">Sie betrachten Obama und Mitt Romney sehr intensiv. Was ist beiden Kandidaten gemein?
Das, was bei uns "flip-flopping" heißt und was Meinung-wechsle-Dich meint. Der Begriff ist ein Vorwurf, der seit 1851 ausnahmslos jedem Bewerber gegenüber geäußert wird. Das Vorgehen, das dahinter steht, ist notwendiges Übel. Obama würde es freilich positiver ausdrücken als "Evolution eines Standpunkts". Jeder Politiker muss irgendwann seine Meinung ändern. Um Interessengruppen zu bedienen, muss er Leuten nach dem Mund reden. Erst wenn man im Amt ist, merkt man: Es hat keinen Sinn, das durchzuziehen, was man vorher wollte. Romney tat das als Gouverneur, Obama als Präsident. />
Das ist kein amerikanisches Phänomen. Beste Beispiele aus Deutschland sind Gerhard Schröder und Angela Merkel: Schröder ist mit Amerika nach Afghanistan gegangen. Aber als er merkte, dass das deutsche Volk nicht mit in den Irak einmarschieren will, ist er umgeschwenkt im Hinblick auf seine Wiederwahl. Bei Merkel war es die Atomkraft. Das mag als Fahnen-nach-dem-Wind-hängen verpönt sein - eigentlich haben beide nur das getan, wofür sie gewählt wurden: den Willen des Volkes auszuführen. Und wenn der wechselt - so what? Wir Amis haben kein Problem damit. Nur ein rückgratloser Präsident ist ein guter Präsident.

In Deutschland ist das US-System vielen auch deswegen suspekt, weil es offenbar keine Differenzierung zwischen links und rechts gibt.
Amerika hatte nun mal keine Rosa Luxemburg. In Deutschland geht es bei dieser Unterscheidung in erster Linie um soziale Gerechtigkeit. Das ist in Amerika nicht der Fall. Die Linken, also quasi die Demokraten, sind eher die Partei der reichen, gebildeten Leuten, weniger die Partei der Arbeiterklasse. Die Republikaner sind die Vertreter des Volkes. Sie verstehen die ur-amerikansichen Werte von Eigenständigkeit, Familie und Kirche, wie sie die Menschen in ländlich geprägten Gebieten hochhalten, etwa im Mittleren Westen. Das hat sich nicht geändert, das ist wie vor 100 Jahren. Und die Demokraten? Die verstehen das nicht. Die gehen auf Unis und verbringen den Sommer in Europa. Sie wollen eine bessere Welt mit sozialer Gerechtigkeit, aber sie verstehen diese Grundwerte nicht. Amerikaner können dieses Rechts-Links-Spektrum nur fremdelnd annehmen. Wen man so will: Wir sind gern links - aber reich.

Ist der Amerikaner im Grunde noch immer dieser unbeherrschte Prototyp aus dem Wilden Westen? />Schon. Wir lieben die Demokratie, aber tief im Herzen haben wir Angst, dass uns zu viel Zivilisation ins Verderben führt. Wir sehnen uns immer noch nach der Wildnis von früher. Deswegen bedeutet bei uns ein "Zurück zur Natur" nicht, dass wir Waldwanderwege für alle anlegen wie die Deutschen, sondern: Ein Durchgeknallter baut seine Hütte in die Pampa - mit Windrad, Dieselgenerator und dem Hirschbraten in der Gefriertruhe. Da wird Naturliebe schnell verwechselt mit gelebtem Hass auf die Zivilisation. Und auf die Regierung natürlich auch. />
Sind Amerikaner unregierbar?
Jein. Da prallen zwei Gegensätze aufeinander. Einerseits die Realität, die sagt: Wir brauchen natürlich eine Regierung, sonst herrscht Anarchie. Zum anderen sehnen wir uns insgeheim nach totaler Freiheit. Richard Hughes hat das mal so formuliert: Im Kern haben die Amerikaner die Kräfte, die für gewöhnlich eine Nation formen - ihre Geschichte und Traditionen - einfach ignoriert. Es war eine Nation, die quasi direkt aus der Hand Gottes ins Leben berufen wurde.

