Wöchentlich organisiert das Heilpädagogische Zentrum in Lichtenfels eine Lama-Therapie.
Ihr Körper reckt sich in die Höhe, ihre Hände verkrampfen. Nadine würde jetzt am liebsten aufspringen. Doch das kann sie nicht. Nadine sitzt im Rollstuhl, ist geistig behindert. Doch in diesem Moment ist alles vergessen. Nadine ist einfach glücklich. Der Grund ist nicht etwa ein schöner Tag mit ihren Betreuern oder ein Besuch der Familie. Zwei Herren stehen auf der Weide - um die 1,20 Meter. Mit ihren großen Augen blicken sie umher, ab und an geben sie ein grunzendes Summen von sich: Alpaka Casper und Huarizo (Lama-Alpaka-Mix) Mokka.
Ein gutes Sozialverhalten
"Die Tiere haben ein besseres Sozialverhalten als Hunde oder Pferde. Lamas können sich in den Menschen einfühlen. Sie sind sehr sensibel und wissen, worauf es ankommt", erklärt Heilerziehungspfleger Andreas Fröba, warum sich die Lama-Therapie bei den Bewohnern des Heilpädagogischen Zentrums in Lichtenfels anbietet.
17 Bewohner aus zwei Fördergruppen, die nicht in der Werkstatt arbeiten können, treffen als Alternative zur Arbeit wöchentlich auf die Tiere. Sie streicheln die Alpakas und Lamas, füttern sie, gehen mit ihnen spazieren.
"Die Begegnung steht im Vordergrund", sagt der 25-jährige Andreas Fröba. In Neustadt bei Coburg betreibt er eine Heilweide, wo er für heilpädagogische und therapeutische Zwecke ausgebildete Tiere wie Pferde und Anden-Tiere hält. Nicht nur bei Menschen mit Behinderungen bietet sich ein Besuch an - auch Suchterkrankte, traumatisierte Flüchtlinge und Jugendliche profitieren vom Kontakt. "Wir vermitteln unseren Bewohnern dadurch eine Tagesstruktur", sagt Fördergruppenleiter Tilo Stadelmann. Er hat das Projekt ins Leben gerufen, nachdem bei einer Jubiläumsfeier das Stichwort "Pony-Reiten" fiel. "Ich finde es einfach klasse, dass die Bewohner Körperkontakt suchen und diese Anbahnung funktioniert." Aber die Tiere helfen auch an anderer Stelle: Ihr Summen, ein grunzendes Geräusch, entspannt den Körper der Bewohner, erklärt Andreas Fröba.
Und das ist nicht selbstverständlich, bestätigt Tilo Stadelmann, da "eine Bewohnerin oft aggressiv ist. Wenn die Lamas und Alpakas kommen, lacht sie durchgehend." Das Beste an der Lama-Therapie, sagt der 42-Jährige, ist, dass "die Bewohner kein Attest und keine Fähigkeiten brauchen. Lamas und Alpakas passen sich individuell an", bewundert er.
Spuckende Lamas sind Mythos
Trotzdem muss er ständig ein Auge auf die Bewohner haben - nicht, weil die Tiere spucken könnten. Denn das tun Lamas und Alpakas nur in der Herde, um ihre Rangordnung auszudiskutieren. Ein spuckendes Lama sei ein großer Mythos, sagt Andreas Fröba. "Das ist eine Fehlprägung. Streichelt ein Mensch die Tiere innerhalb der ersten elf Monate, spucken sie." Aber: Die Bewohner überschreiten häufig die Grenzen zum persönlichen Bereich. Vor allem ein Hund, der diese extreme Nähe nicht mag, könnte dann verwirrt zuschnappen. Nicht Bulldoggen-Chihuahua-Mix Chico, der Mokka und Casper bei seinen Besuchen in Lichtenfels begleitet. Er ist Nadines Liebling, sitzt meist auf ihrem Schoß und beobachtet die Lamas und Alpakas bei der Arbeit.
Spaziergang mit den Tieren
Währenddessen führt Bewohner Tizian in Begleitung von Andreas Fröba die beiden Tiere aus - erst eine, dann die zweite Runde. Glücklich kommt er zu Fördergruppenleiter Tilo Stadelmann und klatscht ab, als wolle er sagen: "Geschafft." Nach zwei Stunden neigt sich der Besuch von Mokka und Casper dem Ende zu. Mit einem "Tschüss Mokka" verabschiedet sich Bewohner Tizian vom dreijährigen Huarizo.
Lange muss er auf ein Wiedersehen nicht warten, denn bereits nächste Woche unternimmt er zusammen mit einigen anderen Bewohnern einen Ausflug zur Heilweide nach Neustadt bei Coburg. Dann findet eine Reitstunde mit Pferden statt.