Über 20 Lehrer aus dem Raum Nürnberg haben sich mit einem Brandbrief an Kultusminister Piazolo gewandt. Sie seien "in tiefer Sorge" um das Wohlergehen der ihnen anvertrauten Kinder und Jugendlichen. Die Pädagogen fordern eine inzidenzunabhängige Schulöffnung nach Pfingsten.
Mehr als 20 Lehrkräfte verschiedener Schularten aus der Region Nürnberg haben sich in einem offenem Brief an Bayerns Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) gewandt. Darin fordern sie, dass nach den Pfingstferien sämtliche Schüler und Schülerinnen unabhängig von der Inzidenz an ihre Schulen zurückkehren dürfen, um das Schuljahr im Präsenzunterricht abzuschließen - mit entsprechenden Hygienemaßnahmen und verpflichtenden Tests. "Seit Monaten kommen Kinder und Jugendliche nicht zu ihrem Recht und wir beobachten, dass sie Schaden nehmen", heißt es in dem Schreiben.
"Wir nehmen die Pandemie sehr ernst, erleben aber die Schulen mit den Testungen im Zwei-Tage-Rhythmus als sehr kontrollierte Orte - in kaum einem anderen Betrieb wird so konsequent getestet wie in den Schulen", berichtet Adelheid Spengler, Lehrerin am Montessori-Zentrum Nürnberg in der dazugehörigen Pressemitteilung, die inFranken.de vorliegt. Der offene Brief entstand demnach im Nürnberger Raum, wo die Inzidenzwerte zwischen Weihnachten und Pfingsten so hoch gewesen seien, dass viele SchülerInnen durchgehend nur Homeschooling gehabt hätten. "Diese Situation halten wir aus pädagogischer Sicht für nicht länger hinnehmbar und verantwortbar."
Nürnberger Lehrer verlangen: Schulen sollen inzidenzunabhängig öffnen
Die knapp zwei Dutzend Lehrerinnen und Lehrer wenden sich in ihrem Brandbrief namentlich an Michael Piazolo. Gegenüber dem bayerischen Kultusminister halten sie fest, dass sie sich als Pädagogen auf der Seite der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen sähen, die keine Lobby außer Müttern, Vätern, Lehrern und Pädagogen hätten. "Unsere Gesellschaft hat sich in den vergangenen Monaten sehr darum gekümmert, das Leben der Alten und Kranken in dieser Pandemie zu schützen beziehungsweise zu retten", heißt es in dem Schreiben.
"Aus unserer Sicht haben jetzt die Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen - weil sie die Zukunft unserer Gesellschaft sind - das Recht darauf, die höchste Priorität der Aufmerksamkeit von Gesellschaft und PolitikerInnen zu bekommen. Denn sie sind nun die Schwächsten." Nach monatelangen Schließungen müsse nun die Wichtigkeit der Schulen wiederhergestellt werden. "Schulen sind Orte der Bildung, Orte der Arbeit von Kindern und Jugendlichen gemeinsam mit den Lehrkräften." Schulen seien daher wesentlicher Bestandteil des sozialen Lernens für Kinder und Jugendliche.
"Wir Lehrkräfte arbeiten gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen daran, dass sie ihre Persönlichkeit aufbauen, dass sie soziales Miteinander zunehmend selbständig gestalten können", erklären die Pädagogen. "Wir arbeiten gemeinsam daran, dass Kinder die Kulturtechniken lernen, dass sie sich Wissen aneignen, immer unter der Maßgabe, dieses auch in einen größeren Kontext einzubauen, weil dieses Wissen für die Zukunft unserer Gesellschaft von maßgeblicher Bedeutung ist."
Pädagogen: Schüler mit Homeschooling teils nicht mehr erreichbar
An Piazolo gewandt, berichten die Lehrer, dass Kinder und Jugendliche seit Monaten nicht zu ihrem Recht kämen "und wir beobachten, dass sie Schaden nehmen". Einige Kinder und Jugendliche seien mit der Methode "Homeschooling“ definitiv nicht mehr zu erreichen - "und das sind besonders diejenigen, die in schwierigen Familienverhältnissen leben, die als Geflüchtete erst kürzlich nach Deutschland gekommen sind und keine Chance haben, sich auf diese Weise hier einzuleben, die Sprache zu lernen". Zugleich seien es aber auch Kinder, die sich aufgrund ihrer Persönlichkeit eher zurückziehen.
"Für alle diese Kinder – überhaupt für alle Kinder – ist aus unserer Sicht Präsenzunterricht unabdingbar." Distanzunterricht könne nach der Erfahrung der Lehrkräfte den Präsenzunterricht nie ersetzen. "Trotzdem läuft für sehr viele Kinder und Jugendlichen seit Mitte Dezember durchgängig Homeschooling, das sind über vier Monate!", kritisieren den Pädagogen.
Die Folgen fallen laut Einschätzung der Lehrer dabei drastisch aus: "Kinder und Jugendliche werden dick, weil ihnen der Sport verwehrt wird. Zu viele brechen psychisch zusammen und landen in Therapien und Kliniken, andere treten den Rückzug an und kapseln sich ab." Soziale Kontakte seien wesentlich für ihre gesunde psychische Entwicklung, insbesondere in der Pubertät. Gleichwohl würden sie den Heranwachsenden momentan weitgehend verwehrt werden. Aus Sicht der 21 Lehrer, die den Brief an den Kultusminister unterzeichnet haben, gibt es demnach "nur eine Möglichkeit": Das "Öffnen der Schulen mit aller gebotenen Vorsicht und Sorgfalt!"