Massenüberwachung auf WhatsApp und Co.? EU-Vorschlag bedroht vertrauliche Chats

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Die EU diskutiert einen Vorschlag zur sogenannten Chatkontrolle. Nachrichten in Messaging-Apps wie WhatsApp würden dann unverschlüsselt gescannt werden. Kritiker warnen vor Massenüberwachung.

"Die EU will unsere Chatnachrichten lesen!" Diese Nachricht macht aktuell die Runde. Dabei geht es um einen Gesetzesvorschlag, der in Brüssel diskutiert wird - schon wieder, denn die Diskussionen laufen schon seit drei Jahren. Die EU-Kommission berät über die sogenannte Chatkontrolle, automatisierte Scans auf den Handys der Bürger, die verschickte Bilder und Videos auf kinderpornografische Inhalte prüfen sollen. Der Vorschlag stößt auf massive Kritik, da viele Bürger, Politiker und Datenschützer eine "Massenüberwachung" fürchten.

Wie funktioniert Chatkontrolle konkret? Grundlage für die Verhandlungen ist ein Vorschlag der EU-Kommission aus dem Jahr 2022 ("Vorschlag über Vorschriften zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern"). Die sogenannte Chatkontrolle würde dem Vorschlag nach technisch durch sogenanntes Client-Side Scanning funktionieren.

Chatkontrolle im Überblick: Dieser Vorschlag wird in der EU diskutiert

  • Nur Bilder, Videos und URLs werden geprüft - reine Textnachrichten sind ausgenommen.
  • Inhalte werden mit Datenbanken bekannter Missbrauchsmaterialien abgeglichen.
  • Für neue, bisher unbekannte, missbräuchliche Darstellungen sollen Algorithmen und Künstliche Intelligenz Muster erkennen.
  • Wenn ein Verdacht entdeckt wird, erfolgt eine automatische Meldung an die zuständigen Behörden.
  • Anbieter von Messaging-Apps sind verpflichtet, eine Kontrolle dieser Art in ihre Dienste einzubauen.
  • Nutzer müssen der Überprüfung individuell zustimmen - tun sie das nicht, könnten Funktionen in den Apps eingeschränkt werden.

Eine freiwillige Kontrolle dieser Art durch die Dienste gibt es bereits. Apple und Google haben zum Beispiel "Nacktfoto-Scanner" nach ähnlichem Prinzip in ihre Betriebssysteme eingebaut. iOS- und Android-Nutzer können die Sicherheitsfunktion aktivieren, um vor "sensiblen Inhalten" gewarnt zu werden.

Massenüberwachung oder Mittel gegen Kinderpornografie? Pro und Contra der Chatkontrolle

Fürsprecher der Kontrollmöglichkeiten betonen, dass es beim Kampf gegen Kinderpornografie um besonders schwerwiegende Kriminalität gehe. Laut EU-Kommission ist "keine allgemeine Überwachung" der Online-Kommunikation vorgesehen, wie ein Sprecher der Kommission mitteilte. Die Bedingungen würden demnach von den Datenschutzbehörden genau überwacht werden.

Die freiwilligen Kontrollen seien für den Schutz der Kinder von großer Bedeutung. "Dank dieses Ansatzes konnten in den letzten Jahren viele große Erfolge bei Ermittlungen erzielt werden", so der Behördensprecher. 

Kritiker weisen immer wieder auf die Gefahren durch Massenüberwachung hin. Besonders Datenschützer sehen in dem Ansatz einen massiven Eingriff in die Privatsphäre. Dieser Kritik schließt sich auch der Messenger WhatsApp an, der in Deutschland von etwa drei Vierteln der Bevölkerung genutzt wird.

WhatsApp, Signal und Threema sprechen sich gegen EU-Chatkontrolle aus

Trotz gegenteiliger Behauptungen gefährde der Vorschlag die Privatsphäre, Freiheit und digitale Sicherheit aller, sagte eine Sprecherin des Facebook-Konzerns Meta, zu dem auch WhatsApp gehört, dem Portal Netzpolitik.org. Dadurch würde die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung untergraben und zu einer möglichen Sicherheitslücke werden.

Signal hatte sogar angekündigt, sich aus Europa zurückzuziehen, sollte die EU-Verordnung kommen."Wenn wir vor die Wahl gestellt würden, entweder die Integrität unserer Verschlüsselung und unsere Datenschutzgarantien zu untergraben oder Europa zu verlassen, würden wir leider die Entscheidung treffen, den Markt zu verlassen", sagte Signal-Chefin Meredith Whittaker der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Die Datenschutzexpertin ist Präsidentin der gemeinnützigen Signal-Stiftung in den USA, die Signal entwickelt. 

