Das Heinz-Hoenig-Problem der Krankenversicherung: So fallen tausende Deutsche durchs Raster

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Eigentlich müsste jeder Bürger der gesetzlich vorgesehene Krankenversicherung beitreten. Sie ist seit 2009 obligatorisch, auch für Künstler und Selbständige. Doch es gibt immer wieder Fälle, wie der des TV-Stars Heinz Hoenig. Wie kann das sein?

  • Wie funktioniert das System der gesetzlich Krankenversicherung?
  • Warum gibt es überhaupt Personen ohne Krankenversicherung?
  • Wie teuer ist die Krankenversicherung?
  • Hast du einen Arbeitgeber macht er die Bürokratie
  • Gibt es einen Weg zurück in die Krankenversicherung?

Schauspieler Heinz Hoenig (72) muss sich an der Aorta operieren lassen. Der bekannte 72-jährige Darsteller, bekannt aus "Der große Bellheim", "Die Affäre Semmeling", ist bereits seit mehreren Jahre nicht mehr krankenversichert. Dabei gibt es die gesetzliche Pflicht, dass sich auch Schauspieler versichern müssen. Nun kostet Hoenig jeder Tag auf der Intensivstation rund 3000 Euro - er liegt dort schon länger als 100 Tage. Aus dem Fall Hoenig ergeben sich einige Fragen: Wie funktioniert eigentlich das System der gesetzlichen Krankenversicherung? Warum gibt es offenbar Lücken? Wie teuer ist eine Krankenversicherung? Wie kommst du in das System rein, wenn du draußen bist? Was passiert bei Arbeitslosigkeit? 

Wie funktioniert das System der gesetzlich Krankenversicherung?

Das deutsche Sozialsystem ist stolz darauf, dass es keine Bürgerin und keinen Bürger gibt, der ohne Schutz im Krankheitsfall ist. Um dieses Ziel umzusetzen, gibt es für alle mit Wohnsitz in Deutschland die Verpflichtung, zum Abschluss einer Krankenversicherung. Seit 2009 besteht diese ‚Zwangsmitgliedschft‘ - also erst seit 15 Jahren. Geregelt ist das im Sozialgesetzbuch V. Organisiert ist der Krankheitsschutz aktuell in ca. 100 Kassen (die AOK und vielen Ersatzkassen wie die Techniker Krankenkasse (TK), die Barmer, DAK-Gesundheit, KKH Kaufmännische Krankenkasse etc.).

Zu unterscheiden ist zwischen den gesetzlichen Krankenkassen (GKV) und den privaten Krankenkassen (PKV). Die überwiegende Mehrzahl der Erwerbstätigen (88 %) sind Mitglied in einer GKV. Konkret sind das 58 Mio. zahlende und 16 Mio. beitragsfreie mitversicherte Familienangehörige (Ehepartner, Kinder). Die Domäne der PKV ist die Gruppe der Selbständigen, Freiberufler, Beamten (mit Anspruch auf Beihilfe, die noch eine Zusatzversicherung brauchen) und Angestellte mit einem Einkommen oberhalb der Versicherungspflichtgrenze (2024: 69.300 Euro). 8,7 Mio. oder 9 % Bürger sind privat versichert. Selbstständige Künstler und Publizisten können, sich über die Künstlersozialversicherung in deren Sozialkasse (Künstlersozialkasse, KSK) versichern. 2024 sind ca. 192.000 Mitglieder der KSK. Das Gegenmodell zu Deutschland ist die USA: dort gibt es keine Krankenversicherungspflicht.

Bleibt die Frage, ob das System in der Praxis auch funktioniert? Der Fall Hoenig lässt daran zweifeln. Und in der Tat: Trotz der Pflicht, eine Krankenversicherung abzuschließen, stellt das Statistische Bundesamt in Wiesbaden im Mikrozensus fest, dass bei weitem nicht alle versichert sind. Im Jahr 2019 waren in Deutschland hochgerechnet offiziell rund 61.000 Personen nicht krankenversichert. Von den Personen ohne Krankenversicherungsschutz waren im Jahr 2019 knapp zwei Drittel Männer. Selbstständige sowie Erwerbslose hatten besonders häufig keinen Krankenversicherungsschutz. 

Warum gibt es überhaupt Personen ohne Krankenversicherung?

Die offizielle Zahl von 61.000 Personen ohne Krankenversicherung ist aber nur die Untergrenze. Der Gesundheitsökonom Prof. Jürgen Wasem von der Universität Duisburg-Essen schätzt im Deutschen Ärzteblatt, dass in Deutschland zwischen einer halben und einer Million Menschen keine Krankenversicherung haben (Wohnungslose, insolvente Einzelpersonen, die ihre Krankenversicherungsbeiträge nicht bezahlen können). Einige Zehntausende oder eine Million - ein gewaltiger Unterschied.