Insofern geht es bei Politik in den Staaten um ein Oben und Unten. Entweder wird regiert von oben, das heißt, es wird alles geregelt vom Staat. Von unten bedeutet: Es entscheidet der Einzelne, was mit seinem Geld passiert, worauf er seine Waffe richtet und so weiter. Persönliche Rechte sind wichtiger als die Rechte des Staates. Amerikaner trauen dem Staat nicht, sie empfinden ihn als Hindernis auf dem Weg zur Selbstverwirklichung. Aus diesem Grund war Ronald Reagan so beliebt: Er schützte diese "innere Wildnis", nahm viele Regulierungen zurück. Und dadurch letztlich auch sich.

class="artKursiv">Wenn der Präsident nicht diese Überrolle spielt, warum macht man dann so ein Aufhebens um seine Wahl?
Ich übertreibe es natürlich, wir brauchen schon jemanden an der Spitze. Aber es wird deswegen so viel Aufhebens um diese Rolle des Präsidenten gemacht, weil wir seine Rolle einschränken wollen. Sehr viele Republikaner stimmen nicht für Romney, sondern nur gegen Obama. Sie wollen weniger Staat haben. Trotzdem liebt der Ami auch seine Demokratie, sein Recht zu wählen. Wir glauben an diese Staatsform fast so stark wie an Gott. Es ist wichtig, eine innere emotionale Bindung zum Staat zu haben, auch zur "Idee Amerika". />
Diese Idee ist oft schwer schwer vermittelbar im Rest der Welt.
Glaub' ich sofort. Der Amerikaner denkt ja, dass sich alles um ihn dreht. Weil er spinnt und auch noch stolz drauf ist. Spinnen ist bei uns patriotische Pflicht. Das zeigt sich schon an politischen Ritualen. Vergleichen wir mal die Amtseinführung von Merkel und Obama: Sie steht da, legt die Hand auf die Bibel, sagt zwei Worte - und zack geht es weiter. Für uns ist unsere Verfassung wie eine Art Bibel, auch wenn das Ding über 200 Jahre alt ist und in Teilen ziemlich verworren. Total crazy. Aber für Amerikaner ist es wie das Wort Gottes. Deswegen ist der Schwur des Staatsoberhauptes auf diese Verfassung vor zigtausend Leuten so eine bedeutsame Handlung. Das berührt mich immer zutiefst. Wir haben unsere Freiheit von England und vom Rest der Welt erworben. Wir haben das Recht zu tun, was wir wollen. Der Präsident garantiert dieses Recht. Er schwört, das zu tun.

Für Europäer sind Republikaner die Bösen, die Finanzhaie, die Kriegstreiber. Die Demokraten sind die Guten, die Gemäßigten. Das war schon mal anders. Worauf beruht der Rollentausch?
Das ist eine gute Frage, ich habe nur eine Theorie dazu. Es fing mit dem Vietnamkrieg an in den 1970ern. Dieser ganze Streit über Werte fing da an. Bürgerliche Kids wollten verständlicherweise nicht in den Krieg ziehen, sie haben sich aufgelehnt. Die Demokraten haben diese Antikriegsstimmung auf ihre Fahnen geschrieben. Man bedenke: Der Demokrat John F. Kennedy hat den Krieg angefangen, Nachfolger Lindon B. Johnson hat ihn noch erweitert. Es war kein republikanischer Krieg. Die Demokraten waren immer Kriegsherren. Für die 68er-Generation waren sie trotzdem die Guten, weil sie für Minderheiten waren, für politische Korrektheit.

Richard Nixon folgte als Republikaner nach und bot mit seiner Watergate-Affäre eine Riesenangriffsfläche, weil er bespitzeln ließ. Das geht gar nicht. Damit war das Bild der Republikaner beim Teufel - Vietnamkriegsende hin oder her. Dann kam Reagan und sagte: Wir sind die Bösen? Dann ziehen wir uns den Schuh an. Mögen die Demokraten die Gutmenschen sein - wir vertreten die ur-amerikansichen Werte. Das hat wiederum viele Menschen angesprochen. So kam die Unterscheidung in "gute" Demokraten und Republikaner, die als die "wahren Amerikaner" gelten. Das gibt es bis heute, alle fallen drauf rein, auch die US-Bürger. Bill Clinton ist Demokrat - und er hat jeden zweiten Tag seine Bomber irgendwo schwirren lassen. Obama hat in der Militärgeschichte den Krieg auf eine neue Ebene gehoben mit dem Drohnen- und Cyberkrieg.

