Das "One Love"-Debakel: Diese WM ist nur noch lächerlich

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Ein Kommentar von Alexander Kroh
Noch im letzten Test Deutschlands gegen den Oman lief Torhüter und Kapitän Manuel Neuer mit der "One Love"-Binde auf. In Katar wird diese Binde leider nicht zu sehen sein.
Oman - Deutschland
Christian Charisius (dpa)

Die Fifa schiebt der von zahlreichen europäischen Verbänden unterstützen "One Love"-Kapitänsbinde den Riegel vor. Doch anstatt Haltung zu zeigen, knicken die Verbände - auch der DFB - ein und beugen sich dem Machtwort des Weltverbands. Ein trauriges Signal und eine verpasste Chance. Dabei haben bei dem Turnier schon Spieler gezeigt, wie es anders geht.

Erst wenige Tage rollt der Ball in Katar, doch schon jetzt kann man diese WM getrost als die peinlichste Veranstaltung im Weltfußball aller Zeiten einstufen. 

Los ging es mit dem Bier-Verbot zwei Tage vor dem Turnier-Beginn. Tags darauf sorgte Fifa-Präsident Gianni Infantino weltweit für Fassungslosigkeit, als sich der 52-Jährige bei einer Pressekonferenz wahlweise als Katarer, Araber, Afrikaner, homosexuell, behindert oder als Arbeitsmigrant fühlte und der westlichen Welt bei der - absolut berechtigten - Kritik an Katar "Doppelmoral" vorwarf. Schon nach dieser denkwürdigen Veranstaltung hätte man erahnen können, wie Infantio und die Fifa wohl zur Idee der "One Love"-Kapitänsbinden stehen. Dann kam das Eröffnungsspiel am Sonntag mit zehntausenden nach der Halbzeit flüchtenden Zuschauern, die selbst den erfahrenen Béla Réthy sprachlos machten: "So etwas habe ich noch nie gesehen - und das ist meine zehnte Weltmeisterschaft", sagte Réthy, der die Partie Katar gegen Ecuador für das ZDF kommentierte. 

"One Love"-Binde nicht erlaubt - eine Machtdemonstration der Fifa

Am Montag dann der Paukenschlag und vorerst unrühmliche Höhepunkt der WM-Farce: Die Fifa verbot den Mannschaftskapitänen von Deutschland, England, den Niederlanden, Belgien, der Schweiz, Wales und Dänemark das Tragen der "One Love"-Binde. Offizielle Begründung war der Artikel 13.8.1 der Ausrüstungsregeln der Fifa. Dieser besagt, dass "für FIFA Final-Wettbewerbe der Kapitän jeder Mannschaft eine von der FIFA gestellte Armbinde tragen muss". Das sei die One Love-Binde eben nicht. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass diese Information seitens der Fifa am Montag, nur wenige Stunden vor Anpfiff der Partie der englischen Nationalmannschaft (deren Kapitän Harry Kane es unmittelbar betraf), kommuniziert hat. Dabei wurde die "One Love"-Kampagne seitens der Nationalverbände bereits im September dieses Jahres angekündigt. Die Fifa hatte also mehr als genug Zeit, zu reagieren. Doch es kam gar nichts, keine Reaktion - bis zum Montag eben. Für die meisten Beobachter klares Kalkül seitens der Fifa und ein denkwürdiges Zeichen dafür, wie mächtig sich der Weltverband fühlt und wie egal ihm ein paar rebellische Mitgliedsverbände sind. 

Und was machen die betroffenen Verbände? Sie knicken ein und beugen sich dem Machtwort der Fifa. Zwar nicht, ohne ein paar bedeutungsschwangere Widerworte zu geben - "ein beispielloser Vorgang der WM-Geschichte" (DFB-Präsident Bernd Neuendorf), "fühlt sich stark nach Zensur an" (Geschäftsführer Oliver Bierhoff) - doch im Ergebnis ist es ein Sieg für Infantino und die Fifa, die mögliche Kritik an Gastgeber Katar bereits im Keim ersticken. Die Fifa habe mit Sanktionen - auch sportlichen - gedroht, hieß es von den DFB-Verantwortlichen. Eine Gelbe Karte für den Träger der verbotenen "One Love"-Binde stand im Raum, auch von Punktabzug war die Rede. Bestätigt wurde das offiziell nicht. Die Angst vor den Konsequenzen war dem DFB dann wohl aber doch zu groß, genauso wie den anderen genannten Verbänden, die nun offenbar allesamt auf das Tragen der Binde verzichten. Auch die Mannschaft und die Mannschaftskapitäne wolle man einem solchen Risiko nicht aussetzen und die "Debatte nicht auf dem Rücken der Spieler austragen", sagte DFB-Präsident Neuendorf. 

Doch wer, wenn nicht die Nationalmannschaften und deren Spieler, wären in der Lage, bei einer WM öffentlichkeitswirksam ein Zeichen der Weltoffenheit, Gleichberechtigung, Meinungsfreiheit und Toleranz zu setzen? Der Rückzieher der europäischen Verbände ist falsch, nach dem Verbot der Fifa hätte man eher nach dem Motto: "Jetzt erst recht" agieren und geschlossen mit der One Love-Binde auflaufen sollen. Was hätten die Teams, was hätte der DFB dabei zu verlieren? Gelbe Karten für den Mannschaftskapitän? Dann trägt einfach jedes Spiel ein anderer Nationalspieler die Binde. Punktabzug oder Spielabbrüche wegen einer Kapitänsbinde? Das würde die WM auch sportlich endgültig zu einer absoluten Farce machen, da die Fifa damit bewusst ins Spielgeschehen eingreift. Ob das der Weltverband wirklich riskiert hätte? Der Aufschrei - auch neutraler Fans - wäre riesig. Das Turnier hätte sportlich immens an Aussagekraft verloren und würde als Zäsur in die Geschichte eingehen, vielleicht sogar für eine dringend angebrachte Reform der Fifa sorgen. 

Kapitäne verzichten auf "One Love"-Binde: Warum eine andere Entscheidung so bedeutend gewesen wäre

Doch all das bleiben im Endeffekt Mutmaßungen, weil der DFB und auch die Verbände der anderen Teams, die sich an der One Love-Kampagne beteiligt hätten, nicht den Mut hatten, der Fifa die Stirn zu bieten. Was dagegen bleibt, ist eine verpasste Chance und mehrheitlich enttäuschte Fans, die wieder einmal erkennen müssen, dass es im Fußball schon lange nicht mehr um deren Belange geht, sondern um Macht, Einfluss und immer mehr Geld. Dass die Fifa am Dienstag nun wohl auch das Auswärtstrikot der belgischen Nationalmannschaft wegen des Wortes "Love" auf dem Kragen verbieten möchte, passt da leider genau ins Bild.

Umso bemerkenswerter ist im Lichte all dieser Vorgänge das eindeutige Statement der iranischen Fußballauswahl, die am Montag während der eigenen Nationalhymne, angesichts der blutigen Proteste im eigenen Land, demonstrativ schwieg. Der iranische Staatssender unterbrach deshalb sogar seine Live-Übertragung bei der Hymne. Den Spielern könnten nun harte Konsequenzen drohen. Im Iran war spekuliert worden, dass sie möglicherweise gesperrt werden, sollten sie bei der Hymne schweigen. Aus europäischer und auch deutscher Perspektive würde man sich wünschen, dass mehr Spieler solch eine Courage zeigten...

mit Material der dpa