Für Mütter und Väter mit schweren Erkrankungen: Familien-Hörbuch selbst gestalten - das steckt dahinter

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LDie gemeinnützige Organisation Familienhörbuch bietet palliativ erkrankten Müttern und Vätern die Möglichkeit, ihren Kindern ihre Lebensgeschichte als selbst gesprochenes Hörbuch zu hinterlassen.
Die gemeinnützige Organisation Familienhörbuch bietet palliativ erkrankten Müttern und Vätern die Möglichkeit, ihren Kindern ihre Lebensgeschichte als selbst gesprochenes Hörbuch zu hinterlassen.
Kind, Kopfhörer, Musik hören
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Podcasts und Hörbücher sind beliebt. Rund 42 Mio. Menschen nutzen sie laut Online-Audio-Monitor 2022 mindestens einmal pro Woche. Das Familienhörbuch produziert individuelle Audiobiografien, gesprochen von palliativ erkrankten Müttern und Vätern.

  • Was ist das Familienhörbuch?
  • Für wen ist das Familienhörbuch gedacht?
  • Wie wird es produziert?
  • Was kostet ein Familienhörbuch?

Die Familienhörbuch gGmbH ist eine gemeinnützige Organisation mit Sitz in Köln. Ein bundesweit aktives Team aus über 60 professionellen Audiobiograf*innen und Sounddesigner*innen produziert pro Jahr mittlerweile über 100 Familienhörbücher. Darin erzählen junge, unheilbar erkrankte Mütter und Väter ihr Leben, ihre Geschichte. Gesprochen mit ihrer eigenen Stimme, hinterlassen sie ihren oft noch kleinen und minderjährigen Kindern ein audiobiografisches Vermächtnis.

Für wen ist das Familienhörbuch gedacht?

Im Jahr 2017 gründete die Medizinjournalistin Judith Grümmer das Projekt Familienhörbuch. Es ist als gemeinnützig anerkannt und finanziert sich ausschließlich aus Spenden. Daher ist und bleibt die Produktion eines Familienhörbuchs für die Projektteilnehmenden (so werden die Patienten*innen intern genannt) und ihre Familien kostenfrei.

Zwei Voraussetzungen sind an die Möglichkeit geknüpft, ein Familienhörbuch aufnehmen zu können. Zum einen muss eine unheilbare Krankheit mit einer palliativen, lebensverkürzenden Diagnose vorliegen. Zum anderen müssen die potenziellen Teilnehmenden im Todesfall minderjährige Kinder hinterlassen. Denn das Familienhörbuch ist in erster Linie für Kinder gedacht, die in ihrem noch jungen Leben früh einen Elternteil verlieren.

Mehrere hundert Familienhörbücher sind auf diesem Wege schon entstanden. Geleitet von dem Gedanken, dass die Stimmen von Mutter und Vater das erste sind, das Kinder noch im Mutterleib hören, sollen mit einem Familienhörbuch diese Stimmen über den Tod des verstorbenen Elternteils hinaus weiterleben. Die Hörbücher werden auch wissenschaftlich begleitet. Nach einer bereits 2017-2019 von Prof. Dr. Radbruch und seinem Team durchgeführten und abgeschlossenen Studie an der Universitätsklinik Bonn, wird das Projekt seit Juni 2022 vom Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg und der Klinik für Palliativmedizin des Uniklinikums Heidelberg (UKHD) untersucht. Ziel dabei ist herauszufinden, wie sich die Hörbücher auf die Trauerarbeit in den betroffenen Familien auswirken.

Wie wird es produziert?

Für die Produktion eines Familienhörbuchs sind bundesweit mittlerweile über 60 Audiobiograf*innen und Sounddesigner*innen im Einsatz. Interessierte wenden sich mit ihrem Anliegen in der Regel per Mail an das Familienhörbuch. Daraufhin erhalten sie einen sog. "Basisbogen", der ausgefüllt zurückgesandt wird. Nach eingehender Prüfung der Voraussetzungen und einem positiven Entscheid beginnen die Vorplanungen des individuellen Familienhörbuches. Wenn an der Stelle der Eindruck eines vielleicht unnötig erscheinenden bürokratischen Prozesses entstehen mag, so dient dieser dazu, dass das kostenlose Angebot der Produktion eines Familienhörbuchs nicht ausgenutzt wird.   

