Krankenkassen fordern Kostenbremse: So rauschen die Beiträge durch die Decke

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Experten üben Kritik an der Bundesregierung und fordern rasche Reformen im Gesundheitssystem, insbesondere bei Krankenhäusern und Arzneimitteln.

Die Meldungen über drohende steigende Beiträge bei den Krankenkassen reißen nicht ab. Der Chef vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen GKV hat sich jetzt erneut mahnend zu Wort gemeldet. 

Es sei noch nicht zu spät, die Beiträge stabil zu halten, hatte Oliver Blatt gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa) erklärt. Doch seien die Ausgaben in diesem Jahr enorm gestiegen. Sie sind demnach "weit schneller als die Einnahmen nach oben gegangen". 

Beiträge für Krankenkassen bleiben weiter ein Problem

Der GKV-Chef warnt und macht der Bundesregierung deutliche Vorwürfe: "Deshalb müssen wir nach wie vor davon ausgehen, dass die Zusatzbeiträge Anfang 2026 weiter steigen werden. Auf politischer Ebene ist bisher nichts passiert, um das abzuwenden." Aktuell berechnet der Schätzerkreis für die Krankenversicherung die Finanzentwicklung. Eine erste Prognose soll bis 15. Oktober vorliegen.

Bereits zu Jahresbeginn gab es zahlreiche Erhöhungen. Im Juli wurden dann weitere sechs Kassen teurer für ihre Versicherten. Auch über das mögliche Aus von rund 60 Krankenkassen wurde spekuliert. Gegenüber inFranken.de hatte sich die GKV damals sehr zurückhaltend geäußert: "Durch die prekäre Finanzsituation stehen die Krankenkassen stark unter Druck, die einen mehr, die anderen weniger. Ob und ggf. in welchem Ausmaß dies dazu führt, dass sich die Zahl der Kassen etwa durch weitere Fusionen reduziert, darüber können wir keine seriöse Einschätzung abgeben."

Eine Lösung zur Verbesserung des Systems fehlt weiterhin. Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) versucht noch mehr Haushaltsmittel zur kurzfristigen Unterstützung zu bekommen. Außerdem soll eine eingesetzte Kommission aus Experten Vorschläge erarbeiten für geeignete Maßnahmen. Wenig Begeisterung macht sich dabei beim Spitzenverband breit. 

Rettung der Krankenkassen: Ist die Politik zu langsam?

GKV-Chef Blatt kritisierte bei der dpa: "Hätten wir nur halb so viele Gesetzesvorschläge auf dem Tisch, wie gerade Kommissionen gebildet werden, dann hätten wir schon mehr erreicht." Die Kommissionen der Bundesregierung sollen nach und nach Ergebnisse liefern:

  • Expertenkommission zur Krankenversicherung bis März 2026
  • Arbeitsgruppe zu den Pflegefinanzen noch im Oktober
  • Weitere Expertenrunde zur Rente soll kommendes Jahr folgen

Kritik an der Vorgehensweise der Regierung kam zuletzt auch vom Verband der Ersatzkassen (vdek). Hier fordert man schnelle Lösungen. Es brauche vor allem erstmal kurzfristige Maßnahmen. Und diese müssten "jetzt unverzüglich umgesetzt werden". Der Verband erklärt dazu: "Dafür brauchen wir keine Kommission."

GKV mit Vorschlag für niedrigere Kosten für Krankenkassen

Dem Bericht der Presse-Agentur zufolge würde die gesetzliche Krankenkasse auf eine Ausgabenbremse setze. Laut Blatt müsste man dafür "die Ausgaben an die Einnahmen koppeln" und dann müsste man nichts kürzen. Blatt ist sich sicher, dass es somit weiter "Luft für Ausgabensteigungen" geben würde – wenn auch nicht mehr unbegrenzt.

Zu Kürzungen der Leistungen der Kassen hatte sich erst vor wenigen Tagen der CDU-Wirtschaftsrat sehr offensiv geäußert und eine Streichliste veröffentlicht. Bereits in seinem ARD-Sommerinterview hatte Bundeskanzler Friedrich Merz einen harten Plan für Krankenkassen angekündigt – dieser würde die Versicherten voll treffen. Der Kanzler sprach dabei von mehr Eigenverantwortung. 

