Rettung der Krankenkassen: Patienten sollen mehr zahlen – "Vollkasko-Mentalität" beenden

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CDU-Virologe Streeck: Gesundheitskosten durch Eigenverantwortung senken
CDU-Politiker und Virologe Hendrik Streeck fordert mehr Eigenverantwortung und eine sozialverträgliche Selbstbeteiligung bei Arztbesuchen, um die finanzielle Krise der Krankenkassen abzuwenden.
CDU-Virologe Streeck: Gesundheitskosten durch Eigenverantwortung senken
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CDU-Politiker Hendrik Streeck spricht sich für mehr Eigenverantwortung aus. Diese Maßnahmen könnten das System erheblich verändern.

Eine Lösung der Krise der Krankenkassen scheint noch in weiter Ferner. Fakt ist, die Kosten steigen weiter und der Kollaps im Gesundheitssystem droht. Jetzt hat sich der CDU-Politiker und Virologe Hendrik Streeck dazu geäußert. Seine Pläne würden die Patienten voll treffen.

Streeck verlangt mehr Eigenverantwortung bei Arztbesuchen. Eine Forderung, mit der der Politiker nicht alleine dasteht.

Was könnte mehr Selbstbeteiligung für die Krankenkassen bedeuten?

Gegenüber der Rheinischen Post erklärte er, dass besonders unnötige Untersuchungen einer der Kostentreiber im System sind für Krankenkassen. Streeck: "Hier kann eine moderate, sozialverträgliche Selbstbeteiligung helfen, Bagatellbesuche zu reduzieren. Nicht als Härte, sondern als Steuerung – schlank organisiert und fair."

Es ginge dabei demnach nicht darum, Versorgung einzuschränken. Es sei vielmehr entscheidend, "notwendig Leistungen für alle zu sichern". Streeck: "Denn wir reden in Deutschland noch immer viel zu oft über die Kosten von Behandlungen – und viel zu selten über den Wert der Krankheiten, die wir gar nicht erst entstehen lassen."

Gesundheit ist keine All-inclusive-Dienstleistung

CDU-Politiker und Virologe Hendrik Streeck

Prävention und Gesundheitskompetenz seien laut dem CDU-Politiker "die stärksten ökonomischen Entlastungsfaktoren, die wir haben". Und grundsätzliche müsse gelten: "Wir müssen uns von einer unsolidarischen Vollkasko-Mentalität verabschieden. Gesundheit ist keine All-inclusive-Dienstleistung des Staates. Wer mit einer Erkältung die Notaufnahme blockiert, darf nicht erwarten, sofort die gesamte Palette an Hightech-Diagnostik zu beanspruchen."

Spitzenverband der Krankenkassen ohne Verständnis für die Forderung

Wenig Begeisterung lösen solche Aussagen beim GKV Spitzenverband Bund der Krankenkassen aus. Auf Nachfrage von inFranken.de erklärt Stefanie Stoff-Ahnis, stellvertretende Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes: "Warum wird immer zuerst über höhere Zuzahlungen gesprochen, statt die Probleme grundlegend anzugehen? Die strukturellen Probleme unseres Gesundheitssystems können wir nicht dadurch lösen, dass wir für kranke Menschen die Zuzahlungen erhöhen oder die Praxisgebühr wieder auferstehen lassen."

Stoff-Ahnis verweist darauf, dass alleine die Krankenhäuser in diesem Jahr rund zehn Milliarden Euro mehr ausgeben werden als im letzten Jahr: "Aber statt hier grundlegend anzupacken und die vielfach veralteten Strukturen dem tatsächlichen Bedarf der Patientinnen und Patienten anzupassen, versuchen die Länder gerade mit großem politischem Druck, die Krankenhausreform zurückzudrehen."

Beim GKV ist man sich sicher, dass man in Zukunft nicht gewinnen kann, wenn man den Status Quo einfach mit viel Geld konservieren möchte. Die Frage, die sich für den Spitzenverband stellt ist: "Wie hoch sollen denn die Zuzahlungen steigen, um so etwas auszugleichen?"

GKV nimmt Politik in die Pflicht 

Was die GKV-Vorstandsvorsitzende gegenüber unserer Redaktion unterstreicht, ist, dass "die Politik jetzt handeln muss, um Beitragserhöhungen Anfang 2026 zu verhindern".

Stoff-Ahnis: "Unser Vorschlag für eine Sofortmaßnahme gegen Beitragserhöhungen und gegen Leistungskürzungen, das Ausgabenmoratorium, liegt auf dem Tisch. Wir stehen bereit, um gemeinsam mit der Politik und den Partnern in der Ärzteschaft, Kliniken und den weiteren Gesundheitsberufen die praktische Umsetzung anzugehen."

