Die Karatekas der Turnerschaft Lichtenfels spüren die Auswirkungen der gesellschaftlichen Verunsicherung. Die Nachfrage ist deutlich gestiegen. Kompaktkurse in wenigen Stunden wollen sie aber nicht anbieten.
"Heian Shodan" hallt es durch die Turnhalle des Meranier-Gymnasiums. Was für den Laien einfach nur japanisch klingt, ist für die Karatekas der Tunrerschaft (TS) Lichtenfels gängiger Alltag. Die Trainierenden in ihren weißen Anzügen wissen nun, welche Kampfform als nächstes kommt und starten dynamisch ihren Angriff. Freitags ist vor allem der Nachwuchs an der Reihe. Mit Ernst sind sie bei der Sache, denn für die meisten der Etablierten steht bald eine Gürtelprüfung an. Einige sind aber erst in den vergangenen Wochen dazugestoßen. Sie wollen ihre persönliche Sicherheit in die eigenen Fäuste und Füße legen.
Sicherheit langfristiger Prozess
"Die Nachfrage hat seit Silvester deutlich zugenommen", berichtet Thorsten Schmidt, einer von drei ausgebildeten Trainern bei der TS Lichtenfels, über das wachsende Interesse an der fernöstlichen Kampfkunst.
"Viele Menschen fühlen sich aufgrund der aktuellen Ereignisse verunsichert und wollen nun etwas tun. Oft wurde nach Kompaktkursen am Wochenende gefragt." Der Karatemeister erinnert sich an so einige Anrufe potenzieller Neulinge in den letzten Tagen.
Lange Übung notwendig
Grundsätzlich freut das den Inhaber des schwarzen Gürtels natürlich. Wer Karate aber in nur wenigen Wochen zur Selbstverteidigung lernen wollte, den musste er enttäuschen. Kurzfristig - so die Meinung bei der TS Lichtenfels - sei Karate keine Lösung, die zu höherer Sicherheit führt.
"Nur durch ständige Übung bekommt man die notwendige Erfahrung, um in einer brenzligen Situation auch richtig zu reagieren", begründet Thorsten Schmidt. Nach einigen Trainingseinheiten davon auszugehen, sich wirkungsvoll verteidigen zu können, sei Utopie.
Der 47-Jährige gibt zu bedenken, dass die Szenerie während eines Überfalls höchstwahrscheinlich eine völlig andere ist als die Übungsumgebung in der Turnhalle. "So etwas geschieht eher nachts, überraschend und eventuell nach zwei, drei Gläsern Wein bei Müdigkeit auf dem Heimweg." Um sich selbst dann noch wirksam verteidigen zu können, müsste man die Bewegungen nachhaltig verinnerlicht haben. "Karate kann zu höherer Eigensicherung führen. Aber nur nach langem Training", sagt Schmidt, der auf 25 Jahre persönliche Erfahrung zurückblicken kann und seit 15 Jahren Trainer ist.
Seit 1979 in Lichtenfels
Der Ursprung der Kampfkunst liegt auf den japanischen Okinawa-Inseln. Die einfachen Leute verteidigten sich damit gegen bewaffnete Samurai. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam Karate auch nach Europa. Bei der TS Lichtenfels hat es eine lange Tradition: Schon seit 1979 strebt man in der Korbstadt nach den farblich unterschiedlichen Gürteln, die für die Stufe des Trägers stehen. Aktuell hat die Abteilung rund 70 Aktive.
Doch bei Karate, das betont Thorsten Schmidt, gehe es nicht nur darum, der Stärkere zu sein. "Wichtiger als einen Kampf zu gewinnen, ist es, ihn nicht zu verlieren." Die Kampfkunst sei, in der in Lichtenfels trainierten realistischen Ausprägung, mehr Lebensgefühl als Sport.
"Wir bewegen uns auf eine gesunde Art und stärken damit auch das Selbstbewusstsein", spricht Schmidt einen wichtigen Part der Kampfkunst in Bezug auf die derzeitige Sicherheitsdebatte an. Langfristig gesehen, so der Besitzer des C-Trainerscheins Breitensport, könne Karate vor allem der Vorbeugung von Konflikten dienen und trage damit zur Eigensicherung bei. Schmidt: "Professionelle Karatekas gehen mit aufrechtem Gang durchs Leben. Für Überfälle werden aber meist Opfer gesucht, keine Gegner."