Reinhard Grindel sollte nach dem Skandal um die WM 2006 in Deutschland als DFB-Präsident den Verband aus der Krise führen und erneuern. In der Foto-Affäre um Mesut Özil hat den in den Sport gewechselten Politiker sein taktisches Geschick verlassen.

Als Krisenmanager war Quereinsteiger Reinhard Grindel im April 2016 zum Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes gekürt worden. Der 56-jährige CDU-Politiker löste Wolfgang Niersbach ab, der im Zuge des Skandals um die WM-Vergabe 2006 zurückgetreten war. Grindel sollte die Reputation des DFB wieder herstellen und für einen Neuanfang sorgen. Zwei Jahre später ist er nicht nur wegen seines fatalen Schlingerkurses in der Foto-Affäre um Mesut Özil und dessen massiven Vorwürfen stark unter Druck geraten.

Mesut Özil greift DFB und Präsident Grindel massiv an

Der zurückgetretene Nationalspieler griff Grindel massiv an. Er fühlte sich schlecht behandelt und warf dem DFB-Boss in seiner Erklärung vom Sonntag "Inkompetenz" und "Unfähigkeit" vor. Tatsächlich hat Grindel, der ehemalige Bundestagsabgeordnete, im Fall Özil Fehler gemacht und Widerspruch herausgefordert.

Erdogan-Affäre belastet DFB-Team während der WM in Russland

Kurz nach Veröffentlichung der gemeinsamen Fotos von Özil und Ilkay Gündogan mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, twitterte er, dass sich die Fußballprofis für ein Wahlkampfmanöver hätten "missbrauchen lassen". Vor und während der WM gelingt es ihm nicht, kraft seines Amtes die durch das Schweigen von Özil verschärfte Affäre zu beenden.

Vielmehr befeuerte Grindel nach dem Vorrunden-K.o. des DFB-Team die Debatte noch, indem er vom Spielmacher des FC Arsenal eine Erklärung für die Erdogan-Fotos und sein Schweigen forderte und Druck machte: Es sei für ihn "völlig klar, dass sich Mesut, wenn er aus dem Urlaub zurückkehrt, auch in seinem eigenen Interesse öffentlich äußern sollte", sagte Grindel in einem Interview des "Kicker". Nachdem Özil sein Schweigen mit seiner spektakulären Erklärung brach, verzichtete Grindel jedoch auf eine persönliche Replik zu den Attacken.

 

An Kritik am DFB-Krisenmanagement des Özil-Falls und Grindel mangelte es nicht. Liga-Präsident Reinhard Rauball warnte schon früh, dass man das "Thema in der Tat unterschätzt" habe und machte sich Sorge über einen möglichen "dauerhaften Schaden bei beiden Sportlern." Mit scharfen Tönen kritisierte auch Bayern Münchens Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge das PR-Desaster: Er sei irritiert, was man beim DFB als Krisenbewältigung verstehe, "weil mir da ein bisschen die Fußballkompetenz" fehle.

Politiker fordern Rücktritt von Grindel

Mehrere Parlamentarier, darunter die Bundestagsabgeordneten Renate Künast, Omid Nouripour (beide Grüne) und Frank Schwabe (SPD), forderten sogar den Rücktritt Grindels. Grünen-Politiker Jürgen Trittin bescheinigte der Führungsriege des Deutschen Fußballbundes im Fall Mesut Özil einen "eklatanten Mangel an Anstand und Kompetenz". Trittin sagte der Neuen Osnabrücker Zeitung: "DFB-Präsident Reinhard Grindel und Team-Manager Oliver Bierhoff haben dabei ihr Kreisklassenniveau bewiesen". Das Foto Özils mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan sei "ein schwerer Fehler" gewesen, das anschließende Krisenmanagement sei aber vor allem dem DFB anzulasten. Dass dieser nun Özil dafür "zum alleinigen Sündenbock macht, ist unterste Schublade", sagte der Ex-Minister. Damit seien Jahre der Anti-Rassismus-Kampagnen des DFB Makulatur und viele Integrationsleistungen dahin. Sportlich gesehen sei Özils Rücktritt als Nationalspieler "ein herber Verlust", betonte der Grüne.

Der CDU-Sportexperte Eberhard Gienger hat den DFB zu einem schnellen Treffen mit Fußballstar Mesut Özil aufgefordert. "Jetzt wäre es gut, wenn sich alle Beteiligten schnell treffen würden: Mesut Özil, Joachim Löw, Oliver Bierhoff, Reinhard Grindel", sagte Gienger der Düsseldorfer "Rheinischen Post" (Mittwoch). "Es sollte eine Klärung und dann hoffentlich eine Versöhnung geben, was an Schlussfolgerung gezogen und künftig verbessert werden muss." Özil habe offensichtlich keine guten Berater. "Er muss als Fußballstar nicht alles alleine machen, aber er muss sich auf seine Berater verlassen können." Özil sage, er sei unpolitisch und wolle Fußball spielen. "Dann war es weder eine kluge Entscheidung, sich mit dem türkischen Präsidenten vor der Wahl in der Türkei fotografieren zu lassen, noch dem DFB in einer politisch verfassten Rücktrittserklärung Rassismus vorzuwerfen." Vielleicht entstehe aus einem gemeinsamen Gespräch etwas Positives. Gienger: "Özil steht für eine gute Integrationspolitik in Deutschland. Es wäre wichtig, dass die Akteure dies gemeinsam hochhalten."

