Das LG München I muss nun klären, ob die Sperrung der Hotelpools, das Fehlen eines Animationsprogramms oder auch der gesperrte Zugang zu den Stränden von Gran Canaria und der Besichtigung der Insel eine Nichterbringung oder eine mangelhafte Erbringung der vertraglichen Leistungen durch den Reiseveranstalter darstellen. Das entscheidet über die Höhe der Preisminderung.
Bei unzumutbarer Gesundheitsgefährdung: gebührenfreier Rücktritt
Bereits im letzten Jahr hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit Stornokosten in Corona-Zeiten beschäftigt, die ja sehr hoch sein können, je näher der Reisetermin heranrückt (Urteil: BGH vom 30.8.2022, Az.: X ZR 66/21). Grundsätzlich können Pauschalurlauber*innen vor Reisebeginn vom Vertrag zurücktreten. Dem Reiseveranstalter steht dann aber eine angemessene Entschädigung zu (die Stornokosten).
Und das war der Fall: Eine über 80-jährige Frau buchte 2020 eine Flusskreuzfahrt auf der Donau für 1.600 Euro. Zwei Wochen vor Abfahrt trat sie wegen der Pandemie von der Reise zurück. Der Veranstalter hielt an der Kreuzfahrt mit einer verringerten Teilnehmerzahl fest und behielt von der Klägerin 1.000 Euro Stornokosten ein. Die Frau wollte diese nicht bezahlen und klagte gegen den Veranstalter. Sie bekam vor dem BGH ihr Recht. Zum Zeitpunkt der Buchung sei ihr Alter noch völlig egal gewesen, in der Pandemie aber plötzlich zum Risikofaktor geworden. Das Ansteckungsrisiko wegen der beengten Verhältnisse an Bord sei deutlich größer gewesen als zu Hause. Damals habe es noch keine Impfungen und Therapien gegeben.
Der BGH hat eine unzumutbare Gesundheitsgefährdung der Klägerin bejaht, insbesondere wegen der räumlichen Verhältnisse an Bord eines Flusskreuzfahrtschiffs, der nicht bestehenden Impfgelegenheit und der nicht vorhandenen Therapien gegen Covid-19. Die Flusskreuzfahrt hätte zu einer unzumutbaren Gesundheitsgefährdung für die ältere Frau geführt, weshalb ein kostenfreier Reiserücktritt möglich war.
Hotel-Schließung berechtigt nicht automatisch zum Rücktritt
Zwei weitere Reisefälle beschäftigten den BGH, die aber nicht so eindeutige ausgingen. Es ging um die Stornierung einer Mallorca-Reise wegen der coronabedingten Schließung eines gebuchten Hotels (Urteil: BGH vom 30.8.2022, Az.: X ZR 84/21). In diesem Fall sind Stornogebühren durchaus möglich, wenn im Reisezeitraum auf Mallorca eine andere Unterkunft zumutbar gewesen wäre. Die Pandemie stellte in dem Einzelfall laut den Richtern nicht automatisch eine "erhebliche Beeinträchtigung" dar. Deshalb verwies der BGH den Streit zur weiteren Prüfung an das Landgericht Düsseldorf zurück.
Präventiver Reiserücktritt vor EuGH geprüft: In einem weiteren Fall, einer Ostsee-Kreuzfahrt, kommt es laut BGH maßgeblich auf den Umstand an, dass der Kunde oder die Kundin den Rücktritt schon erklärt und der Veranstalter erst danach die Reise abgesagt hat.
Ob in einer solchen Situation der Veranstalter die Stornogebühren zurückgeben muss, hänge von EU-Recht ab. Der BGH hatte schon im August 2022 einen vergleichbaren Fall dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt. Den neuen Streit um die Ostsee-Kreuzfahrt setzte er aus, bis zu einer Antwort der Luxemburger Richter vorliegt (Urteil: BGH vom 30.8.2022, Az: X ZR 3/22).
Fazit
Das Reiserecht bei Pauschalreisen ist durchaus komplex. Zwar gilt die EU-Richtlinie und hilft in vielen Fällen unangemessene Forderungen der Veranstalter in die Schranken zu weisen. Aber auf die Corona-Pandemie war das Recht nicht vorbereitet. In drastischen Fällen können Pauschalreisende, mit dem Verweis auf das EuGH-Urteil versuchen, eine Minderung der Reisekosten bei ihrem Veranstalter durchzusetzen. Eine Garantie für den Erfolg gibt es nicht.