Besorgt beobachten Virologen und Epidemiologen seit März die Ausbreitung des Vogelgrippe-Virus H5N1 auf Kühe in den USA. Wo die einen noch lange keine Gefahr für den Menschen sehen, sprechen die anderen von der nächsten großen Pandemie. Wie realistisch ist die Gefahr?
Das Vogelgrippe-Virus H5N1 breitet sich derzeit aus - und das nicht nur unter Vögeln. Teils zeigen sich Virologen besorgt. Seit März 2024 wird beobachtet, dass das Virus auf Kühe in den USA übertragen wurde. Mehr als 30 Milchviehbetriebe sollen laut dem US-Agrarministerium betroffen sein, berichtet unter anderem die Frankfurter Rundschau. Ein Virus, welches von Vögeln auf Säugetiere übergreift - besteht eine ernstzunehmende Gefahr für den Menschen? Droht womöglich eine Pandemie?
"Auf Basis der vorliegenden Informationen schätzt die WHO das Risiko für die öffentliche Gesundheit insgesamt als gering ein", erklärt die Weltgesundheitsorganisation. Der durch die Corona-Pandemie in Deutschland bekannt gewordene Epidemiologe Alexander Kekulé, Leiter des Lehrstuhls für Medizinische Mikrobiologie und Virologe der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, sieht das etwas anders: "Die meisten meiner Kollegen schätzen das Risiko einer Pandemie durch einen Abkömmling von H5N1 als hoch ein."
Vogelgrippe breitet sich aus: Wie realistisch ist die Gefahr einer weiteren Pandemie?
Bisher steckten sich zwar nur wenige Menschen an, jedoch liegt die Sterblichkeit bei einer Infektion bei über 50 Prozent, wie der Virologe Hendrik Streeck in einem Interview mit Ippen Media erklärt. "Das ist ein Erreger, den man sehr ernst nehmen muss. Zum Vergleich: Bei Corona liegt die Sterblichkeit bei rund 0,5 Prozent. Vogelgrippe ist nach aktuellen Daten also hundertmal tödlicher. Das sind Schätzwerte, die wahrscheinlich viel zu hoch liegen, da zum Beispiel auch die Dunkelziffer nicht bekannt ist", so Streeck weiter. Was heißt das nun konkret?
Streeck erklärt weiter, dass ein Szenario, wie wir es während der Corona-Pandemie erleben mussten, so nicht denkbar ist: "Wir befinden uns in einer ganz anderen Situation als bei Corona. Es gibt bereits wirksame Impfstoffe. Die Europäische Union hat bereits Impfdosen bestellt. Und in den USA werden Menschen mit viel Kontakt zu Rindern geimpft. Wenn es jetzt zu einem Ausbruch kommen würde, also zu einer Mensch-zu-Mensch-Übertragung, würde man sofort diesen Ausbruch über Impfungen aller Kontaktpersonen eindämmen. Man sollte die Lage ernst nehmen, aber wir sind besser vorbereitet."
Demgegenüber steht eine Aussage Kekulés. Seiner Meinung nach sei die nächste Pandemie so gut wie sicher, "wenn es dem Virus gelingen sollte, sich an die menschlichen Andockstellen anzupassen". Der Epidemiologe appelliert daran, schon jetzt in Europa Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um Landwirtschaft und Menschen vor einer Ausbreitung und Ansteckung des Vogelgrippe-Virus zu bewahren.
Welt wäre "wahrscheinlich wieder überfordert"
Eine ähnliche Meinung wie Kekulé hat hier Christian Drosten, Virologe an der Charité Berlin. "So etwas hat es vorher noch nicht gegeben, solche extrem großen Ausbrüche bei Kühen – alle Fachleute sind besorgt. Man weiß nicht so recht, wie das jetzt weitergeht, weil man auch keine sehr gute Dateneinsicht hat", erläutert er in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Es sei möglich, dass zu spät bemerkt werde, dass sich ein Virus bereits verbreite. Eine Ausbreitung des H5N1-Virus könnte glimpflich ablaufen, "aber es kann auch schon der Anlauf zu einer nächsten Pandemie sein, den wir hier live mitverfolgen", so Drosten weiter.
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Die Virus-Übertragung auf Kühe müsse also weiterhin beobachtet werden. Wer Milch trinkt, müsse in Deutschland, so Streeck, keine Bedenken haben, sich zu infizieren. Zum einen kommt das Vogelgrippe-Virus bei Rindern in Deutschland "bisher" nicht vor, zum anderen wird Milch pasteurisiert. Allerdings sei es eine "sehr blöde Idee" Rohmilch zu trinken: "Neben Viren sind in der Rohmilch Bakterien enthalten, die krank machen können und für ungeborene Babys sogar tödlich sein können", erklärt Streeck.