Monika Stich pilgert gerade zum 25. Mal nach Gößweinstein. Ein Gespräch beim Packen über das, was mit muss, über Fußpflege und wertvolle Momente.
Sie hat die falsche Ausfahrt genommen. Der Vater lag nach seinem schweren Unfall im Klinikum Bayreuth im Koma, und sie war mit dem Auto auf dem Weg dorthin gen Hollfeld abgebogen. Als sie es merkte, war ihr schnell klar, dass das ein guter Umweg war. Die Hollfelder Kirche kannte Monika Stich von der Gößweinstein-Wallfahrt. Erst vor wenigen Wochen war sie dort gemeinsam mit ihrem Vater, der seit ihrer Kindheit schon Vorbeter auf dem Gebetsgang war. Sie ging allein in das Gotteshaus und betete für dessen Überleben. Wenn es so sein sollte, dann würde sie fortan immer den Pilgerweg nach Gößweinstein mitgehen. Ärzte hatten der Familie zu dieser Zeit keine Hoffnung gemacht, aber das, was Monika Stich heute ihr persönliches Wunder nennt, geschah: Ihr Vater Georg Meißner überlebte. Das war 1998.
Seither ist der Termin für die Wallfahrt in ihrem Jahreskalender gesetzt, denn: "Wir hatten einen Deal".
An diesem Samstag, gegen 5 Uhr, hat sich Monika Stich aus Bad Staffelstein zu ihrer 25. Wallfahrt aufgemacht. Aus familiärer Tradition startet sie in der Lichtenfelser Stadtpfarrkirche. Am Freitag erlaubte sie der Redaktion, ihr beim Packen zuzuschauen. Das erste Augenmerk galt dem Schuhwerk. Welche Plage Blasen an den Füßen sein können, weiß die 41-Jährige. Aber auf dem Weg nach oder von Gößweinstein habe sie noch nie eine gehabt. Ihre Methode der Vorbeugung lautet: Die Füße immer gut pflegen, aber vier Wochen vor dem Abmarsch damit aufhören. Keine Creme, nichts. Ihr Lieblingsschuhwerk sind Trekking-Sandalen. Wenn die Witterung es nicht erlaubt, welche zu tragen, dann nimmt sie die sportlichen Schnürer, die sie auf fachlichen Rat extra eine Nummer größer gekauft hat.
Darin vier Tage lang die selben Socken zu tragen, entspricht der Empfehlung eines alten Wallfahrers. "Ich neige nicht zu Fußgeruch", merkt sie lächelnd an, und wenn es so wäre, müsse man das wohl ignorieren. Den Geruch innerhalb der Pilgergruppe beschreibt sie aus ihrer Erinnerung heraus als eine angenehme Mischung aus Sonnenöl und Franzbranntwein.
Angezogen wird sich im Zwiebel-Look, so dass man je nach Wetter flexibel ist. Gute Funktionskleidung zahle sich aus, findet die Pilgerin; man bleibt angenehm trocken. Kleidung zum Wechseln, ein Schlafanzug und ein Fön kommen in die Reisetasche, die vom Begleitfahrzeug zur Übernachtungsstätte, einem Gasthaus, gebracht wird. Auf der Tour hat Monika Stich nur ihren pinkfarbenen Rucksack bei sich, ein Geschenk von Freunden.
Darin verstaut sie Gebetbüchlein, Regencape, Ersatz- und Sonnenbrille, Bonbons und Traubenzucker, Magnesiumpulver, eine Halbliterflasche Wasser, Sonnencreme, Lippenfettstift, etwas Bargeld und - ja - einen kleinen Flachmann. Was drinnen ist? "Birne aus Schönbrunn", verrät sie mit breitem Grinsen. "Für Magen, Kreislauf oder vielleicht, weil man es bis zur Pulvermühle geschafft hat..." Notfalls hätte sie auch eine Schmerztablette zur Hand. Auch das Handy ist dabei, aber auf lautlos gestellt. "Alle, die mir wichtig sind, wissen, wo ich in diesen Tagen bin", sagt Monika Stich.
25-mal Lichtenfels-Gößweinstein, das sind 25-mal 53 Kilometer. Hin und zurück. Das ist in der Summe weiter als bis zum berühmten Pilgerziel Santiago de Compostela in Spanien zu Fuß. Doch solche Vergleiche stellt Monika Stich nicht an.
Es gebe viele, die den Weg sehr viel öfter als sie gegangen seien, und keine Wallfahrt habe der anderen geglichen. Als Kind hatte einmal ein Eis für die letzten Kilometer motiviert, wie sie erzählt. Irgendwo gebe es immer einen Punkt, wo man meine, es geht nicht mehr. Sonne, Regen, Kälte, Wärme. Sorgen und Fröhlichkeit, gute Gespräche oder Für-sich-Sein, immer weitergehen - Facetten eines ganzen Lebens an vier Tagen. Vor allem aber verbindet Monika Stich mit dieser Pilgerstrecke wertvolle Erinnerungen. Als ihr Vater wieder dabei sein konnte, da stand er im Rollstuhl oben in Gößweinstein und strahlte seine Tochter beim Einzug in die Basilika an. Die Mutter war auch da.
"Das war ein großer Moment."
Über die Gößweinstein-Wallfahrt
Am Wochenende nach Pfingsten machen sich an die 200 Gläubige aus den Lichtenfelser Pfarreien mit Teilnehmern aus dem ganzen Landkreis auf den Weg zur Basilika Gößweinstein. Dieser Bittgang wurde 1684 erstmals erwähnt. Auch aus Mistelfeld, Bad Staffelstein und Uetzing pilgern Männer, Frauen, Jugendliche und Kinder zu dem Dreifaltigkeitswallfahrtsort in die Fränkische Schweiz.