 

 

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Mehrheit der Deutschen für Rücktritt von DFB-Chef Grindel

Auch die Mehrheit der Deutschen ist laut einer repräsentativen Umfrage des des Nachrichtenportals "t-online.de" für einen Rücktritt von DFB-Präsident Reinhard Grindel. Auf die Frage, ob der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes nach der Affäre um den ehemaligen Nationalspieler Mesut Özil zurücktreten soll, antworteten 49,7 Prozent der 5569 Befragten mit "Ja, auf jeden Fall" oder "Eher ja". Nur 36,6 Prozent sind dagegen und beantworteten die Frage mit "Eher nein" oder "Nein, auf keinen Fall". Nur 13,7 Prozent der Befragten gaben an, in dieser Frage unentschieden zu sein.

Im Auftrage des Nachrichtenportals hatte das Institut "Civey" die Umfrage durchgeführt. Weiteres Ergebnis der Befragung ist, dass 48,9 Prozent der Deutschen der Meinung ist, dass Özil vom DFB zu Unrecht zum Sündenbock für das deutsche WM-Aus gemacht wurde. 42,6 Prozent denken, dass dies nicht der Fall ist. Auffällig dabei ist, dass dies vor allen die Deutschen mit der Wahlabsicht SPD (71,4 Prozent), Grüne (75,1) und Linke (70,3) so sehen. Dagegen sind 73,8 Prozent der Deutschen mit Wahlabsicht AfD der Meinung, dass Özil zu Recht zum Sündenbock gemacht wurde. Auch eine Mehrheit der FDP-Anhänger (51,9 Prozent) bewertet das so.

BFV-Präsident Schultz stützt Grindel

Unterstützung bekam Grindel vom langjährigen Präsident des Berliner Fußball-Verbandes (BFV), Bernd Schultz. "Reinhard Grindel hat nach wie vor mein volles Vertrauen", sagte Schultz der Deutschen Presse-Agentur am Dienstag. Er habe vom Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes "keine rassistischen Äußerungen feststellen können", erklärte der 60-Jährige. Schultz hält Grindel für den richtigen Mann an der DFB-Spitze. "Er engagiert sich sehr für die Belange der Landesverbände", meinte Schultz.

Grindel, der Jurist und ehemalige Hobby-Fußballer aus Hamburg, als Erneuerer angetreten, hat auch eine andere Herausforderung noch nicht bestanden: Die Sommermärchen-Affäre um den Zweck der dubiosen Zahlung von 6,7 Millionen Euro im Zusammenhang mit der WM 2006 ist weiter nicht restlos aufgeklärt. Außerdem muss Grindel nach dem Scheitern bei der WM mit dafür sorgen, dass es einen erfolgreichen Neubeginn mit Bundestrainer Joachim Löw gibt - dessen Vertrag er vor der WM in Russland bis zur WM-Endrunde 2022 in Katar verlängerte.

Zentralratsvorsitzender der Muslime fordert Versöhnung zwischen DFB und Özil

Unterdessen forderte der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime, Aiman Mazyek, den DFB und Mesut Özil zur Versöhnung aufgerufen. Özil habe in seiner Rücktrittserklärung gesagt, er werde so lange nicht für Deutschland spielen, wie er Rassismus und Respektlosigkeit verspüre, sagte Mazyek der Düsseldorfer "Rheinischen Post" (Dienstag). "Insofern gibt es die Chance auf Versöhnung. Wenn der DFB Mühen nicht scheut, diesen Totalschaden zu reparieren, und sich anschickt, die vielen aufgerissenen Wunden heilen zu wollen, würde ich an Özils Stelle niemals nie sagen."

Özil ist für viele Deutsch-Türken ein Vorbild

Bisher würden die Rassismus-Vorwürfe von Özil noch unterschätzt. Özil sei einer der bekanntesten Deutschen im internationalen Sportgeschäft und für viele Deutsch-Türken ein Vorbild. "Dieser Eklat wirft uns um Jahre zurück." Dass DFB-Chef Reinhard Grindel die Debatte um Özil erst habe laufen lassen und dann nachgetreten habe, "würde auf dem Platz mit Rot bestraft werden". Ein solches Verhalten sei eines Präsidenten nicht würdig. "Es war ein reines Ablenkungsmanöver von der schlechten Leistung der Mannschaft, des Präsidenten und seines Teams."

Von dem Präsidenten des größten Fußballverbandes der Welt, in dem sehr viele Nachwuchs-Kicker mit Migrationsgeschichte am Start seien und die bisher in der Mannschaft das große Vorbild gesehen hätten, werde etwas anders erwartet. "Er sollte deshalb seinen Hut nehmen", sagte Mazyek.