Hinzu kommt, dass viele Versicherten ihre monatlichen Beiträge nicht bezahlen und damit Schulden bei den Versicherungen anhäufen. Sie haben aber keine Kündigung zu befürchten. "Die Kündigung einer bestehenden gesetzlichen oder privaten Krankenversicherung durch die gesetzliche Krankenkasse beziehungsweise das private Versicherungsunternehmen, ohne dass eine andere Form der Absicherung im Krankheitsfall zur Verfügung steht, ist wegen der Versicherungspflicht in Deutschland rechtlich grundsätzlich nicht möglich" erklärte das Bundesgesundheitsministerium (BGM) gegenüber dem Ärzteblatt.de. 

Der Leistungsanspruch ist in diesem Fall aber deutlich eingeschränkt. Wer zwei Monate mit seinem Beitrag im Rückstand ist, bei dem ruht die Mitgliedschaft in der Krankenversicherung (§ 16 Absatz 3 a des Sozialgesetzbuch (SGB) V). Nur im äußersten Notfall übernimmt die Versicherung die Kosten für eine Arztbehandlung. Dieses Dilemma in Zahlen ausgedrückt, sieht wie folgt aus: Im Jahr 2022 hatten 700.000 Versicherte, laut Ärzteblatt.de, keinen Anspruch auf normale Leistungen. Sie zahlten ihre Prämien nicht. Durch Beitragsrückstände entging allein den 100 Kassen in der gesetzlichen Variante der Krankenkassen rund 10 Mrd. Euro an Beiträgen. Wer Schulden bei der Krankenkasse hat, ist aber trotzdem versichert. Zumindest in Fällen von akuter Behandlungsnot muss die Krankenkasse trotz Schulden die Kosten übernehmen. Allerdings nur für einen Zeitraum von zwei Monaten darauf weist die Schuldnerberatung hin.

Wie teuer ist die Krankenversicherung?

Solange du Arbeit hast, also einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehst (ab 548 Euro Verdienst im Monat), sorgt dein Arbeitgeber obligatorisch dafür, dass es regelmäßige Zahlungen an die Krankenkasse gibt. Er führt den Beitrag ab, und zwar von deinem Bruttoentgelt. Außerdem übernimmt er 50 % der Beiträge. Aktuell gelten folgende Regeln, und zwar für die vier Sozialversicherungen:

  • Krankenversicherung: 14,6 % (Anteil Arbeitgeber (AG) und Arbeitnehmer (AN): jeweils 7,3 %).
  • Rentenversicherung: 18,6 % (Anteil AG und AN: jeweils 9,3 %).
  • Pflegeversicherung: 3,05 % bzw. 3,4 % bei Kinderlosen (Anteil AG und AN: jeweils 1,525 %).
  • Arbeitslosenversicherung: 2,6 % (Anteil AG und AN: jeweils 1,3 %).

Die chronisch defizitären Krankenkassen müssen außerdem einen ein­kommensabhängigen Zusatzbeitrag erheben, wenn sie Zuweisungen aus dem staatlichen Gesundheitsfonds erhalten. Auch der Zusatzbeitrag ist ebenfalls zu gleichen Teilen vom Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu zahlen. So gut wie alle Krankenkassen erheben diesen Betrag (bei der AOK in Bayern sind das 2024 1,58 % vom Brutto).

Die monatliche Prämie zur Krankenkasse ist allerdings bei den Versicherten nicht einheitlich. Sie unterscheidet sich nach der Höhe deines Bruttomonatsverdienst, Art der Versicherung (gesetzlich oder privat) und nach der Krankenkasse. Bei den privaten Kassen kommen noch unterschiedliche Tarifvarianten hinzu. Deshalb gibt es nur konkrete Zahlen zum Mindest- und Höchstbeitrag und Beispielrechnungen.

Die Beispielrechnungen von Check24

Check24 hat einige Beispielrechnungen für die Höhe des Beitrags zur Krankenversicherung vorgelegt. Ausgangspunkt für die Rechnungen ist immer das monatliche Bruttoeinkommen.

  • 2.000 Euro monatliches Bruttoeinkommen
  • Beitrag (inkl. Zusatzbeitrag): 326 Euro
  • Pflegeversicherung: 68 Euro
  • Monatlicher Eigenanteil: 197 Euro
  • 3.000 Euro monatliches Bruttoeinkommen
  • Beitrag (inkl. Zusatzbeitrag): 489 Euro
  • Pflegeversicherung: 102 Euro
  • Monatlicher Eigenanteil: 295,50 Euro
  • 4.000 Euro monatliches Bruttoeinkommen
  • Beitrag (inkl. Zusatzbeitrag): 652 Euro
  • Pflegeversicherung: 136 Euro
  • Monatlicher Eigenanteil: 394 Euro
  • Über 5.175 Euro monatliches Bruttoeinkommen
  • Beitrag (inkl. Zusatzbeitrag): 843,53 Euro
  • Pflegeversicherung: 175,95 Euro
  • Monatlicher Eigenanteil: 509,74 Euro

Bei Beziehern von Arbeitslosengeld I zahlt die Bundesagentur in der Regel den Krankenkassenbeitrag plus Zusatzbeitrag. Die Empfänger von Bürgergeld erhalten ebenfalls vom Jobcenter den Beitrag zur GKV plus durchschnittlicher Zusatzbeitrag. Empfänger von Sozialhilfe erhalten teilweise die Kosten vom Sozialhilfeträger, also von den Städten und Gemeinden. Bei Rentnern übernimmt die Krankenversicherung der Rentner (KVdR) die Hälfte des allgemeinen Beitragssatzes.

