Unterrichtsmaterial ausdrucken, ausschneiden, aufkleben - das war einmal. Heute wird gewischt und getoucht. An der Regens-Wagner-Förderschule in Burgkunstadt lernen geistig behinderte Schüler mit Whiteboards und iPad.
Manchmal kann ein Bildschirm helfen, die Angst vor Menschen abzubauen, manchmal kann eine Berührung helfen, besser zu verstehen und eigentlich immer lehrt ein Bild mehr als bloße Worte.
Vor gut einem Jahr hat Anne Wayand die ersten Whiteboards - ein Touchscreen im Tafelformat - für die Regens-Wagner-Förderschule in Burgkunstadt angeschafft. Die Schiefertafeln waren da bereits über 40 Jahre alt und die Schulleiterin war auf der Suche nach einer besseren, interaktiven Lehrmöglichkeit.
Wie bei einer Tafel können auch bei dem Whiteboard die beiden Seitenflügel aufgeklappt und beschrieben werden. Allein das Innenleben ist digital.
Was vorher ausgedruckt, ausgeschnitten und an die Tafel gepinnt werden musste, kann jetzt über den Bildschirm an die Wand projiziert und nach Belieben hin und her verschoben werden.
Die Schüler, sagt Wayand, entwickelten eine ganz andere Motivation zum Lernen.
Ist das Spülen schön oder nicht? 48 Schüler von der ersten bis zur zwölften Jahrgangsstufe werden in sechs Klassen unterrichtet. Getrennt wird nicht in erster Linie nach Altersklassen, sondern nach dem Grad der Behinderung - einige müssen bis zum Ende ihrer Schulzeit gewickelt und gefüttert werden, anderen können nach der zwölften Klasse im Tausender-Raum addieren und dividieren. Prüfungen gibt es nicht. Es gehe darum, die Schulpflicht zu erfüllen, sagt Wayand.
Während in den Grundschulklassen und der Mittelstufe Lehrstunden wie Deutsch und Mathe auf dem Plan stehen, gibt es in der Berufsschulklasse lebensnahen Unterricht. Heute steht "Wohnen" auf dem Programm.
Die Schüler sind zwischen 16 und 20 Jahre alt, in den vergangenen Tagen haben sie verschiedene Wohngruppen besichtigt - Einblicke in ihr späteres Erwachsenenleben.
Im Klassenraum sitzen sie nun im Halbkreis vor dem Whiteboard und Lehrer Jan Ruf wirft das erste Bild an die Wand. Ein Haus, daneben eine Person, die fragend dreinblickt und die Schultern hebt. Wie also kann man wohnen? Linda Ott steht auf und tippt auf ein leeres Rechteck darunter - eine Familie erscheint im Bild. Hinter dem nächsten Rechteck verbirgt sich ein Freund, das letzte zeigt, einmal berührt, zwei Menschen, die sich küssen, von einem Herz umrandet. "Hier entsteht interaktiv das Tafelbild", sagt Wayand. Nach den Wohnformen kommt die Arbeit. Peter Stöcklein geht nach vorn, tippt auf das Bild mit dem Bett und dem Mann im Schlafanzug und zieht es in den Ich-muss-Bereich.
Das Bild mit dem dreckigen Geschirr landet im Schön-finden-Bereich.
Ganz neue Möglichkeiten 5000 Euro kostet ein Whiteboard, 800 Euro - so viel wie eine Tafel kosten würde - werden von der Regierung bezuschusst, für den Rest machte sich Anne Wayand auf die Suche nach Sponsoren. Am Ende spendeten die Friedrich-Baur-Stiftung, die Koinor-Horst-Müller-Stiftung, die Mediengruppe Oberfranken und der Lions-Club. Die Barnick-Stiftung sponserte zwei iPads.
Anne Wayand unterrichtet auch selbst, am liebsten die mehrfach Schwerbehinderten. Die Kinder sitzen im Rollstuhl, können ihre Arme nicht bewegen und zum Teil kaum oder gar nicht sprechen. "Die nehmen jetzt ganz anders am Unterricht teil." Über die iPads können die Kinder von ihrem Platz aus das Whiteboard steuern.
Sie können per Wischtechnik Fragen beantworten: "Ist der Ball grün oder gelb?"
Sie haben Post! Und dann ist da noch Pascal. Pascal hat, wie Anne Wayand es ausdrückt, starke autistische Züge und spricht nicht. Körperlich könnte er wohl, er sieht nur schlicht keine Notwendigkeit dafür. Wenn sich jemand neben ihn an den Tisch stellt, steht er auf, versteckt sich hinter der nächsten Ecke. Nähe ist ihm unheimlich, sagt Wayand. Den Umgang mit dem iPad habe er sich zu ihrem Erstaunen innerhalb kürzester Zeit selbst beigebracht. "Er wusste quasi in stinktiv, wie er Fotos und Filme machen kann - er erschließt sich auch andere Apps phänomenal schnell." Wann immer Pascal eines der iPads ergattern kann, läuft er nun durch die Gänge; fotografierend, filmend und spielend.
Der Bildschirm schluckt die Nähe und damit wohl auch die Angst vor den Menschen.
Tillman Eppich sitzt im Computerraum vor einem Bildschirm, einen Ordner auf dem Schoß und versucht, sich in sein E-Mail-Programm einzuloggen. Einmal vertippt, im Ordner nach dem richtigen Passwort gesucht, zweiter Versuch. Eingeloggt. Er schreibt seiner Mutter, seiner Schwester, einer Verehrerin. "Ich bin immer neugierig, was mir die Leute schreiben."
Einmal in der Woche hat jede Klasse Computerunterricht. Die einen lernen mit Word umzugehen, für andere reicht eine vermeintlich simple Reiz-Reaktions-Erfahrung: Wenn ich hier klicke, dann passiert dort etwas.
Tillman Eppich hüpft vor Freude auf seinem Stuhl, gerade hat er eine E-Mail von seiner Mutter geöffnet - im Anhang ein Foto. Lesen, Löschen, Antworten steht in großen Buchstaben mit dem entsprechenden Bildsymbol auf dem Bildschirm.
"Atempo" heißt das E-Mail-Programm, entwickelt speziell für Menschen mit Behinderung. Christa Krosch, die zuständige Lehrerin, musste lange suchen, bis sie ein solches Programm gefunden hat.
"Behinderte haben keine große Lobby", sagt Anne Wayand. Sie würde sich wünschen, dass das Thema "Neue Medien" auch für Behinderte mitgedacht wird. "Es lässt ganz neue Möglichkeiten zu, den Unterricht barrierefrei zu gestalten."