Regens-Wagner-Hauptsitz will mit Pragmatismus durch die Zeit

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Wenn man nicht besucht werden kann, muss das noch nicht das Ende der guten Laune sein, wie die Wohngruppen Ruth und Irene hier beim gemeinsamen Frühstück demonstrieren. Fotos: Markus Häggberg
Wenn man nicht besucht werden kann, muss das noch nicht das Ende der guten Laune sein, wie die Wohngruppen Ruth und Irene hier beim gemeinsamen Frühstück demonstrieren. Fotos: Markus Häggberg
Im Kampf gegen die Übertragung des Coronavirus darf sich die Leiterin Sabine Schubert auf den Magazinbestand verlassen (rechts). Schutzartikel sind vorhanden, werden mitunter selbst hergestellt.
Im Kampf gegen die Übertragung des Coronavirus darf sich die Leiterin Sabine Schubert auf den Magazinbestand verlassen (rechts). Schutzartikel sind vorhanden, werden mitunter selbst hergestellt.
 
In der Regens-Wagner-Einrichtung herrscht striktes Besuchsverbot.
In der Regens-Wagner-Einrichtung herrscht striktes Besuchsverbot.
 

Im Burgkunstadter Regens-Wagner-Hauptsitz versucht man, auch mit neuen Ansätzen den Betrieb am Laufen zu halten.

Es ist Freitag, es ist trübe draußen und es ist 8 Uhr. Durch das Fenster im ersten Stock des Burgkunstadter Regens-Wagner-Hauptsitzes ist das wenige Meter entfernte Rathaus zu sehen. Doch für das aus dem 17. Jahrhundert stammende Zierfachwerk hat man um diese Uhrzeit keinen Blick. 8 Uhr bedeutet Krisenstabsitzung, täglich von Montag bis Freitag und bei Bedarf auch am Wochenende.

Es geht darum, im Spiegel täglich neuer Meldungen den Betrieb am Laufen zu halten. "Hier muss normales Leben gestaltet werden", sagt Sabine Schubert, die Gesamtleiterin der Einrichtung, die sich um behinderte Menschen kümmert. Doch was ist dieser Tage schon normal? Das Coronavirus brachte hier Veränderungen mit sich, neue Aufgaben, neue Abläufe. Einblicke in Neuartigkeiten und sensible Bereiche.

Der fünfköpfige Krisenstab

Da wäre die Sache mit dem Mundschutz. Für die meisten Menschen stellt es kein Problem dar, so einen zu tragen. Man gewöhnt sich dran, man erkennt seine Familie, Freunde, Kollegen auch trotz eines solchen. Und doch ist das wohl bald verbindliche Tragen ein Thema jetzt kurz nach 8 Uhr. Eben weil es hier in der Einrichtung Menschen gibt, die eine autistische Behinderung haben und somit eine andere Art von Wahrnehmung. "Eventuell reichen da die Augen allein zum Erkennen (der sonst bekannten Personen) nicht mehr aus", erklärt Melanie Becker einen zu bedenkenden Umstand. Auch sie gehört zum heutigen fünfköpfigen Krisenstab und ist vom psychologischen Fachdienst im Kinder- und Jugendbereich.

Das Mehr an Sicherheit, was das Tragen eines Schutzes mit sich brächte, würde für manche Bewohner hier aber auch ein Mehr an Verunsicherung bedeuten. Oder anders und aus Sicht eines autistischen Behinderten ausgedrückt: Wer ist dieser Mensch hinter dem Mundschutz und warum blickt er nicht freundlich? Die Frau, die zwei Meter von Becker entfernt sitzt, ist mit diesen Dingen in besonderem Maße vertraut.

Karolin Zankl hat hier im Haus Zuständigkeiten in der Förderstätte für Menschen mit Autismus. Den Sinn und Zweck des Tragens eines Schutzes, so weiß sie, muss man hier geistig behinderten Menschen "ganz anders verkaufen". Vielleicht, so tauschen sich Becker und Zankl kurz aus, sei es sinnvoll, einen Smiley auf die Mundschutze zu malen, um dem Träger einen freundlichen Gesamteindruck zu geben. Man wird sehen. Doch der Sinn und Zweck eines Mundschutztragens muss auch sprachlich an die geistig behinderten Bewohner vermittelt werden. "Wir müssen das übersetzen in leichte Sprache", erklärt Sabine Schubert. Vor allem aber zählt, gerade bei Kindern, dass man selbst Vorbild ist, denn Kinder ahmen nach. Das gilt auch für das Abstandhalten zueinander. Aber es gibt auch pflegebedürftige Personen, zu denen sich Abstand verbietet.

Seit Bekanntwerden der Infektionsfälle beim Personal von Regens Wagner ist hier vieles anders. Erst recht für die Gruppe Florian. Sie ist, das brachte der Kontakt mit einem infizierten Mitarbeiter mit sich, jetzt in amtlich verordneter Quarantäne und selbst auf Infizierung getestet worden. Ein Ergebnis liegt für die sieben betroffenen Kinder und Jugendliche noch nicht vor. Aber gerade ihnen kann man nur ganz schwer erklären, was um sie herum gerade geschieht. Wenn die Gruppe aber merkt, dass die Mitarbeiter ruhig bleiben, dann ist das wichtig für ihre Befindlichkeit, so heißt es. Es sind traumavorbelastete Bewohner, für die eine Quarantäne eine besondere Härte darstellt. Aber darum will man der Gruppe auch eine Entlastung und eine Freude bieten.