Monatlicher Beitrag für die GKV eines 22-jährigen Arbeitnehmers bei einem durchschnittlichen Zusatzbeitrag, Stand: 2024

Hast du einen Arbeitgeber macht er die Bürokratie

Die Krankenversicherung in der GKV kostet monatlich mindestens rund 165 Euro. Dazu kommen die Kosten für den Zusatzbeitrag und die Pflegeversicherung. Der Höchstbetrag bei der GKV liegt bei 843,25 Euro (2024). Das ist auch der Basistarif für Einzelpersonen in der PKV. Sind Versicherte hilfebedürftig oder führt die Prämie in den finanziellen Untergang, reduziert sich die Prämie im Basistarif auf die Hälfte.

Zur Abführung der Beiträge ist der Arbeitgeber verpflichtet, den Beschäftigten bei seiner Krankenkasse anzumelden. Sie sind die zuständigen Einzugsstellen für den gesamten Sozialversicherungsbeitrag (Ausnahme: bei Minijobs). Für die Anmeldung ist es erforderlich, dass du als Arbeitnehmer dem Arbeitgeber gleich zu Beginn der Beschäftigung (spätestens zwei Wochen nach Aufnahme der Arbeit) eine Mitgliedsbescheinigung deiner Krankenkasse vorlegst. Machst du das nicht, meldet der Arbeitgeber dich bei der Krankenkasse an, bei der du versichert warst.

Der Arbeitgeber muss dich bei der Neueinstellung fragen, bei welcher Krankenkasse du zuletzt Mitglied warst. Du bist verpflichtet, diese Angabe zu machen. Hattest du keine Krankenversicherung, wählt der Arbeitgeber eine Kasse aus. 

Gibt es einen Weg zurück in die Krankenversicherung?

Deine Mitgliedschaft in einer Krankenversicherung beginnt schon als Baby. Du bist bei der Mutter oder dem Vater mitversichert. Nach dem Ende deiner Ausbildung kannst du dann deine Versicherung frei wählen. Da du am Anfang noch nicht viel verdienst, ist das üblicherweise die GKV. Da die Krankenkassen um Mitglieder buhlen, ist der Beitritt relativ einfach und funktioniert mit einem Fragebogen.

Wer aktuell nicht krankenversichert ist, aber früher dies war und zurück will, meldet sich bei seiner ehemaligen Krankenkasse. Egal ob gesetzlich oder privat. Diese muss dich, unabhängig von deinem Gesundheitszustand, wieder aufnehmen. Ist die Krankenkasse in der Zwischenzeit mit einer anderen fusioniert, ist die neue Kasse zuständig. Warst du noch nie krankenversichert, erfolgt die Zuordnung nach dem Berufsstatus: bist die Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer, kommst du in die GKV, bist du selbstständig oder Freiberufler in die PKV. Die Kasse kannst du dir in diesen Fällen aussuchen. 

In der Zeit ohne Krankenversicherungsschutz entstehen Beitragsschulden. Das kann teuer werden. Deshalb ist eine lückenlose Versicherung unbedingt zu empfehlen. Je nachdem, wie lange du unversichert warst, musst du erhebliche Summen nachzahlen. Die GKV kann vier Jahre lang die rückständigen Beiträge (§ 25 SGB IV) einfordern, vollstrecken und Säumniszuschläge erheben. Beispiel: Bei Ansprüchen, die 2020 fällig waren, beginnt die Verjährungsfrist am 1. Januar 2021 und endet am 31. Dezember 2024. Bezahlen Versicherte ihren fälligen Beitrag nicht, ist ein Säumniszuschlag fällig (§ 24 SGB IV). Der Säumniszuschlag beträgt 1 % pro Monat. Auf deinen Antrag hin ist er zu reduzieren.

Wenn alle Stricke reißen, gibt es nur den Gang zum Sozialamt

Niemand kontrolliert, ob du wirklich in einer Krankenversicherung bist. Oft fällt das erst auf, wenn du teure medizinische Hilfe brauchst. Dann stellt sich schnell die Frage: Wer zahlt die kostspielige Operation und den Krankenhausaufenthalt?

Normalerweise du selbst oder deine Familie. Hast du Geld auf der hohen Kante, Wertpapiere oder eine Immobilie sind diese Werte flüssig zu machen und dafür zu verwenden. Reicht das alles nicht, bleibt dir nur der Weg zum Sozialamt. In diesem Fall kann es Hilfen zur Gesundheit geben. 

Vorschaubild: © Henning Kaiser/dpa