Würzburger Studie zu Wettereinfluss auf Insektensterben löst kontroverse Debatte aus - "Absolut fatal"
Autor: Agentur dpa
Würzburg, Donnerstag, 28. Sept. 2023
Schottergärten, intensivierte Landwirtschaft, Pestizide: Seit Jahren warnen Forschende vor einem gewaltigen Insektensterben mit fatalen Folgen. Eine Studie bringt nun das Wetter als bedeutenden Faktor ins Spiel. Forschungskollegen warnen vor falschen Schlüssen.
Eine Häufung ungünstiger Witterungsbedingungen hatte einer Studie zufolge merklichen Einfluss auf den beobachteten Schwund fliegender Insekten in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland. Ausgewertete Wetterdaten stünden im Einklang mit dem Rückgang der Insektenmasse, berichtet ein Forschungsteam um Jörg Müller von der Universität Würzburg im Fachblatt Nature. Unter Forschenden wird die Studie sehr kontrovers diskutiert.
Die Einschätzungen gehen von "wesentlicher Erkenntnisgewinn" bis "hätte von Nature in dieser Form nicht publiziert werden sollen". Bislang stehen vor allem die intensive Landwirtschaft, aber etwa auch die Lichtverschmutzung und die zunehmende Flächenversiegelung im Verdacht, Ursachen des Insektenschwunds zu sein. Schottergärten und Kunstrasen bringen für Flora und Fauna zusätzliche Nachteile - besonders pflegeleicht sind sie oft auch nicht. Viele Kommunen schicken daher Briefe an Steingarten-Besitzer und fordern sie zum Rückbau auf. Städte und Kreise ziehen Konsequenzen, indem sie entsprechende Satzungen erlassen oder Bürger, die ihre Schottergärten entfernen, finanziell belohnen.
Fränkische Studie zu Insektensterben: Forscher macht überraschende Beobachtung
Witterungsanomalien im Zuge des Klimawandels hätten einen entscheidenden Einfluss auf die Insektenentwicklung, schlussfolgern die Forschenden um Müller in einem deutschen Kurzbericht zur aktuellen Studie. Dabei geht es zum Beispiel um zu warme, trockene Witterung während der Überwinterungszeit oder um nasse und kalte Bedingungen während der Flugzeit im Sommer.
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Einige Experten können der neuen Studie interessante Aspekte abgewinnen. Es wird aber betont, dass sehr wahrscheinlich ein Mix verschiedener Faktoren für das Insektensterben verantwortlich ist. Forschende stellen heraus, dass die intensive Landwirtschaft insbesondere die Artenvielfalt - in Abgrenzung zur Gesamtzahl an Insekten - bedroht.
2017 hatte ein Team um Caspar Hallmann von der Radboud University in Nijmegen (Niederlande) bei der Analyse von Daten von Krefelder Insektenkundlern einen dramatischen Rückgang der Masse an Fluginsekten in Teilen Deutschlands festgestellt. Demnach hatte die Gesamtmasse von 1989 bis 2016 um mehr als 75 Prozent abgenommen. Auf der Suche nach möglichen Gründen untersuchten die Wissenschaftler etwa den Einfluss von Klimafaktoren, der landwirtschaftlichen Nutzung und bestimmter Lebensraumfaktoren. Die Analyse brachte jedoch keine eindeutige Erklärung. Die neue Studie verknüpft diese Erkenntnisse sowie eigene Erhebungen der Forschenden nun mit Witterungsdaten.
Frühere Arbeit für fränkische Studie zu Insektensterben neu analysiert
Der Ökologe Müller hatte nach eigenen Angaben im Frühjahr 2022 besonders viele Insekten in Wald und Flur gesehen. Weil ihn das nach Angaben der Universität Würzburg stutzig machte, ging er der Sache mit Kollegen der TU Dresden, der TU München und der Universität Zürich nach. Mit in Bayern aufgestellten Netzfallen (Malaise-Fallen) fingen sie flugfähige Insekten, die in ihrer Gesamtheit gewogen und mit Fängen seit 1989 verglichen wurden.
"Wir fanden eine Biomasse, die im Mittel fast so hoch war wie die Maximalwerte aus der Hallmann-Studie", erklärte Müller nach Angaben der Uni Würzburg. Daraufhin analysierte das Forschungsteam die Daten aus der Hallmann-Studie neu, auch unter Berücksichtigung der Witterung. Das Team stellte fest, dass für die Jahre ab 2005 für Insekten überwiegend negative Witterungseinflüsse herrschten. Im Sommer 2021 und im Jahr 2022 sei das Wetter hingegen durchgehend günstig für Insekten gewesen. Dies erkläre die relativ hohe Insektenbiomasse von 2022, schlussfolgerten die Wissenschaftler.