"Kaufhausbummel gehören nicht mehr zum Alltag": Online-Händler planen 3D-Shopping - was heißt das für Geschäfte?

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Der ausgiebige Kaufhausbummel gehört für viele Kunden nicht mehr dazu.
Symbolbild: Online-Shopping
justynafaliszek/pixabay.com
Bianka Kokott ist Expertin für E-Commerce beim Verband Bitcom
Bianca Kokott ist Expertin für E-Commerce beim Verband Bitcom
Bitcom
Der ausgiebige Kaufhausbummel gehört für viele Kunden nicht mehr dazu.
Der ausgiebige Kaufhausbummel gehört für viele Kunden nicht mehr dazu.
CC0 / Pixabay / Tumisu

Hauptgründe für das Online-Shopping sind die Unabhängigkeit von Öffnungszeiten und die Lieferung an den gewünschten Ort. Was sich sonst noch tut im E-Commerce, erläutert Handelsexpertin Bianka Kokott in unserem Exklusiv-Interview.

  • Der E-Commerce bereitet dem stationären Handel zunehmend Kopfzerbrechen
  • Was sind die drei wichtigen Trends beim E-Commerce? 
  • Ist der stationäre Handel in den Städten am Ende
  • Wird Online-Shopping mal ein Einkaufserlebnis?
  • Werden sich Online-Handel und Big-Data miteinander verweben?

Ein Blick in die Glaskugel des Online-Handels wagt Bianka Kokott, vom Digitalverband Bitkom, in unserem Exklusiv-Interview. Sie ist überzeugt, dass die Zeit reif ist für Augmented Reality (AR), um so Kleidung virtuell anzuprobieren oder Möbel im Raum zu platzieren. Dazu kommen drei Dimensionale-Ansichten und datenbasierte Produkt- und Größenempfehlungen, sowie Video-Beratungen oder Live-Shopping-Erlebnisse. Immer wichtiger wird ihrer Meinung nach die Einbindung von Social-Media-Plattformen oder der Einsatz von Chatbots für ein interaktiveres, sozialeres und schnelles Shoppingerlebnis im Netz. Was sich im Online-Shopping noch so tut und wie es mit dem stationären Handel weitergeht, verrät sie im Interview.

inFranken: "Der E-Commerce bereitet dem stationären Handel zunehmend Kopfzerbrechen. Warum ist das so?"

Bianka Kokott: "Wir erleben, dass für viele Menschen der ausgiebige Kaufhausbummel längst nicht mehr zum Alltag gehört. Durch die Bequemlichkeit, die fast unbegrenzte Auswahl und räumliche Flexibilität hat sich Online-Shopping als beliebte Alternative für den einen oder anderen Gang ins Geschäft etabliert. Das zeigt dem stationären Handel auf, dass er sich wandeln und auf den Wunsch der Kundinnen und Kunden reagieren muss, Angebote auf unterschiedlichen Kanälen zu präsentieren und auch mobil verfügbar zu machen." 

"Warum ist der Online-Handel so erfolgreich?"

"Statt sich nach der Arbeit noch dem Stress der vollen Einkaufsläden zu Feierabendzeiten auszusetzen, ist im Netz ein riesiges Angebot rund um die Uhr nur wenige Klicks entfernt. Online einzukaufen ist deshalb nicht nur Freizeitvergnügen, sondern erleichtert den Alltag – das trifft den Nerv vieler Kundinnen und Kunden. Online-Händlern wiederum bietet sich durch das Internet ein Verkaufskanal, der eine besonders große Zielgruppe erreicht, relativ leicht zu skalieren und gleichzeitig individuell auf Kundenwünsche zuzuschneiden ist, was wiederum die Zufriedenheit erhöht. Für Händlerinnen und Händler spielt zudem besonders in Krisenzeiten die Kosteneffizienz eine große Rolle, da Ladenmieten entfallen und so oft Betriebskosten sinken." 

"Welche drei wichtigen Trends erwarten Sie?"

"Technologien, die auf Künstlicher Intelligenz beruhen, wie Maschine Learning, Data Analytics und Chatbots, werden in den kommenden Jahren im E-Commerce an Relevanz gewinnen. Sie können Verkäuferinnen und Verkäufern dabei helfen, personalisierte Angebote zu erstellen, Bestellungen effizient zu verwalten und den Kundensupport zu automatisieren. Dazu kommt das Thema Social Commerce: Social-Media-Plattformen bieten immer mehr Funktionen, um Produkte direkt auf diesen Plattformen zu verkaufen. Nachhaltigkeit ist ebenfalls ein wichtiger Trend. Im Sinne des Klimaschutzes müssen Händler zunehmend darauf achten, dass ihre Produkte, Verpackungen und Lieferprozesse möglichst umweltfreundlich sind. Hier werden auch digitale Technologien, die bei der Auswahl im Netz helfen, eine wichtige Rolle spielen, um beispielsweise Retouren zu reduzieren."