Audiobiograf*in und Teilnehmer*in vereinbaren in Folge mehrere Termine (bis zu sechs halbe Tage), bei denen Erinnerungen, Erfahrungen und Geschichten gesammelt und aufgezeichnet werden. Die Aufzeichnungen werden in einem den Lebensumständen angemessenen Zeitaufwand realisiert und können im Krankenhaus, im Hospiz, einem Hotel oder Zuhause erfolgen. Die erfahrenen und eigens zertifizierten Audiobiograf*innen unterstützen mit empathisch gestellten Fragen, sodass vielleicht auch zunächst noch vergessene Momente und Erlebnisse wieder ans Licht gelangen. Im Rahmen der Erzählungen lesen die Teilnehmenden Geschichten vor, singen Lieder, zitieren aus früheren Briefen oder tragen Gedichte vor. Selbst eigenes Tonmaterial aus ihrem Leben (Kassettenrecorder oder z.B. Tonmaterial aus alten Ferienvideos) und ausgewählte Musikstücke können eingebracht werden. Abschließend erarbeiten die Audiobiograf*innen mit den Teilnehmenden gemeinsam eine Struktur. Denn ein Familienhörbuch dauert meist mehrere Stunden. Mithilfe eines Inhaltsverzeichnisses können so später die einzelnen Kapitel leichter ausgewählt und angesteuert werden. 

Wenn die Aufnahmen abgeschlossen sind, produzieren professionelle Sounddesigner*innen aus dem aufgezeichneten Interview- und Soundmaterial das Hörbuch. Auf diese Art und Weise entsteht ein einzigartiges Familienhörbuch, ein audiobiografisches Zeitdokument, mit individuellen und sehr persönlichen Alltags- und Familiengeschichten. Über einen datengeschützten Transferdienst findet das fertige Familienhörbuch letztlich seinen Weg zu den Teilnehmenden. Verständlicherweise verläuft die Produktion eines Familienhörbuches nicht immer reibungslos und störungsfrei. Denn oft sind die Tagesform und der generelle gesundheitliche Zustand entscheidend, ob und wie Teilnehmende in der Lage sind, ihre Geschichte erzählen zu können.   

Was kostet ein Familienhörbuch?

Als gemeinnützige Organisation finanziert sich das Familienhörbuch ausschließlich über Spenden. Somit ist die Produktion der Familienhörbücher für die Teilnehmenden, die mit einer lebensverkürzenden Diagnose konfrontiert sind, und ihre Familien, kostenfrei. Niemand muss also Eigenmittel dafür einbringen. Daher erfolgt auch eine eingehende Überprüfung der oben genannten Voraussetzungen.

Die Kosten für die komplette Produktion eines Familienhörbuchs sind abhängig von seinem Umfang, seiner Länge und dem Aufwand für das Sounddesign. Audiodesigner*innen und Sounddesigner*innen arbeiten nicht ehrenamtlich. Ihre wertvolle, zeitintensive und emotional fordernde Arbeit wird von den eingehenden Spenden entlohnt. Durchschnittlich kommen bis zu 100 Arbeitsstunden zusammen, bis das Familienhörbuch in seiner endgültigen Fassung übergeben werden kann. Das entspricht einem monetären Wert von etwa 5.000 - 6.000 Euro pro Hörbuch. 

Um die Spenden, den organisatorischen Ablauf und die Geschäftstätigkeit sowie die Öffentlichkeitsarbeit (PR, Social Media) kümmern sich bei der Familienhörbuch gGmbH neben einigen wenigen festangestellten Mitarbeiter*innen noch weitere ehrenamtliche Helfer. Darüber hinaus sind es Plattformen wie vor allem betterplace, Unternehmensspenden oder einzelne Aktionen (z.B. Trikotversteigerung), die für den Eingang regelmäßiger Spenden sorgen, um auch künftig Hörbücher produzieren zu können. Die oben erwähnte Studie von NCT und UKHD wird von der Dietmar Hopp Stiftung mit 252.000 Euro gefördert. Dadurch haben 50 Krebspatienten am NCT und UKHD die Möglichkeit, ihr persönliches Familienhörbuch zu produzieren.

Fazit - die eigene Stimme einfangen für ein Leben nach dem Tod

Mit dem Familienhörbuch haben unheilbar und lebensverkürzend kranke Mütter und Väter die Chance, mit eigener Stimme ihre eigene Lebensgeschichte und ihre Lebenserfahrungen ihren kleinen und minderjährigen Kindern zu hinterlassen. Es können die Antworten sein, auf die kleinen und großen Fragen im Leben, wie z.B. "Mama, was war dein Lieblingsfach in der Schule?", "Papa, was wolltest du als Kind werden? " oder "Mama, wie war das mit deinem ersten Liebeskummer?". Das Familienhörbuch finanziert sich ausschließlich über Spenden und ist für die Teilnehmer*innen kostenfrei. Erfahrene und zertifizierte Audiobiograf*innen nehmen die Erzählungen und Geschichten auf. Professionelle Sounddesigner*innen gestalten daraus mit modernsten Techniken des Audiojournalismus ein dramaturgisches Hörbuch. Die individuellen Familienhörbücher haben zum Ziel, nach dem Tod eines Elternteils die hinterbliebene Familie, aber in erster Linie die Kinder, bei der Trauerbewältigung zu begleiten und zu unterstützen. Dies soll durch umfangreiche Studienforschung belegt werden.  

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