In der dritten TV-Debatte zwischen Romney und Obama ging es um Außenpolitik - und dabei fiel das Stichwort Europa kein einziges Mal. Ist die "alte Welt" unwichtig?
Es gibt eine abwartende Haltung in den USA zu Europa. Amerika begreift Europa schon lange als Einheit. In der "New York Times" liest man nie die Arbeitslosenzahlen von Deutschland, sondern immer gleich die von Europa. Aber man weiß, es steckt in einer Krise. Die könnte dazu führen, dass wieder Weimarer Verhältnisse regieren - und die Amerikaner kommen und alles aufräumen müssen. Klingt überheblich, aber es schwingt mit. Andererseits kann Europa die größte politische Einheit der Welt formen. Die größte wirtschaftliche Macht sind sie ja schon. Wir wissen nicht, was die Europäer wollen. Die entscheiden sich gerade. Amerika wartet ab und konzentriert sich auf wichtigere Sachen. Der nahe Osten ist sowieso immer wichtig aus irgendeinem unerfindlichen Grund. Und wirtschaftlich brisant sind China und der ganze asiatische Markt.

Ziehen Sie für uns einen Vergleich von Romney/Obama zur Wahl, die die Deutschen haben werden in elf Monaten: Merkel/Steinbrück.
Allein das System ist schon anders, es ist in Deutschland parteienlastiger. Merkel hat ja eine eigene Fraktion im Bundestag. Obama hat im Kongress nicht mal die Mehrheit. Seine Wiederwahl ist völlig abgekoppelt vom Kongress. Angela Merkel kann so viel Macht haben, wie sie will: Wenn die FDP nicht mehr mag, zerbricht die Koalition. Das kann in den USA nicht passieren.

Aus der Sicht des "Amis": Hat Steinbrück eine Chance?
Ich glaube nicht. Merkel hat den Vorteil, dass sie sich in der Griechenland-Krise bisher gut geschlagen hat. Sie hat diese Macher-Attitüde gezeigt. Die Chance hat Obama jetzt, auch wenn es zynisch klingt, dank Hurrikan Sandy: Er kann sich als führende Kraft, als Macher darstellen. Als einer, auf den man sich verlassen kann. Die Leute sagen: Das ist der Commander in Chief, der Oberbefehlshaber.

Den Kanzler dürfen Sie nicht mitwählen, aber den Präsidenten. Schon abgestimmt?
Ja, vor zwei Wochen per Briefwahl.

Darf man fragen, für wen? />Natürlich für Obama.

Warum natürlich? />Er begeistert mich. Ich habe das Gefühl, mit ihm an der Spitze ist es eine echte Demokratie. Ich mag aber Romney auch. Ich glaube, wenn er gewählt würde, wäre auch er ein guter Präsident. Ich mag nur Obama mehr. Es kommt dazu: Wenn man nach vier Jahren Amtszeit gefeuert wird, kommt man in den Geschichtsbüchern später leicht als Verlierer rüber. Aus symbolischen Gründen wäre es schlecht, wenn ausgerechnet der erste schwarze Präsident - was ja an sich schon eine riesige Leistung ist - Amerikas in der Geschichtsschreibung mit dem Makel behaftet würde: "Der Schwarze hat's nicht gebracht." Das will ich nicht.

Und seine Bilanz?
Leider mittelmäßig. Oder zum Glück, es hätte schlimmer sein können. Er hat die Wirtschaftsprobleme nicht wirklich gelöst. Die Wirtschaft ist nicht wieder auf das Level gekommen wie vor der Krise. Aber er hat immerhin verhindert, dass es noch weiter nach unten geht. Im Krieg gegen den Terror hat er sich eher als George W. Busch 2.0 erwiesen. Ich finde Obamas Gesundheitsreform in Teilen richtig. Ich mag, was er für die Bildung gemacht hat. Er ist nicht der total linke Supermann. Das habe ich auch nie erwartet, anders als offenbar ganz viele Deutsche.

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