Archäologen bergen derzeit Tausende Knochen von Pestopfern aus einem mittelalterlichen Nürnberger Massengrab. Der Geschäftsführer der zuständigen Grabungsfirma hat seiner Zahnärztin einige Gebisse gebracht und bringt sie bei der Begutachtung zum Staunen.
In Nürnberg birgt der größte Pestfriedhof, der in Deutschland je entdeckt wurde, unzählige Geheimnisse und Erkenntnisse über das Leben der Menschen im 17. Jahrhundert. Überreste von mehr als 2000 Toten haben Archäologen bereits freigelegt. "Wir gehen von einer weiteren dreistelligen Zahl aus", verrät Stadtarchäologin Melanie Langbein im Gespräch mit inFranken.de.
Verschiedenste Altersstufen können die Experten unter den Opfern erkennen. Aufschlüsse geben unter anderem die Gebisse, mit ihren Jahrhundertealten, teils gut erhaltenen Zähnen. Julian Decker von der Grabungsfirma In Terra Veritas hat seiner Zahnärztin, Katrin Römer aus Bamberg, einige Exponate für eine Videoveröffentlichung Mitte April vorgelegt. Gleich zu Beginn berührt das Schicksal eines etwa sechsjährigen Kindes.
"Konstant Zahnschmerzen": Untersuchung von Nürnberger Skelett löst Mitleid bei Archäologe aus
Die Zahnexpertin hält ein Gebiss in die Kamera, das teils noch Milchzähne enthält. In der Front seien Zähne im Zuge der Verwesung ausgefallen, wie sie erklärt. Ein Milchzahn sei aber schon zu Lebzeiten ausgebrochen. "Es ist ganz interessant. Wenn man da von oben reinschaut", könne man die Nervhöhle sehen, sagt sie. Hier geht die Expertin von einer "großen Karies" aus, sodass "der Zahn ausgehöhlt ist und man bis runter auf die Kanaleingänge der Nerven schauen kann".
Die Vorstellung löst in Decker sichtliches Mitgefühl aus. "Das Kind hat dann wahrscheinlich konstant Zahnschmerzen gehabt", fragt er seine Zahnärztin, die das deutlich bejaht. "Die Zahnpflege war mit Sicherheit eher einfach", sagt sie später. Decker fügt hinzu: "Es gibt schon so einfache Zahnbürsten, aber keine Zahnpasta dazu und auch nichts mit extra Fluorid." Bei der Begutachtung weiterer Gebisse macht Römer jedoch eine denkwürdige Beobachtung: "Karies sehe ich in der Praxis wirklich jeden Tag mehr", was sie auf die damals einfacheren Mahlzeiten zurückführt.
Vielfach unterscheiden sich die Zähne auch auf eine andere Art von den heutigen: "Man sieht sehr schön, wie abgerieben der ist. Das ist wirklich faszinierend", lautet ihr Kommentar zum Gebiss einer wohl 17 bis 18 Jahre alten Frau. Extremes Knirschen durch ein stressiges Leben könne laut Römer dazu führen. Decker geht eher von einer Ernährung aus, die die Zähne stark abnutzte, und erwähnt das Steinmehl. Laut einem Text von Helmut Bauckner vom Verein für Heimatgeschichte Grenzach-Wyhlen wurde dieses damals verdünnt als Medizin für Mensch und Tier verwendet, auch für Pestkranke.
Teils bessere Zahnstellungen als heute - Zahnärztin erkennt Vorteil bei mittelalterlichen Gebissen
Römer begutachtet in dem Video zudem die Weisheitszähne, Gebissgrößen und Zahnstellungen. Dabei fallen mitunter auch vorbildliche Exemplare auf. "Die Zahnstellung ist eigentlich recht schön. Der müsste auch keine Spange tragen, außer, dass er vorne eine kleine Zahnlücke hat, aber das finden ja viele Leute auch attraktiv", fällt Decker bei einem Gebiss auf. "Genau", lacht Römer. "Es ist erstaunlich. Wir haben jetzt einige Schädel durchgeguckt." Bei "ganz vielen" seien die Weisheitszähne angelegt, stünden also ordentlich in der Zahnreihe und hätten genug Platz.
"Das spricht dafür, dass es ein sehr großer Kiefer ist. Heutzutage ist es eigentlich die Seltenheit, dass die Weisheitszähne reinpassen. Meistens müssen sie entfernt werden." Decker fragt hierauf: "Das heißt, die Leute hatten im 17. Jahrhundert größere Kiefer als heute?" Römer stimmt dem zu: "Ja, das macht tatsächlich den Eindruck." Dennoch wendet sie im weiteren Verlauf ein: "Mundgeruch hatten sie wahrscheinlich alle" und gibt einen Tipp für die heutige Zahnhygiene mit Zahnpasta: "Wichtig ist, dass genug Fluorid drin ist." Das bedeute bei Erwachsenen 1200 bis 1400 ppm Fluorid.
Wie lange die Grabungsarbeiten noch dauern, ist laut Melanie Langbein derzeit noch nicht absehbar. Jetzt ginge es darum, die verbleibenden Überreste so schnell wie möglich zu bergen, damit die Bauarbeiten für ein Pflegeheim und Wohnungen für Seniorinnen und Senioren beginnen können. Im Nachgang stünden dann spannende Analysen an, die weitere Erkenntnisse über das Leben der Menschen im 17. Jahrhundert ans Licht bringen können. Weitere Nachrichten aus Nürnberg und Umgebung findest du in unserem Lokalressort.