Für Kirchenrechtler Thomas Schüller von der Universität Münster sind die Vorgänge bei den Christusträgern kein Einzelfall: "Es zeigt, dass katholisch wie evangelisch in besonderen profilierten geistlichen Gemeinschaften mit Führungsgestalten die hohe Gefahr des geistlichen und sexuellen Missbrauchs besteht." Dass man nun die Öffentlichkeit derart offensiv suche, sei allerdings "positiv zu würdigen".
Kirchenrechtler kritisiert Führungskultur
Im Kloster Triefenstein hat die Bruderschaft seit 1986 ihre Heimat. Sie ist eine ordensähnliche, ökumenische Kommunität innerhalb der evangelischen Kirche, aber nicht Teil der Landeskirche. Derzeit leben nach eigenen Angaben zwölf Brüder sowie weitere Christusträger in dem Kloster. Das Haus steht auch Auswärtigen offen, etwa für Seminare oder Freizeiten. Bis zu 8000 Übernachtungen sind es jährlich.
Der Mitgründer und seit der Gründung 1961 erste Prior der Kommunität war 1996 abgesetzt worden, nachdem seine mutmaßlichen Übergriffe bekannt wurden. An die Öffentlichkeit ging die Bruderschaft aber nicht. "Schon damals hätten wir die Polizei und eine unabhängige Beratungsstelle einschalten sollen. Beides ist nicht geschehen. Heute wissen wir, das war ein Fehler", gibt die Leitung unumwunden in dem Brief zu. 2018 starb der Verdächtige. Die Staatsanwaltschaft Würzburg ermittelt daher heute nicht gegen ihn, wie ein Sprecher erklärt.
Insgesamt sollen mindestens vier Brüder Täter gewesen sein, wie die externe Kommission namens "Spurgruppe" herausgefunden hat. "Uns wurde sowohl von sexuellen Übergriffen innerhalb der Bruderschaft als auch gegenüber anderen Personen berichtet", heißt es in dem Bericht, der im Sommer der Bruderschaft vorgelegt wurde. "In der Mehrzahl handelte es sich, soweit uns bekannt ist, um homosexuelle Handlungen zwischen Männern." Eines der Opfer soll damals noch minderjährig gewesen sein. Zudem soll es 1987 und 1991 sexuelle Übergriffe auf zwei Mädchen in der Schweiz gegeben haben, die nicht zur Gemeinschaft gehörten.
Missbrauchsopfer nicht nur Mitglieder der Bruderschaft
Ob mögliche Taten der anderen drei Verdächtigen mittlerweile verjährt sind, untersucht ebenfalls die Staatsanwaltschaft. "Ich gehe aber davon aus", sagt ein Behördensprecher kürzlich.
Diese drei Verdächtigen gehören nicht mehr zur Bruderschaft, einige der mutmaßlichen Opfer dagegen weiterhin. In zwei Fällen war nach Angaben der Gemeinschaft die Staatsanwaltschaft früher bereits tätig, stellte aber die Verfahren ein.
Im Frühjahr 2021 sei beschlossen worden, das Thema aufzuarbeiten, erzählt Hauter. Die "Spurgruppe" (zwei Therapeuten, eine Juristin und ein Theologe) habe mit 15 direkt oder indirekt Betroffenen gesprochen und Unterlagen ausgewertet. Demnach sollen sich viele Übergriffe am früheren Sitz der Gemeinschaft im hessischen Bensheim-Auerbach und an anderen Orten, wo es Niederlassungen gibt, zugetragen haben.
Prävention soll Missbrauch verhindern
Im Oktober nun informierte die Bruderschaft die Öffentlichkeit. "Wir haben sehr lange gebraucht, öffentlich zu sprechen", erzählt Hauter, "Worte für das Unsagbare zu finden und es geistlich einzuordnen."
Seit 2010 gebe es eine Ombudsstelle, an die sich Opfer und indirekt Betroffene wenden könnten. "Außerdem gab sich die Bruderschaft eine Präventionsordnung und formulierte eine Selbstverpflichtung, die alle Brüder unterschrieben haben", erklärt Hauter. Darin sei geregelt, dass sämtliche Fälle von Grenzverletzung und sexualisierter Gewalt im Rahmen der Arbeit der Christusträger von der Leitung sehr ernst genommen würden. Unabhängige Fachleute würden dann hinzugezogen, je nach Schwere auch Polizei und Staatsanwaltschaft. Inwieweit die Opfer entschädigt werden können, soll individuell geklärt werden.
Kirchenrechtler Schüller sieht in dem begonnenen Aufarbeitungsprozess erst einen Anfang. Es bleibe abzuwarten, ob die Bruderschaft bereit sein werde, Opfer wirklich sachgerecht zu entschädigen, "das heißt nicht nur Almosen zu verteilen". "Es steht dieser Gemeinschaft also noch ein langer Weg bevor, bevor man ihr irgendwann wieder als vertrauenswürdige christliche Gemeinschaft wird vertrauen können."
Ursprungsmeldung vom 20.10.2023, 11.35 Uhr: "Kaum zu ertragen": Geistlicher soll in Franken seine Klosterbrüder missbraucht haben
Nachdem eine evangelische Bruderschaft aus Unterfranken in einem Bericht Missbrauch in den eigenen Reihen öffentlich gemacht hatte, prüft die Staatsanwaltschaft Würzburg nun, ob noch verfolgbare Straftaten vorliegen. Wie die Staatsanwaltschaft auf Anfrage mitteilte, gibt es ein Vorermittlungsverfahren.
Die Christusträger Bruderschaft mit Sitz im Kloster Triefenstein im Landkreis Main-Spessart hatte Anfang Oktober einen Bericht veröffentlicht, laut dem eine Führungsperson viele Jahre andere Brüder sexuell missbraucht hat. Der damalige erste Prior soll sich zwischen 1963 und 1995 an mindestens acht Brüdern vergangen haben, darunter mindestens einem noch nicht Volljährigen.
Missbrauch bei Bruderschaft in Tiefenstein? Das ist bisher bekannt
Der mutmaßliche Täter ist bereits 2018 verstorben. Es steht aber zudem der Verdacht auf Missbrauchshandlungen von drei weiteren Personen im Raum. In einem offenen Brief der Bruderschaft heißt es zudem über die Missbrauchsfälle und die Rolle des damaligen Priors: "Wir Brüder haben darüber all die Jahre nur sehr selten und im kleinen Kreis gesprochen. Die Dimension seiner Taten haben wir erst jetzt in ihrem ganzen Umfang kennengelernt."
Die neuen Erkenntnisse, die mit dem Bericht öffentlich gemacht wurden, seien "für uns Brüder kaum zu ertragen". Über den beschuldigten Geistlichen heißt es zudem, er habe zu Lebzeiten durch seinen autoritären Führungsstil "ein Klima der Angst" geschaffen und sich eine Position innerhalb der Bruderschaft erarbeitet, "die keinen Widerspruch erlaubte".
Die Bruderschaft ist eine ordensähnliche Kommunität innerhalb der evangelischen Kirche, aber nicht Teil der Landeskirche. Derzeit leben nach eigenen Angaben 13 Brüder sowie weitere Christusträger in Triefenstein. Das Kloster steht auch Auswärtigen offen, etwa für Seminare oder Familienfreizeiten.