Rotes Kreuz in Nürnberg schlägt Alarm: "Kollaps des Systems nicht ausgeschlossen"

2 Min
Corona-Welle besorgt BRK in Nürnberg: Droht der Kollaps?
Das Nürnberger BRK-Personal ist wegen der aktuellen Coronawelle zusätzlich zum chronischen Notstand strapaziert und arbeitet am Limit, so der stellvertretende Rettungsdienstleiter.
Corona-Welle besorgt BRK in Nürnberg: Droht der Kollaps?
NEWS5 / Oßwald (NEWS5) Symbolbild

Das Nürnberger Bayerische Rote Kreuz (BRK) bekommt mit vielen kurzfristigen Personalausfällen die Corona-Sommerwelle hart zu spüren. Und das hat Auswirkungen auf die Patient*innen. Das BRK blickt "mit großer Sorge auf den Herbst".

  • Nürnberger BRK leidet unter akuten Personalausfällen
  • "Zwei bis drei Mitarbeitende pro Woche positiv"
  • Ausfälle von Wägen und "extrem lange Wartezeiten" als Folge
  • Stellvertretender Rettungsdienstleiter mit Appell an Politik und Bevölkerung

Die Nürnberger BRK-Mitarbeitenden "arbeiten über das vorgeschriebene Maß hinaus", um allen Einsätzen gerecht zu werden. Das sagt der stellvertretende Rettungsdienstleiter Julian Lohse im Gespräch mit inFranken.de. Die Corona-Sommerwelle führe zu zwei bis drei Ausfällen pro Woche, während das BRK ohnehin mit beständigem Personalnotstand kämpft. Für Patient*innen könne das unangenehme Folgen haben.

Nürnberger BRK an Belastungsgrenze - gleiches Problem in Kliniken führt zu Kettenreaktion

"Der Juni 2022 war unser härtester Monat. 49 von 172 hauptamtliche Mitarbeitende waren im Krankenstand", sagt Lohse. Viele würden ohne Symptome von einem positiven Test überrascht. Diese Ausfälle müsse das BRK dann kurzfristig nachbesetzen. "Das passiert zu 20 Prozent mit Ehrenamtlichen und zu 80 Prozent mit Hauptamtlichen." Durch seine Größe habe das Nürnberger BRK seit Pandemiebeginn noch alle Notfälle bedienen können. "Doch wir sind an der Belastungsgrenze", betont Lohse und erklärt den Prozess vom Notruf bis zum Einsatz: 

Alle Notrufe über die 112 nehme die Integrierte Leitstelle der Feuerwehr in Nürnberg an. "Diese alarmiert den Rettungsdienst und koordiniert die Fahrten." Dabei müsse man zwischen Notfallrettung und Krankentransport unterscheiden. Die Notfallrettung komme bei akut lebensbedrohlichen Situationen mit Blaulicht und Notarzt zum Einsatz, zum Beispiel bei einem Herzinfarkt. "Im schlimmsten Fall kann mal ein Auto wegen des Personalnotstands nicht besetzt werden. Dann kann auch ein Feuerwehrauto oder ein Krankenwagen, der für geplante Transporte vorgesehen ist, die Erstversorgung übernehmen", erklärt er.

Geplante Krankentransporte kämen etwa bei Entlassungen aus der Klinik oder Dialyseterminen zum Einsatz. Bei diesen Fahrten springe kein Feuerwehrfahrzeug ein, sondern es könne stattdessen "zu extrem langen Wartezeiten kommen. Damit verwoben ist die angespannte Personalsituation in den Kliniken. Der Krankentransport und inzwischen auch die Notfallrettung muss immer häufiger auf das Umland ausweichen, da Nürnberger Kliniken oft keine Patienten mehr aufnehmen können". Durch die längeren Transportzeiten fehlten die Wägen wiederum bei neuen Einsätzen.

Längere Wartezeiten bei Notfällen möglich

Als Konsequenz könnten die Wartezeiten auch bei Notfällen steigen. "Unser Anspruch ist, lebensbedrohliche Fälle immer zu bedienen. Wir schauen aber mit großer Besorgnis auf den Herbst", so Lohse. Er rechnet mit einer neuen Welle. "Ein Kollaps des Systems ist nicht ausgeschlossen." Das BRK könne so zeitnah nicht genügend Ersatz gewinnen.

"Es gibt bei unserem Dienst eben auch Grenzen, wie die gesetzlich vorgeschriebenen Pausen, welche immer häufiger nicht genommen werden können und somit eine Regenerationsphase für unsere Mitarbeitenden ausbleibt. Weil unser Personal permanent an der Belastungsgrenze arbeitet, drohen Ausfälle wegen Erschöpfung." Die Notfallsanitäter*innen mit einer höheren medizinischen Verantwortung als die Rettungssanitäter*innen seien besonders stark betroffen.

Nachwuchs in diesem Bereich zu finden, werde immer schwieriger. Der Beruf werde durch die hohen Anforderungen unbeliebter. "Fertig ausgebildete Notfall- und Rettungssanitäter entscheiden sich immer häufiger dagegen, in einer Großstadt langfristig beschäftigt zu sein", führt Lohse aus.

Bevölkerung kann mithelfen, Situation zu entschärfen

"Dabei ist es so erfüllend, Menschen zu helfen und eine sinnvolle Tätigkeit auszuüben. Der Beruf ist krisensicher, wie wir während der Pandemie gemerkt haben", so die Überzeugung des stellvertretenden Rettungsdienstleiters. Es gebe Möglichkeiten, den Arbeitsalltag zu erleichtern:

"Wir mussten in der Vergangenheit sehr viele Einsparungen in verschiedenen Bereichen in Kauf nehmen. Ich würde mir eine Stärkung der Finanzierung durch die Krankenkassen, der ambulanten Dienste und der mobilen Hausärzte wünschen." Diese Notwendigkeit solle von der Politik erkannt werden. Denn das BRK fahre auch häufig zu "Bagatelleinsätzen".

Lohse sei aber bewusst, dass auch die Hausärzte personell schlecht aufgestellt sind. Zum Schluss richtet er einen Appell an die Bevölkerung: "Gehen Sie umsichtig mit der Pandemie um, desinfizieren Sie die Hände und tragen Sie die vorgeschriebene Maske in den Rettungs- und Krankenwägen. Das hilft sehr, Coronainfektionen bei unserem Nürnberger BRK-Personal vorzubeugen."