Lange waren die offiziellen Diagnosekriterien für Autismus und das Asperger-Syndrom in der ICD-10 (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems), welche von der WHO herausgegeben wird, festgehalten. Hier galten Autismus-Spektrum-Störungen noch als "tiefgreifende Entwicklungsstörungen". In der ICD-10 sind sie unter F84 als "medizinische Diagnosen" gelistet. Unterschieden wurde dort unter anderem zwischen frühkindlichem Autismus (F 84.0), dem Asperger-Syndrom (F 84.5) und dem Atypischen Autismus (F84.1). In der neueren Auflage, der am ersten Januar 2022 in Kraft getretenen ICD-11, gibt es einige Änderungen. Hier wird der Begriff Autismus-Spektrum-Störung (ASS) als Oberbegriff verwendet. Autismus wird heute als Spektrumsbegriff (6A02) nach Schweregrad differenziert; in den Begriff mit einfließen die vorherigen Subtypen wie das Asperger-Syndrom oder der frühkindliche Autismus, sie werden aber nicht mehr separat gelistet.
Stärken der Asperger-Autist*innen und das Erwachsenen- sowie Berufsleben
Weltweit leben nach Schätzungen der UNO ca. 67 Millionen Menschen weltweit im Autismus-Spektrum. Oft vergessen wird, dass Autist*innen viele besondere Stärken aufweisen. Eine davon ist die oft sehr frühzeitig einsetzende Entwicklung der Sprache. In vielen Fällen können autistische Kinder bereits sprechen, bevor sie frei laufen können. Zudem haben Asperger-autistische Menschen meist eine sehr hohe bis überdurchschnittliche Intelligenz. Typische Charaktereigenschaften vieler Autist*innen sind Aufrichtigkeit, Loyalität, Zuverlässigkeit, Motiviertheit, Dankbarkeit sowie ein ausgeprägter Wunsch nach Gerechtigkeit. Außerdem zeigen Autist*innen oft eine auffallende Gründlichkeit, eine hohe Aufmerksamkeit für Details, Muster und Fehler und eine hohe Konzentrationsfähigkeit und -dauer. Eine mögliche Inselbegabung oder ein Spezialinteresse können sie im Berufsleben oft positiv nutzen. Autismus sollte daher nicht als Störung, sonders lediglich als Besonderheit angesehen werden.
In vielen Situationen des Lebens- und Arbeitsalltags haben Autist*innen mit besonderen Herausforderungen zu kämpfen. Das sind zum Beispiel die Kommunikation, vor allem mit nonverbalen Signalen oder doppeldeutige Aussagen, Blick- und Körperkontakt und Smalltalk. Die häufig wahrgenommene "Emotionslosigkeit" von Autist*innen kommt daher, dass sie Reize und Informationen nicht wie gewöhnlich filtern und priorisieren können. Was Nicht-Autist*innen nur als einfachen Blick interpretieren, kann für autistische Personen viel mehr bedeuten. Final handelt es sich also weniger um eine Emotionslosigkeit, sondern um eine Hypersensibilität gegenüber Emotionen, für die das Gegenüber Verständnis aufbringen sollte. Gegenteilig gibt es auch viele Menschen im Autismus-Spektrum, die eine überdurchschnittliche Empathiefähigkeit besitzen.
Fehlt das nötige Wissen über autistische Menschen, kann es im Berufsleben zu Schwierigkeiten kommen: Kolleg*innen könnten ohne das nötige Grundwissen schnell mit ungewöhnlichen Kommunikations- und Umgangsweise überfordert sein. Dies muss aber keinesfalls die Regel sein, wie heute schon erste Unternehmen exemplarisch beweisen. In diesen wird der Begriff Inklusion gelebt: Du findest auch in Deutschland bereits Unternehmen, die auch oder ausschließlich Autist*innen einstellen. Je nach Unternehmen können autistische Personen ihre ganz eigenen Stärken für verschiedenste Projekte einsetzen. Eine solche Art der Integration ist leider auch heute noch sehr selten. Dass es vielen Asperger-Autist*innen schwerfällt, beruflich Fuß zu fassen, obwohl sie fachlich überaus kompetent sind, liegt laut der Leiterin des Chemnitzer Autismuszentrums, Bärbel Klapper, vor allem daran, dass es immer noch zu viel Unwissenheit und zu große Berührungsängste auf der Arbeitgeber*innenseite gibt. Das erläutert Klapper gegenüber dem ZDF.
Fazit
Autist*innen fühlen sich oft missverstanden, auch dadurch, dass in vielen Bereichen der Gesellschaft das nötige Wissen fehlt. Ihren Autismus wollen die meisten nicht "wegtherapiert" bekommen, sondern sehen ihn als Teil von ihnen selbst, der ihnen viele positive Dinge bringt. Die lebendige autistic community bemüht sich darum, ihre Bedürfnisse, Perspektiven und Vielfalt selbst einzubringen und mehr Expertise in Bezug auf das Leben und die Erfahrungen mit Autismus zu sammeln. Die Autistic Pride-Community kämpft um Sichtbarkeit und ein Bewusstsein der breiteren Bevölkerung, dass Autismus keine Krankheit ist. Beispielhafte Netzwerke für Autist*innen, Angehörige, Lehrer*innen und natürlich jeden anderen, der sich gerne intensiver informieren möchten, sind das Asperger/Autism Network, das Autistic Self Advocacy Network oder die Autism Society.
Ein offener Dialog über Autismus ist wichtig für die Gesellschaft. Viele Asperger-Autist*innen fühlen, litten und leiden heute noch unter gesellschaftlicher Stigmatisierung und Diskriminierung. Als Autist*in und/oder Angehörige*r solltest du deshalb unbedingt auch deine Rechtsansprüche prüfen, sodass du sie im Ernstfall in Anspruch nehmen kannst. Autismus Deutschland e.V. stellt ausführliche rechtliche Materialien zur Verfügung, anhand derer du dich informieren kannst.