Gerade bei Apotheken müssten Versicherte dann mit höheren Kosten rechnen. Doch wäre das wirklich sinnvoll? Kassenmitglieder zahlen heute zehn Prozent, mindestens jedoch fünf Euro bei Medikamenten darüber, höchstens zahlen sie zehn.

Blatt: "Derzeit nehmen die Kassen dadurch 2,6 Milliarden Euro pro Jahr ein. Vorstellen könnte ich mir hier eine inflationsbedingte Anpassung, wie in anderen Bereichen auch, aber keine deutliche Erhöhung." 

Rettet mehr Eigenverantwortung die Krankenkassen?

Die Forderung nach mehr Eigenverantwortung hat der Kanzler auch bei seinem Interview in der ARD-Sendung "Caren Miosga" noch einmal bekräftigt. In Bezug auf, Rente, Gesundheit und Pflege hatte er darauf hingewiesen, dass die Menschen dafür in Zukunft "mehr vom verfügbaren Einkommen aufwenden müssen".

Auf Nachfrage von inFranken.de hat sich der Sozialverband VdK kritisch dazu geäußert. VdK-Präsidentin Verena Bentele: "Es wird oft behauptet, dass mehr Eigenverantwortung leicht umzusetzen sei. Für viele Menschen ist dies jedoch nicht realistisch. Eine solche Forderung ignoriert die Lebenswirklichkeit zahlreicher Bürgerinnen und Bürger, die nach Begleichung ihrer Ausgaben kein Geld mehr für private Vorsorge übrighaben. Leistungskürzungen im Sozialstaat lehne ich ausdrücklich ab."

Auch GKV-Chef Blatt sucht nach anderen Ansatzpunkten. Blatt: "Wieso gehen Abgaben auf Alkohol und Tabak nicht wenigstens teilweise auch an die gesetzliche Krankenversicherung?" Die Folgekosten seien demnach enorm. Blatt: "Bei Rauchen und Alkohol weiß jeder Konsument, was er tut." Man könnte mit dem Geld etwa Prävention und gesundes Verhalten fördern. 

Was wünschen sich die Krankenkassen von der Politik?

Geht es nach den Kassen, dann darf es aber nicht nur die schnelle Kosten-Notbremse sein. Es müssen langfristige Lösungen für das Gesundheitssystem her.

Blatt: "Hätten wir früher schon die Strukturen reformiert, dann bräuchten wir jetzt vielleicht keine kurzfristigen Maßnahmen. Umso wichtiger ist es, jetzt Reformen bei den großen Kostenblöcken Krankenhäuser und Arzneimittel und auch im Bereich der Praxen anzugehen."

Die Ausgaben der Krankenkassen für die Krankenhäuser sind im ersten Halbjahr um 9,6 Prozent auf 54,5 Milliarden Euro gestiegen. Das Problem: Die jüngste Krankenhausreform von Warkens Vorgänger Karl Lauterbach (SPD). Dazu erklärt GKV-Chef Blatt gegenüber der dpa: "Wir leisten uns eine Krankenhausversorgung, die (...) unglaublich viel Geld verschlingt, und das in Strukturen, die nicht effizient sind." Weitere Problemstellen:

  • Bei den Arzneimitteln fehlt es laut den Kassen rund 15 Jahre nach Einführung einer generellen Kosten-Nutzen-Bewertung durch ein Gesetz (AMNOG) inzwischen an passenden Regeln.
  • Mehr als 40.000 Patientinnen und Patienten mit einer speziellen Krankheit bekämen zum Beispiel Medikamente, die 100.000 Euro oder mehr im Jahr kosten.

    Blatt: "Die Solidargemeinschaft ermöglicht selbst teuerste Therapien bis hin zu einer Pille für eine Million Euro. Das ist auch richtig. Aber wir brauchen strengere Möglichkeiten, um Wirkstoffe nach ihrem tatsächlichen Nutzen zu bewerten." 
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