"Was schätzen die Kundinnen und Kunden am Einkauf im Netz?"

"Online-Shopping ist für die Kundinnen und Kunden vor allem ein Komfortgewinn. In unserer letzten E-Commerce-Studie nannten jeweils knapp drei Viertel (72 Prozent) der Online-Shopper die Unabhängigkeit von Öffnungszeiten und die Lieferung an den gewünschten Ort als wichtigste Vorteile des Einkaufs im Netz. Zwei Drittel (67 Prozent) schätzen zudem besonders die große Auswahl an Produkten beim Online-Shopping, gefolgt von der Zeitersparnis (65 Prozent) und der Möglichkeit, von überall aus einkaufen zu können (60 Prozent). Zudem gab die Hälfte der Befragten (53 Prozent) günstigere Produkte im Netz als einen der größten Vorzüge an."

"Gibt es noch Warengruppen, die dem Online-Handel verschlossen sind?"

"Mittlerweile gibt es kaum noch Waren, die sich nicht auch im Internet bestellen lassen. Besonders häufig im Netz bestellt werden aber Kleidung, Schuhe, Bücher und Elektronik-Zubehör. Gleichzeitig gibt es natürlich auch Produkte, die trotz Online-Angeboten bevorzugt im Geschäft gekauft werden, da hier besonderer Wert auf ein persönliches Einkaufserlebnis und die Möglichkeit, das Produkt vor dem Kauf in Augenschein zu nehmen, gelegt wird. Dazu zählen unter anderem Blumen und Pflanzen sowie Sportartikel."

"Gehen Sie davon aus, dass der stationäre Handel in den Städten am Ende ist?"

"Der innerstädtische Handel ist nicht am Ende, er muss sich aber verändern, um weiter den Bedürfnissen der Kundinnen und Kunden gerecht zu werden. Eine Bitkom-Umfrage hat ergeben, dass nur jeder zweite Online-Shopper grundsätzlich lieber im Internet als im Geschäft einkauft. Der stationäre Einzelhandel könnte sich in Zukunft also stärker auf Beratung, Service und Erlebnis ausrichten, während der Verkauf von Standardprodukten vermehrt über den Online-Handel abgewickelt wird. Auch Services wie die Lieferung des Einkaufs im Laden nach Hause, kostenloses WLAN oder bargeldloses Bezahlen können dabei helfen, den stationären Handel zukunftsfähig zu machen."

"Was sind die nächsten Schritte, um die Online-Bestellung zu einem Einkaufserlebnis zu machen?"

"Auch der Online-Handel entwickelt sich durch neue digitale Technologien stetig fort. Immer mehr Online-Shops bieten Funktionen an, die das Einkaufserlebnis noch stärker ins eigene Wohnzimmer holen. Dazu zählt zum Beispiel der Einsatz von Augmented Reality, um Kleidung virtuell anzuprobieren oder Möbel im Raum platzieren zu können. Dazu kommen 3D-Ansichten und datenbasierte Produkt- und Größenempfehlungen, sowie Video-Beratungen oder Live-Shopping-Erlebnisse. Immer wichtiger wird auch die Einbindung von Social-Media-Plattformen oder der Einsatz von Chatbots für ein interaktiveres, sozialeres und schnelles Shoppingerlebnis im Netz." 

"Es gibt sie immer noch, die Grabenkämpfe zwischen Online-Handel und Ladengeschäften. Ko-Existenz, ist die undenkbar?"

"Im Gegenteil, durch übergreifende Services wie Click & Collect, bei denen Kunden online bestellte Produkte im Laden abholen können, oder Online-Informationen über die Verfügbarkeit im Geschäft verschmelzen Online- und Offline-Handel immer mehr. Der ergänzende Webshop oder die Integration digitaler Services bieten dem stationären Handel die Chance, nicht nur bestehende Kundschaft durch Komfortgewinne zu halten, sondern zusätzliche Märkte zu erschließen. Gleichzeitig profitieren auch Online-Shops für bestimmte Warengruppen davon, ihre Produkte auch offline zu präsentieren, um beispielsweise den Tragekomfort erlebbar oder Materialien anfassbar zu machen. Schlussendlich geht es geht darum, die Vorteile beider Verkaufskanäle zu kombinieren."