Der Messengerdienst Threema aus der Schweiz sprach sich bereits in vergangenen Blog-Posts gegen "Massenüberwachung" aus und sieht darin kein geeignetes Mittel zur Bekämpfung von Kriminalität. In einer aktuellen Stellungnahme gegenüber Netzpolitik.org hieß es, Threema werde alle Optionen gründlich prüfen, sollte es tatsächlich zur Chatkontrolle kommen. Das Schweizer Unternehmen geht allerdings davon aus, dass das Vorhaben in seiner derzeitigen Form nicht mit EU-Recht vereinbar ist und vor Gericht scheitern würde.

"Absichtliche Sicherheitslücke": Wie sinnvoll ist die Chatkontrolle?

Die Hackervereinigung Chaos Computer Club nennen den EU-Vorschlag eine "unveränderte Katastrophe für jegliche vertrauliche Kommunikation". In einem Blog-Post weisen die Aktivisten auch auf die technischen Gefahren hin, die das Client Side Scanning birgt. "In Signal, WhatsApp oder Threema müssten beispielsweise absichtliche Sicherheitslücken platziert werden, um die Verschlüsselung auszuhebeln."

Das Scannen selbst sei zudem "technisch ebenso komplex wie fehleranfällig". Dabei beruft sich der Verein auf einen offenen Brief von zahlreichen Sicherheitsforschern aus der EU. Darin heißt es zum einen, dass Experten bereits bewiesen haben, dass sich solche Scanner leicht austricksen lassen, in dem die Bilder zum Beispiel leicht verändert werden. Zum anderen betonen die Fachleute: "Bestehende Forschungsergebnisse bestätigen, dass modernste Detektoren inakzeptabel hohe Falsch-Positiv- und Falsch-Negativ-Raten aufweisen würden, wodurch sie für groß angelegte Detektionskampagnen im Umfang von Hunderten Millionen Nutzern, wie sie der Vorschlag vorsieht, ungeeignet wären."

Elina Eickstädt, eine Sprecherin des Chaos Computer Clubs, warnt: "Sollte ein solches Gesetz zur Chatkontrolle auf den Weg gebracht werden, bezahlen wir nicht nur mit dem Verlust unserer Privatsphäre. Wir öffnen auch Tür und Tor für Angriffe auf sichere Kommunikationsinfrastruktur."

So steht Deutschland zur Chatkontrolle auf WhatsApp und Co.

Deutschlands Position zu dem Thema war in den letzten Wochen unklar. Es wurde spekuliert, ob die Bundesregierung ihre jahrelange harte Ablehnung der Einführung der Chatkontrolle aufgeweicht hätte. Der Chaos Computer Club hatte kritisiert, die Bundesregierung schweige sich darüber aus, ob sie sich gegen den "gefährlichen Plan" stellen wird.

Das Bundesjustizministerium erteilte dem Vorhaben der EU nun vor den Beratungen eine klare Absage. "Anlasslose Chatkontrolle muss in einem Rechtsstaat tabu sein", sagte Justizministerin Stefanie Hubig (SPD). 

Private Kommunikation dürfe nie unter Generalverdacht stehen und der Staat dürfe Messenger auch nicht dazu zwingen, Nachrichten vor Versendung massenhaft auf verdächtige Inhalte zu scannen. "Solchen Vorschlägen wird Deutschland auf EU-Ebene nicht zustimmen", fügte Hubig hinzu. Zuvor hatte sich bereits die Union im Bundestag gegen das Vorhaben gestellt.

EU-Vorschlag zur Chatkontrolle: Wie geht es weiter?

Bei den Beratungen der Botschafter am Mittwochabend (8. Oktober 2025) fand der Vorschlag der dänischen EU-Ratspräsidentschaft keine ausreichende Zustimmung. Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus Diplomatenkreisen. Das Vorhaben wird demnach auch nicht wie vorgesehen beim nächsten EU-Innenministertreffen zur Abstimmung gestellt. Als Grund für das Scheitern gilt auch die deutsche Position.

Das Thema ist damit aber nicht zwingend vom Tisch. Dänemark oder die nächsten EU-Ratspräsidentschaften könnten einen überarbeiteten Vorschlag erneut zur Diskussion stellen. lm/mit dpa

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