Der dritte Weltkrieg wäre in Schweinfurt ausgetragen worden

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Foto: Archiv
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Der Abzug der US-Armee aus Schweinfurt und Bamberg ist das letzte Kapitel in einem Kalten Krieg, der in jedem Augenblick heiß hätte werden können. Zwischen Fulda und Schweinfurt wäre wohl der Dritte Weltkrieg ausgetragen worden. Mit der Zündung von 140 Atombomben.

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"Lucky Guys", glückliche Leutchen sind sie, die Franken, sagt der US-Offizier, der in Franken seine Koffer packt. Franken, das Grenzland zwischen Ost und West, lebte lange Zeit im Schatten der Weltgeschichte. Für die friedliche Beschaulichkeit garantierten die Soldaten, die Bamberg und Schweinfurt verlassen. Doch der Frieden war trügerisch. Das mit den "Lucky Guys" meint der Kalifornier durchaus ironisch: Die glücklichen Leutchen in Franken wären die Ersten gewesen, die den Ausbruch des Dritten Weltkriegs miterlebt hätten. Live. Aber sie hätten es keinem mehr erzählen können.

In so manchem Koffer, der von Franken in die USA reist, liegen Dokumente, top secret, streng geheim, was aber in Zeiten von Wikileaks und Snowden nicht mehr viel heißt. Die Ordner enthalten Planspiele für den Dritten Weltkrieg. Der wäre, da herrschte zwischen Nato und Warschauer Pakt seltene Einmütigkeit, in Deutschland ausgetragen worden.

Die Nato rechnete mit einer groß angelegten Bodenoffensive der Warschauer-Pakt-Truppen. Den wiederum plante man in Moskau, um einen Blitzangriff der Nato durch einen schnellen Vorstoß ins Rhein-Main-Gebiet zu unterlaufen. Die Schlüsselstelle für dieses Szenario war nicht groß: "Fulda Gap", Fulda Lücke, heißt im Militärjargon der etwa 100 Kilometer lange Korridor, besser: ein Dreieck zwischen Fulda, Schweinfurt und Coburg. Hier gibt es kaum natürliche Hindernisse für einen großen Aufmarsch.

Im Zentrum der Planspiele
Spätestens nach der Kuba-Krise und mit dem Beginn des Vietnamkrieges vor 50 Jahren wurde Franken zum Zentrum der Planspiele. Es gab für 40 Jahre, nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit, keinen Platz auf der Welt mit derart massiver Militärpräsenz. "Für jeden Menschen in Franken die Feuerkraft des Ersten Weltkriegs", sagt der Offizier aus der Third Army Division. Sicher übertrieben. Aber wohl nicht allzu sehr.

"Der Korridor ist ein Spielplatz für Panzer", erinnert sich General Creighton Abrams, der von 1960 bis 1962 der Kommandeur der 3. Division war. Die Aufgabe seiner Einheiten umschreibt er mit amerikanischem Pathos: "Wenn die Roten kommen, holen sie sich bei uns ihre erste rote Nase."

Dass der Panzerspielplatz eine dicht besiedelte Gegend ist, spielte bei den Plänen der Militärs (in Westen wie Ost) nur am Rande eine Rolle. Die Doktrin der Nato sah für den Fall eines Angriffs durch den Warschauer Pakt eine "flexible Antwort" vor. Was freundlich klingt, war der Plan für den Einsatz von rund 140 taktischen Atomwaffen, um einen konventionellen Angriff der "Roten" zu stoppen. Jeder Detonationspunkt war festgelegt, alle lagen im Fulda Gap, und die meisten in Ost-Unter- und West-Oberfranken.

Binnen weniger Stunden sollten aus Depots in Franken und Hessen atomare Sprengsätze ins Gefechtsgebiet gebracht werden: Gezündet in vorbereiteteten Schächten, abgefeuert aus Granatwerfern (Davy Crockett) und Haubitzen, hätten die Waffen einen breiten Streifen zwischen Fulda und Schweinfurt in eine verstrahlte Wüste verwandelt. Die Möglichkeit, dass dieser Plan nur eine teuflische Finte war, quasi die größtmögliche Abschreckung, ist durchaus gegeben. Für die Soldaten, die im Gap dienten, und auch die höheren Dienstgrade war das Szenario, das man so nur aus Science-Fiction-Filmen kennt, aber real.

Die damals in Deutschland stationierten Atomsprengköpfe des Typs M-388 gelten als die kleinsten jemals serienmäßig hergestellten Nuklearwaffen. Die Militärs gingen davon aus, dass bei ihrem Einsatz nur ein relativ kleines Areal für kurze Zeit einer tödlichen Strahlendosis ausgesetzt ist. Nach zwei bis drei Tagen, so die Überlegung, könnten eigene Truppen das nicht nur menschenleere, sondern keimfreie Gebiet kampflos besetzen.
Die M-388 wurde in Nevada mehrfach oberirdisch getestet ("Little Feller" I und II, 1962). Mehr als 2000 dieser Sprengköpfe hat die US-Armee nach offiziell nicht bestätigten Schätzungen fertigen lassen. Wie viele davon zeitweise auf deutschem Boden lagerten, ist unbekannt. Es gibt keine Zahlen, nur Indizien; zahlreiche Sondermunitionslager der Bundeswehr und der US-Truppen mit unterirdischen Bunkeranlagen wurden in den 60er-und 70er-Jahren nach höchsten Sicherheitsstandards ausgebaut.


Franken wird zur Mondlandschaft
Hiroshima in Franken? Bad Kissingen, Bad Neustadt, Maßbach, Münnerstadt ... sind als Nullpunkte in den Karten markiert. Mit einer Sprengkraft zwischen 0,1 und zehn Kilotonnen TNT waren die atomaren Sprengsätze zwar deutlich kleiner als etwa die Hiroshima-Bombe (12,5 Kilotonnen TNT); die geballte Vernichtungskraft von 140 nuklearen Detonationen auf so kleinem Gebiet geht aber über jede Vorstellungskraft hinaus. "Der Mond ist ein gemütlicher Platz im Vergleich zu dem, was das Zebra Paket hinterlassen hätte", sagt ein ehemaliger Soldat aus dem Gap.

Zebra Paket war der Deckname für den taktischen Atomwaffeneinsatz, über den die Behörden sowohl in Berlin als auch in Washington das Mäntelchen des Schweigens hüllen. Die Atombomben sind weg, die GIs gehen. Wird Franken damit sicherer oder weniger sicher? Die Welt ist anders als die des Kalten Krieges. Heute haben Rebellen Waffen, mit denen sie Passagierflugzeuge abschießen können. Die Lucky Guys in Franken und alle anderen friedliebenden Menschen dieser Welt können nur beten, dass die Kalten Krieger von einst im Osten wie im Westen nach dem Irrsinn des Wettrüstens so bald wie möglich auch noch die letzte Atombombe vernichten. Und sie bis dahin sicher wegschließen.