Darüber sieht man beim GKV grundlegende Strukturreformen als zwingend erforderlich an, um die Versorgung in diesem Land weiterzuentwickeln, mit dem Ziel, "die Qualität zu verbessern und die Beiträge nachhaltig zu stabilisieren".

Verband der Ersatzkassen sieht Fehler beim Staat

Auch beim Verband der Ersatzkassen (vdek) hat man, wie auch der Spitzenverband der Krankenkassen, wenig Verständnis für die Aussagen von CDU-Politiker Streeck. Gegenüber inFranken.de hat der vdek seine Standpunkte verdeutlicht: "Herr Streeck verschweigt, dass der Staat seiner Verantwortung für die Gesundheitsversorgung bei weitem nicht so nachkommt, wie er es müsste."

Hier verweist der Verband auf "die zahlreichen versicherungsfremden Leistungen, die die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) auftragsweise für den Staat übernimmt". Dazu zählt die gesundheitliche Versorgung von Bürgergeldbeziehenden. Sie sei "keine Aufgabe der GKV, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die aus Steuergeldern finanziert werden müsste". Die vom Bund gezahlten Pauschalen würden gerade mal ein Drittel der Kosten für die Versorgung abdecken. Jahr für Jahr muss die GKV dafür rund zehn Milliarden Euro aus Beitragsmitteln einsetzen. vdek: "Das weiß die Bundesregierung."

Das Problem der offenen Rechnungen der Bundesregierung gegenüber den Krankenkassen kocht immer wieder hoch. Im Juli dieses Jahres hatte Jens Baas, Chef der Techniker Krankenkasse (TK), dazu ebenfalls eine klare Forderung formuliert. Baas hatte zudem Finanzminister Lars Klingbeil über die Plattform LinkedIn scharf kritisiert

Inzwischen hat der GKV dazu eine Klage gegen den Bund eingereicht. Der Verband der Ersatzkassen betont, dass man dies ausdrücklich unterstützt. 

Krankenkassen müssten noch mehr Geld bekommen vom Staat

Ein weiteres Problem aus Sicht des vdek "ist die dringend notwendige Refinanzierung der Pandemie-Mehrkosten von fast sechs Milliarden Euro in der Sozialen Pflegeversicherung (SPV)". vdek: "Die Politik bediente sich unzulässig an der SPV, um Maßnahmen wie Corona-Tests oder Corona-Prämien für Pflegekräfte zu finanzieren." Eine entsprechende Rückzahlung ist demnach bisher ausgeblieben.

Der Verband kann daher die erneute Forderung nach Kürzungen von Leistungen der Krankenkassen nicht nachvollziehen: "Statt ihrer eigenen Verantwortung nachzukommen, denken Teile der Politik nun laut über Leistungskürzungen nach. Das ist aus unserer Sicht nicht der richtige Weg. Schon heute sind die Leistungen auf das medizinisch Notwendige begrenzt."

Auf die Anfrage von inFranken.de heißt es dazu weiter: "Pauschale Ausgrenzungen würden vor allem einkommensschwache Menschen belasten, das passt nicht mit einer solidarischen Krankenversicherung zusammen. Leistungskürzungen in homöopathischen Dosen würden dagegen die Finanzprobleme nicht lösen". 

Wie spricht der Bundeskanzler über die Krankenkassen und Versicherten?

Zuletzt hatte Bundeskanzler Friedrich Merz in seinem ARD-Sommerinterview Ende Juli bereits ähnliche Töne angeschlagen. Angesichts der finanziellen Schieflage hatte der Kanzler mit einem harten Plan für Krankenkassen und Versicherte gedroht.

Man müsse über das Leistungsniveau sprechen und die Beitragszahler in die Pflicht nehmen, machte Merz damals deutlich.

Merz: "Wo fängt Eigenverantwortung an? Wo hört Eigenverantwortung auf und geht in Solidarität über?"

Wie sehen die Zahlen zum Problem der Krankenkassen aus?

In seinem Interview mit stellt Hendrik Streeck auch nochmals die schlechten Zahlen der Krankenkassen in den Vordergrund: "Die nüchternen Zahlen sprechen eine klare Sprache – und sie lassen keinen Raum für Beschönigung. Alleine 2024 liegt das Defizit der gesetzlichen Krankenversicherung bei über sechs Milliarden Euro."

Die Rücklagen würden demnach gerade noch für etwas mehr als zwei Tage Versorgung reichen. Zugleich steigen die Beitragssätze kontinuierlich, aktuell bereits auf über 17 Prozent.

Für den Politiker und Virologen sind die Aussichten düster. Streeck: "Ohne entschlossene Gegenmaßnahmen drohen wir die 20-Prozent-Marke zu überschreiten."