"Käthchen" in Nürnberg - ein Psychodrama

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Noch haben sie sich nicht gefunden: Käthchen (Karen Dahmen) und Graf vom Strahl (Daniel Scholz) Fotos: Marion Bührle
Noch haben sie sich nicht gefunden: Käthchen (Karen Dahmen) und Graf vom Strahl (Daniel Scholz) Fotos: Marion Bührle
 
Louisa von Spies als Kunigunde von Thurneck
Louisa von Spies als Kunigunde von Thurneck
 
Frank Damerius als Theobald Friedeborn
Frank Damerius als Theobald Friedeborn
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Heinrich von Kleists "Käthchen von Heilbronn" wird am Nürnberger Staatstheater eine psychologische Studie. Vom romantischen Ritterschauspiel bleibt da nicht viel übrig.

Das "Käthchen" am Staatstheater wirft wieder einmal die Gretchenfrage heutigen Theaterschaffens auf: Wie hältst du's mit alten Texten? Nun ist Heinrich von Kleists "Käthchen von Heilbronn" so alt eigentlich gar nicht, gut 200 Jahre, und wird gerne und recht häufig gespielt.

Schlägt man den Dramentext auf, wimmelt es nur so von wildromantischen Schauplätzen wie "Gebirg und Wald. Eine Einsiedelei" (zu Beginn des dritten Akts), Feme- und Reichsgericht treten zusammen, Burgen brennen, Intrigen dräuen, das Personal heißt Ritter Flammberg, Eginhardt von der Wart oder Kunigunde von Thurneck - Trivialromantik, die dem 1810 uraufgeführten Drama bis heute einen festen Platz auf den Freilichtbühnen des Landes sichert.
Doch wie könnte eine intellektuellere Annäherung an diese recht wüste Mischung aus schauerlichem Ritter- und psychologisch abgründigem Seelendrama aussehen?

Bettina Bruinier, die an diversen Häusern schon eine Menge ambitionierter Projekte gestemmt hat, inszeniert am Nürnberger Staatsschauspiel ein Käthchen fürs 21. Jahrhundert, natürlich so gut wie ohne Romantik-Brimborium. Lediglich einige Requisiten wie Helme oder mächtige Schwerter sind auf der recht kahlen Bühne (Mareile Krettek) übriggeblieben, die Figuren zeitgemäß gekleidet (Kostüme von Teresa Vergho). Der Text ist, wie könnte es anders sein, stark eingekürzt, das Personal reduziert.

Das ist alles sinnvoll und anders eigentlich gar nicht anders denkbar. Aufgabe einer zeitgenössischen Regie ist es, eine stimmige Interpretation aus dem Kleist'schen Wust herauszuschälen, denn die verwickelte Handlung nachzuverfolgen, schafft auf Anhieb eh kein Zuschauer. Der hermeneutische Schlüssel wird gleich zu Beginn überreicht, wenn ein Popsong ertönt mit dem Refrain "Love, love, love". Die Liebe eine Himmelsmacht, ein "betörender Wahn" (Kleist) oder eine "Ersatzreligion" (Programmheft)?

Vielleicht alles gleichzeitig, unterstellt diese Inszenierung. Das einstige Skandalon, dass Käthchen eine uneheliche Tochter des Kaisers und ihr vermeintlicher Vater ein Hahnrei ist, spielt heute natürlich keine Rolle mehr. Eher die Zumutungen, die man der Liebe wegen auf sich nimmt. So ist denn die Nürnberger Kunigunde (Louisa von Spies) ein armes Luder, das der Schönheit wegen im wörtlichen Sinne blutet. Überflüssigerweise eingehämmert wird das dem Publikum noch durch eine medizinische Vorlesung über Lifting.

Das Käthchen Karen Dahmens ist ein eher keckes, punkiges. Leider artikuliert die Schauspielerin nicht allzu klar, wie überhaupt elektronische Stimm-Prothesen alte Theatertugenden zunehmend verschwinden lassen. Muss ja auch mit der Musik Kriton Klinger-Ioannides' abgemischt werden. Daniel Scholz spielt seinen Grafen vom Strahl kraftvoll und machohaft und schafft auch einen glaubwürdigen Wandel zum psychisch fragilen Depressiven, Frank Damerius (Friedeborn) agiert solide wie immer, während die Kunigunde Louisa von Spies' die Ambivalenzen des Stücks vielleicht am besten widerspiegelt. Das Bühnenbild von Mareile Krettek mit wenigen wuchtigen Elementen und einem riesigen Spiegel - so ein romantisches Grundmotiv zitierend - ist schlüssig und überraschend, der Brand der Burg mit Strohregen und Nebelmaschinen einfallsreich. Dennoch ermüdet das gänzlich ironiefrei inszenierte Drama dann doch. Käthchen als psychopathologisches Gefühls-Monster, das wäre es gewesen. Oder die Liebe als Reflex des Spätfeudalismus. So aber fühlt man sich gefangen im Labyrinth der Handlung und Emotionen. Auf einer Felsenbühne ist das Käthchen besser aufgehoben, wenn's dann auch trivialer zuginge. Das Nürnberger Premierenpublikum jedoch belohnte Ensemble und Regie mit freundlichem Beifall.

Weitere Vorstellungen 17., 19., 21., 26., 30. 12. und 2015 bis 1. Juli Karten unter 0180/5231600 oder info@staatstheater.nuernberg.de Dauerca. zwei Stunden