Denn es gibt hier auf dem Gelände diesen Garten, in dem sich Wippen, Schaukeln, Sitzbänke und Liegen, ein Sportplatz, ein Trampolin und mehr befinden. Er wird von den Burgkunstadtern seit je her aufgesucht und sie flanieren hier durch. Damit ist es jetzt erst einmal vorbei, denn er soll für die Dauer von zwei Wochen ausschließlich den Florianskindern vorbehalten sein. Das ist etwas völlig Neues für die Burgkunstadter, aber eine Übergangslösung zum Beine vertreten für die Gruppe Florian.

Besucherstopp für alle

Geschickte Übergangslösungen gibt es einige hier. So wie der Besucherstopp für alle 30 Gruppen. Jede lebt jetzt gut betreut quasi für sich, um im Falle eines Falles die Infektionskette so kurz wie möglich zu halten. Doch Übergangslösungen gibt es auch in der Produktion. Da wäre z. B. die Sache mit der St.-Joseph-Werkstätte. Dort finden im Normalfall vorrangig Montagearbeiten für die Industrie statt, ausgeführt von zu Betreuenden. Damit hat es sich jetzt erst einmal, denn seit vergangener Woche hat man die Freigabe des Landratsamts und das Wohlwollen der Gewerbeaufsicht, ein Produkt auf den Markt zu bringen, das in diesen Corona-Zeiten Ansteckungen verhindern soll: das Nase-Mund-Tuch.

Der mehr dazu sagen kann, ist Hartmut Springfeld, Geschäftsführer der Werkstätte. "Wir haben eine Näherei im Haus", erklärt der Mann, aber die sei "eher so eine Zwei-, Dreimanngeschichte". Jetzt aber möchte man aufstocken, auf "zehn plus x Mitarbeiter". Es gilt einen Markt zu bedienen, Auslastung zu schaffen. Immerhin sei man auch an neuen Nähmaschinen dran, die im industriellen Bereich eingesetzt werden. Von 400 Nase-Mund-Tücher pro Tag auf 1000 soll die Produktion in den nächsten Tagen gesteigert werden. Für die Fertigung hat man sich Tipps und Know-how einer Werkstatt in Bremen eingeholt. Die wiederum fertige Nase-Mund-Tücher gar für Krankenhäuser. Aber diejenigen, die nun zu schneidern haben, gehören zum üblichen Regens-Wagner-Personal, denn von den mehreren Hundert Mitarbeitern mit Behinderung darf wegen der Quarantänemaßnahmen keiner die Werkstätte betreten. Und so hat die Medaille zwei Seiten: Einerseits liegen schon Bestellungen aus Bad Staffelstein, aus dem Landkreis, von diversen Sozialstationen und auch Privatpersonen vor und andererseits, das macht Springfeld klar, fehlt den Betreuten jetzt etwas Sinnstiftendes. "Denen fällt die Decke auf den Kopf, die suchen Tagesstruktur."

Die Personaldecke ist durch das Virus und die um diese Zeit ohnehin üblichen Grippefälle etwas dünner geworden, erklärt Schubert. Das verlangt nach Lösungen. "Wir haben viele Mitarbeiter, die sich auf neue Arbeitsfelder einlassen mussten", erklärt sie zu dem, was man Fortbildung durch Pragmatismus nennen könnte. Manch ein Mitarbeiter habe auf diesem Wege bessere Einblicke in das Tun seiner auf anderem Feld tätigen Kollegen erhalten. All das trägt dazu bei, den Auftrag zur Hilfe zu erfüllen. In manchen Fällen geben aber auch die Bewohner der Situation einen neuen Anstrich. Oder zumindest unter Anleitung ihren Flurgängen.

Skypen mit Angehörigen

Und falls wegen des Besucherstopps die Sehnsucht nach der Familie doch zu groß wird, so stehen jetzt Schulräume bereit, um dort den Bewohnern das Skypen mit Angehörigen jederzeit zu ermöglichen. Der Schlüssel dazu liegt deponiert an der Pforte, weiß Tobias Fürst. Er ist Schulleiter bei Regens Wagner und verantwortlich für 43 Schüler zwischen 1. Klasse und Berufsschulpflicht. Da Unterricht gerade nicht konventionell gegeben werden darf, gehen die Lehrkräfte nun in die Wohngruppen. Rührendes gibt es auch. So traurig wie erheiternd.

Weil es heißt, Covid-19 gefährde eher ältere Menschen, kommen die Bewohner ins Grübeln. "Ist meine Mama alt?", so eine ihrer Fragen. Besänftigt man dann verneinend, so erzählt die für mehrere Erwachsenengruppen zuständige Caroline Fischer, bekommt man wieder eine sorgenvolle Frage gestellt: "Dann ist meine Oma alt?" Aber es gibt eine weitere Sorge, die von Bewohnern auch schon geäußert wurde, gerade jetzt vor Ostern: Darf der Osterhase trotz Besucherstopp kommen? Auf ihrem Weg durch den Park kommen Caroline Fischer und Melanie Becker jedenfalls darin überein, dass die gegenwärtige Situation auch Augen für Neues öffnet. So wie für das Trampolin nahe dem Park, zu dem Becker einfällt, dass sie all die Jahre noch nie darauf gesprungen ist. Jetzt tut sie es. Auch das ist jetzt eine neue Erfahrung. Ein Jungfernflug, wenn man so will.