"Stationäre Händler wollen Beratungsgebühren einführen. Was halten Sie davon?"

"Diese Entscheidung muss jeder Einzelhändler nach einer sorgfältigen Abwägung der individuellen Vor- und Nachteile treffen. Grundsätzlich gilt, dass jeder, der eine zusätzliche Leistung erbringt, dafür auch Geld verlangen kann. Für viele gehört eine gute Beratung aber dazu, wenn man in einen Laden geht. Deshalb ist eine solche Gebühr mit der Gefahr verbunden, Kundinnen und Kunden abzuschrecken."

"Lebensmittel online kaufen geht bislang nur in großen Städten – kommt der Online-Handel beim täglichen Bedarf an Lebensmitteln an seine Grenzen?"

"Auch wenn das Angebot geringer ist, gibt es durchaus Anbieter, die Lebensmittel auch in ländlichere Regionen liefern. Die technischen und logistischen Voraussetzungen, Lebensmittel frisch und zügig direkt nach Hause zu liefern, sind da – auch wenn Transport und Lagerung von frischen Lebensmitteln natürlich insbesondere in ländlichen Gebieten mit längeren Transportwegen besondere Logistikmaßnahmen erfordern. Für jedes Unternehmen ergibt sich hier die Frage der Wirtschaftlichkeit, dennoch wird der Online-Lebensmitteleinkauf weiterhin eine Option für Kundinnen und Kunden bleiben, die aufgrund von Zeitmangel oder Mobilitätseinschränkungen auf diesen angewiesen sind."

"Werden sich Online-Handel und Big-Data miteinander verweben?"

"Der Online-Handel produziert und basiert bereits auf riesigen Datenmengen, die – in den Grenzen der datenschutzrechtlichen Bestimmungen und den angegebenen Präferenzen der Käuferinnen und Käufer – zum Beispiel genutzt werden, um Bestellprozesse zu optimieren, Zahlungsvorgänge abzuwickeln oder relevante Angebote bereitzustellen. Gerade durch die Einbindung weiterer digitaler Technologien wie Augmented Reality oder Künstlicher Intelligenz wird sich dieser Trend fortsetzen und zu einem entscheidenden Wettbewerbsfaktor entwickeln."

"Wie sieht die Zukunft des Einkaufens nach Amazon aus?"

"Der Handel hat sich in der Vergangenheit an die Wünsche der Kundinnen und Kunden angepasst und wird das auch weiter tun. Nahezu jede technologische Neuerung, die unseren Alltag maßgeblich verändern wird, wird auch das Online-Shopping verändern. Die Zukunft des Einkaufens wird eine Kombination aus verschiedenen Kanälen und Technologien sein, die es den Kunden ermöglicht, ihre Einkäufe noch individueller auf die eigenen Bedürfnisse, Lebensrealitäten und Vorlieben anzupassen – und hier gibt es immer Platz für Innovationen."

"Wie hat sich Ihr persönliches Einkaufsverhalten verändert?"

"Der Zeitfaktor spielt auch in meinem persönlichen Einkaufsverhalten (leider) eine wichtige Rolle, weshalb ich zunehmend online einkaufe, mich hier aber hauptsächlich auf Bekleidung und Schuhe beschränke. Die Zeit für einen persönlichen Gang in die Drogerie, den Buchladen, den Supermarkt oder das kleine Shopping-Center nebenan lasse ich mir aber ungern nehmen. Hier freue ich mich insbesondere über Neueröffnungen oder darüber, wenn es in den Regalen neue Produkte oder natürlich auch technologische Innovationen zu entdecken gibt."

Wer ist Bianka Kokott?

Beim Digitalverband Bitkom treibt sie als Referentin für das Thema Digitale Transformation mit Tech-, Handels-, Logistik- und Dienstleistungsunternehmen die Transformation der Retail-Branche voran. Omni-Channel-Ansätze, die Digitalisierung am Point of Sale, neue Payment-Lösungen, Nachhaltigkeitsstrategien, die Digital Supply Chain und weitere E-Commerce- und Technologie-Trends stehen im Fokus ihrer Arbeit. Vor ihrer Zeit beim Bitkom war sie mehrere Jahre bei der Hub Agency, der "Digital Hub Initiative" des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz tätig. Hierbei vernetzte sie die zwölf Digital Hubs des Bundes mit Start-ups, Mittelständlern, Investoren und Konzernen, um so neue technologische Trends und Innovationen zu fördern und Deutschland als Digitalstandort nach vorne zu bringen.